Entwerfen ohne Gestaltungsguru

Gesa Loschwitz
3. Oktober 2016
Die Wohnanlage WagnisART löst sich von der klassischen Blockrandstruktur. (Bild: David Riek, vidadmedia)

Das Domagk-Areal, ein ehemaliges Militärgelände im Münchner Norden, ist nicht unbedingt typisch für Münchner Städtebau. Hier wird viel experimentiert und ausprobiert. Das begann schon als die Kaserne in den 1990er-Jahren aufgegeben wurde: Damals siedelten sich Künstler aus der ganzen Welt dort an, teilweise war das Areal Europas größte Künstlerkolonie. Vielleicht war es dieser Esprit, der die Arbeitsgemeinschaft aus Architekten und Landschaftsarchitekten (Arge bogevischs buero architekten & stadtplaner GmbH und SHAG Schindler Hable Architekten GbR In Zusammenarbeit mit Arge bauchplan und auböck/kárász) dazu brachte, die Bauherren der Wohnbaugenossenschaft wagnis eG mitentwerfen zu lassen.

Brücken verbinden die Gebäude und betretbaren Dachflächen miteinander. (Bild: David Riek, vidadmedia)

Die Planer ließen diese vielen Bauherren mit Hilfe von Skizzen und Modellen von Beginn an mitplanen; sie begleiteten diesen Prozess nur behutsam korrigierend. Es dürfe auch hässlich werden, postulierten sie provozierend. Wurde es aber nicht. Mitentscheidend war schon der erste städtebauliche Kniff: Da auf dem Grundstück der neuen Wohnanlage noch Eingriffe in die Struktur des Bebauungsplans möglich waren, nutzten die Genossenschaftler und ihre Planer die Chance, aus dem Gerüst der üblichen Blockbebauung auszubrechen und eine eigene, neue Identität in der direkten Nachbarschaft zur Künstlerkolonie entstehen zu lassen. So wurde viel Freiheit und Offenheit möglich.

In den Höfen verschmelzen private und öffentliche Räume miteinander. (Bild: David Riek, vidadmedia)

Die fünf polygonalen Baukörper sind durch Brücken über den dritten beziehungsweise vierten Stock miteinander verbunden. Es entsteht eine offene Einheit, die Höfe bieten unterschiedliche Qualitäten: Ein grüner Hof zum Entspannen und ein steinerner Hof zum Feiern. Entscheidend für das Funktionieren der Anlage sind auch die unterschiedlichen Grade an Öffentlichkeit, die ineinander übergehen. Dachgärten und Terrassen des Ensembles sind essenzieller Teil der Aufenthaltsräume. Und auch die Höfe erlauben individuelle Bespielungen. Einzel- und Gemeinschaftsnutzung können problemlos nebeneinander bestehen, private Freibereiche fügen sich nahtlos in das Gesamtbild. An der Schnittstelle zum öffentlichen Straßenraum gibt viele öffentliche Funktionen wie ein Café, einen Veranstaltungsraum, Ateliers, Büros, und Praxen, die ein lebendiges Stadtquartier schaffen. Die Jury schreibt anerkennend: «Wir sehen: Herausragender Städtebau mit hochwertiger Architektur kann eben auch dann entstehen, wenn der Architekt nicht den «Gestaltungsguru» spielt, sondern sich zurücknimmt, um moderierend und strukturierend den Planungs- und Bauprozess zu begleiten.»

Zum Preis, den Auszeichnungen und den Belobigungen des Deutschen Städtebaupreises: http://staedtebaupreis.de

An den steinernen Hof grenzt ein grüner Innenhof. (Bild: David Riek, vidadmedia)

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