Ehemalige Hauptverwaltung der EnBW in Stuttgart

Halbwertszeit von Architektur

Thomas Geuder
14. Juni 2016
Der Blick in den Speisesaal des (ehemaligen) EnBW-Gebäudes könnte bald nicht mehr möglich sein. (Bild: Roland Halbe)

Die Gerüchteküche brodelt in Stuttgart schon seit einigen Monaten, nun werden die Stimmen immer lauter: Das Gebäude der (ehemaligen) Hauptverwaltung der EnBW in Stuttgart aus der Feder von LRO Lederer Ragnarsdóttir Oei könnte bald abgerissen werden, und mit ihm gleich noch sein Nachbarbau aus dem Jahr 1978 von KBK Architekten. Die beiden Gebäude bilden zwischen Kriegsbergstraße und Jägerstraße einen in sich geschlossenen Gebäudekomplex, prägen trotz unterschiedlicher Architektursprache maßgeblich das Stadtteil und tragen nicht zuletzt zum urbanen Lebensgefühl hier in Hauptbahnhofsnähe bei. Für das Stadtbild wäre ein Abriss ein herber Verlust. Für die Architekturhistorie sowieso.

LRO‘s Bau aus dem Jahr 1997 – übrigens das erste große Projekt für den damals noch frischen Büropartner Marc Oei – galt schon bei seinem Bau als herausragendes Beispiel nachhaltiger Architektur. Zur ästhetischen Qualität (für LRO nicht zuletzt ein Statement gegen die Langeweile der Stahl-Glas-Bauten) kommt eine bauliche Finesse, durch die der Bau auch ohne komplizierte Haustechnik sehr wirtschaftlich erstellt und energetisch sinnvoll betrieben werden konnte. Der Entwurf wurde schon beim entsprechenden Architekturwettbewerb wegen seiner Gediegenheit, Solidität, Wirtschaftlichkeit und Bodenständigkeit gelobt.

Was aber hilft das, wenn Investoren anderen Pläne hegen? Nach dem Wegzug der EnBW aus der Stuttgarter Innenstadt wurde der Komplex an den Münchner Investor Reiß & Co. Real Estate verkauft. Seitdem steht er leer. Für welche Art von Architektur Reiß & Co. steht, lässt sich auf deren Website oder live in Stuttgart bei den sogenannten Pariser Höfen im Europaviertel erkunden. Ganz gleich, ob man diesen Baustil nun mag, den EnBW-Komplex mit zwei sehr unterschiedlichen Bauten, die dennoch ein stimmiges Ensemble bilden aber wird dieser Art des Bauens nicht ersetzten können. Mehr noch: Derartig stadtbildprägende, nachhaltige und auch junge Bauten zu schleifen, statt sie im Zweifel intelligent umzunutzen, wäre eine Bankrotterklärung für Investoren, Architekten und Stadt sowie eine energetische, städtebauliche und architektonische Katastrophe.

Von Arno Lederer haben wir dazu freundlicherweise eine Stellungnahme erhalten:
„Einen ähnliche hohen Standard, was die Konstruktion, die Materialist, aber auch die Ausführungsqualität betrifft, konnten wir bislang nicht mehr realisieren. So ist das Gebäude, neben einem schreinertechnisch hochwertigsten Ausbau, z. B. innen insgesamt mineralfaserfrei und ohne jegliches Formaldehyd (Standard E 0), was auch heute noch vorbildlich ist. Eine Besonderheit war die eingestellte Gewölbetonne, die mitsamt Stützen als eine reine Ziegelkonstruktion ausgeführt wurde. Uns blutet das Herz …“ (Arno Lederer, 13.06.2016)
 

Energetische Fragen spielten für den ursprünglichen Bauherrn eine große Rolle. Das Konzept der trägen Baumassen etwa ermöglicht die Bezeizung allein durch die inneren Lasten. (Bild: Roland Halbe)
Lageplan (Quelle: LRO)
Grundriss Obergeschoss (Quelle: LRO)
Grundriss Erdgeschoss (Quelle: LRO)
Die Hauptverwaltung EVS (heute EnBW) wurde 1974-78 von Kammerer + Belz und Partner (heute KBK Architekten) erbaut. (Bild: Thomas Geuder)
Aktuelles Bild vom letzten Wochenende: Der Bau zeigt sich etwas verlassen und leider etwas verwahrlost. Wir hoffen auf Besserung. (Bild: Thomas Geuder)


Passend zum Thema läuft übrigens in der Stuttgarter Architekturgalerie am Weissenhof noch bis Ende September die Ausstellung «Stuttgart reißt sich ab», in der Gebäude der Gründerzeit, der 1920er- und 1930er-Jahre und insbesondere Bauten der Nachkriegs-Moderne gezeigt werden, die abgerissen wurden, obwohl man sie gut hätte weiter nutzen oder umnutzen können. In der Ausstellung werden aber auch positive Beispiele gezeigt: Beispiele von geretteten Gebäuden, die durch den Denkmalschutz, Initiativen und das Engagement einzelner Bürgerinnen oder Bürger dieser Stadt erhalten werden konnten. Mehr Informationen unter: www.weissenhofgalerie.de

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