Mediensterben – Architekturkritik

Ursula Baus
23. Januar 2013
Wird eingestellt: Die Frankfurter Rundschau mit "Architektur" als Rubrik des Hauptmenupunktes >Kultur (Bild: www.fr-online.de) 

Weg vom Fenster   Die Klagegesänge hörte man schon seit Längerem. Aber erst, als die gedruckten Blätter nicht mehr früh morgens von einem Frühaufsteher zu uns nach Hause getragen wurden, schwoll der Klagegesang zur Empörung an. Die Financial Times Deutschland – ein publizistisches Experiment seit dem ersten Erscheinungstag am 21. Februar 2000 – durfte sich zwar bis zuletzt über eine treue Leserschaft und andauerndes Lob freuen. Aber es hat nichts genützt: Schwarze Zahlen schrieb sie nie, und am  7. Dezember 2012 hatte sich die Sache dann erledigt. Mit der Frankfurter Rundschauverschwindet auch die einzige Tageszeitung, die Architektur als Rubrik im Hauptmenu ihrer Website >Kultur führte und regelmäßig füllte, zuletzt leider immer seltener. Wann welche Architekturthemen in der Tagespresse aufgegriffen werden, hat kaum noch etwas mit Chronistenpflicht, geschweige ambitionierter Recherche zu tun. An der Schwelle, an der gedruckte Medien ins digitale Zeitalter wechseln müssen, steht jedoch mehr auf dem Spiel als ein kommunikationstechnisches Problem. Es geht um einen Systemwechsel, in dem Vermittlungstechnik und Inhalte neu zueinander finden müssen.

Die erste Ausgabe der db deutsche bauzeitung 2013 – die Metamorphose gibt es nicht mehr als eigenständige Zeitschrift. 

Fachblattvereinigungen   Mancher db-Leser wird sich Anfang Januar dieses Jahres gewundert haben, dass die Zeitschrift, die im Briefkasten landete, recht dick war. Früher war das bei den Januarausgaben der Fachzeitschriften nichts Ungewöhnliches, denn die Messe BAU in München zeitigte eine Menge einträglicher Anzeigen der Baubranche in den Blättern. Aber dieses Mal war es anders: Gleich zwei Ausgaben (1 und 2|2013) sowie die bis dato selbstständige Zeitschrift "Metamorphose" sind alle zusammen zwischen zwei Zeitschriftendeckel geheftet – das scheint etwas her zu machen und sich besser zu rechnen als weiland 12 mal die db und 6 mal die Metamorphose. Solche Komprimierung ist die Konsequenz daraus, dass gedruckte Zeitschriften (neudeutsch: Printmedien) an Einfluß verloren haben und die Aufmerksamkeit in Richtung digitaler Präsenz zu wandern scheint. Was aber heißt heute "digitale Präsenz"? Bis heute sind die strukturell unterschiedlichen Print- und Online-Medien vor allem im Bereich Architekturfachkommunikation nicht hinreichend analsysiert und ausgearbeitet worden. In Erinnerung muss bleiben, dass die belebende Konkurrenz unter den Fachzeitschriften dem Leser jene Perspektivwechsel bescherte, die in der Entwicklung von Architektur und Stadt- und Landschaftsplanung erkenntnisfördernd wirken.

Chefredakteure werben online für ihre Blätter: Giovanni di Lorenzo/ Die Zeit, und Alexander Gutzmer/ Baumeister (Bild: Screenshots) 

Mind the gap   Der Zwang, vom Print aus irgendwie zum Online zu wechseln, treibt merkwürdige Blüten. Kurios mutet beispielsweise die Idee an, dass die Chefredakteure wie Nachrichtensprecher die Inhalte ihrer Zeitschriften online vorstellen. Sie sitzen dafür – so locker es eben geht – an ihren Schreib- oder Redaktionstischen und präsentieren sich und die Inhalte ihrer Blätter kameratauglich. Als ob es keine Inhaltsverzeichnisse oder Heftvorschauen gäbe. Muss das sein? Auch die Schweizer folgen dieser Masche, hier geht's zum Beispiel zur Hochparterre-Präsentation, wo gesagt wird: "Wenn Sie uns abonniert haben, gehen Sie jetzt zu ihrem Briefkasten...". Pardon: Ein Abonnent weiß, dass er zum Briefkasten gehen muss. 

Print und Online unterscheiden sich jedoch strukturell. Wer beispielsweise beim Autofahren vom Karten-Lesen oder -Einprägen zum digitalen Navigationsgerät wechselt, verlernt die bisherige Orientierungsweise ruckzuck. Die meisten unserer geneigten Leser werden diese Erfahrung kennen. Was aber heißt das für unsere Wahrnehmung von Raum und Themen, die mit Architektur und Stadtentwicklung zu tun haben? Der "Navigator" blendet die Umgebung explizit aus und ist dadurch auch effizient. Aber fällt der Navigator aus, haben Fahrer oft keinen Schimmer, wo sie sind. Analog verhält es sich mit der Wahrnehmung von Print und Online. Lesezeit, Markierungsmöglichkeiten, Blättern und Scrollen, Seiten- und Schriftgrößen, Zuklappen oder Wegklicken – darauf reagiert auch das Gehirn in unterschiedlicher Weise.
 Die medientypische Wirkungskraft muss zusätzlich berücksichtigt werden. Blogs und Facebook ist es beispielsweise bislang nicht gelungen, eigenständige Themen zu finden oder Debatten anzuzetteln. Ein Blick auf die "20 beliebtesten deutschsprachigen Architekturblogs" (etwas veraltet nur bis 2011 hier abzurufen) offenbart vielmehr, dass sich die Beliebigkeit Bahn bricht. Denn irgendein Maßstab, der die Auswahl der Bloggs erklären könnte, ist beim besten Willen nicht erkennbar. Und es wird auch nirgends debattiert, wie ein passabler Maßstab erarbeitet oder erstritten werden könnte. Ohnehin ist die Kluft zwischen dem traditionell gut vermittelten (Architektur-)Wissen und dem, was sich digital erschließen läßt, nach wie vor riesig. Wo sind beispielsweise die medialen "Resonanzräume" zu suchen, wenn das Internet nachrichten- und ereignisgetrieben bleibt? Zudem müssten die Wissens- und Argumentationsarten diesseits und jenseits dieser Kluft in vielerlei Hinsicht charakterisiert werden. Facebook, Twitter: Es ist schwer, etwas zu finden, was über ein "Echo der Geschwätzigkeit" (Bernd Graff, Süddeutsche Zeitung, 22./23.12.2012) hinaus geht.

Konkurrenten? Die Magazine der Zeit und der Süddeutschen Zeitung im gleichen Outfit (Bild: Ursula Baus) 

Leistung und Bezahlung  Printmedien hatten zunächst die Aufgabe, die (Architektur-)Welt erst einmal zu erschließen, um sie medial zu präsentieren und zu kritisieren. Heute muss es ihnen (und den Online-Medien) dagegen gelingen, was medientechnisch in Hülle und Fülle an die Internetoberflächen gespült wird, wenigstens zu sichten und zu sortieren. Dazu bedarf es eines Grundwissens, außerdem braucht man viel Zeit und medienspezifische Fähigkeiten. Offenbar sind immer weniger Leser bereit, für derlei Arbeit etwas zu bezahlen, weil es – scheinbar – dergleichen auch umsonst "im Internet" gibt. Die Bewertung von Informationen, Architektur und Thesen aus diesem Fachbereich reduziert sich im Internet aber in der Regel auf "Daumen rauf oder runter"; selbst Experten, die man bislang für vernünftig gehalten hat, beteiligen sich in Foren oder bei Facebook oder Twitter mit dermaßen banalen Äußerungen, dass man seinen Augen kaum traut. Und nicht begreift, womit mancher seine Zeit verplempert.
Aufgrund solcher Entwicklungen sind in den letzten Wochen Zeitungen und Zeitschriften schlichtweg eingegangen. 1991 bis 2011 sank die Auflage von Tageszeitungen um etwa 30 Prozent. Mit Online-Auftritten konnten die Printmedien 2011 allerdings mehr Menschen erreichen als ebay. In der Not unterstützt man sich in den Printbereichen inzwischen sogar gegenseitig beim Versuch, Aufmerksamkeit und Anerkennung zu steigern, wie zwei vorweihnachtliche Ausgaben der Zeit- und Süddeutschen-Magazine zeigen. Nein, auch für die Fachmedien muss vermieden werden, "die eigene Krise zum Hype" zu machen (Schirrmacher, siehe oben).
Schon werden Stimmen laut, dass die Medien eine staatliche Unterstützung brauchen, die es beispielsweise in Frankreich und Italien längst gibt. In Frankreich fließen jährlich 1 Milliarde Euro in die Medienunterstützung, in Italien 120 Millionen und in Österreich 11 Millionen. Allzu schnell sollte man aber nicht nach Steuergeldern greifen. Wichtiger scheint, dass die Debatte darüber, was eine gute Information, eine einwandfreie Redaktionsarbeit, ein klug geschriebener Beitrag, aussagekräftige Fotografien oder penible Analysen wert sind, offen und mit verbindlichen Ergebnissen geführt wird. ub

Frank Schirrmacher: Das heilige Versprechen, FAS, 25. 11. 2012
Bernd Graff: Das Echo der Geschwätzigkeit, Süddeutsche Zeitung, 22./23. 12. 2012

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