Industrienahtstelle

r+b landschaft s architektur
3. Februar 2016
Die geschaffene Landschaftsskulptur des Parks definiert den Übergang zwischen Stahlwerk und gründerzeitlichem Arbeiterviertel neu. (Foto: Hans Blossey)
Worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?

Blickt man auf den Ursprung und die Entwicklung des Stadtteils zurück, der seinen Aufschwung um 1900 durch den Ausbau des Thyssen-Kokerei-Geländes erlebte, so befinden wir uns in einer durchaus harten „Industrienahtlage“, die sich seit Jahren im Umbruch befindet. Über Jahrzehnte entwickelte sich ein äußerst multiethnisches Viertel, das mittlerweile als Modell für Wissenschaftler dient, die die Entwicklung ethnisch-kultureller Konflikte untersuchen. Unabhängig davon erlangte der Stadtteil Bruckhausen unter anderem Bekanntheit, als der Autor Günter Wallraff  sein Buch «Ganz unten» schrieb und zeitweise in Bruckhausen lebte. Ferner spielte der Tatort-Kommissar Horst Schimanski alias Götz George immer wieder in Bruckhausen und verbreitete in den Fernsehfilmen das Bild des „schmuddeligen Ruhrgebiets“. Besonders am Projekt ist die für die alten Bundesländer neue Erfahrung des großflächigen Teilrückbaus von gewachsenen Baustrukturen und der damit einhergehenden Chance, neue Grün- und Freiraumsituationen zu schaffen. Der Stadtumbau in Bruckhausen soll die Industrienahtlage entzerren und städtebauliche und soziokulturelle Missstände beseitigen. In wie weit unsere Konzeption und die Umsetzung einen Beitrag leisten kann, diesen Ansprüchen gerecht zu werden, können erst die nachfolgenden Generationen beurteilen.

Der Stadtteil Bruckhausen im Duisburger Norden befindet sich in unmittelbarer Nähe zum zweit größten Stahlwerk der Welt.  Die Situation zeigt den Stadtteil kurz vor dem großflächigen Teilrückbau von gewachsenen gründerzeitlichen Baustrukturen. (Quelle: r+b landschaft s architektur)
Blick aus der Dieselstraße zu den Hochöfen des Stahlwerkes vor den Umbaumaßnahmen; ein durch die Tatort Serie „Schimanski“ weit bekannt gewordenes Motiv. (Foto: Hans Blossey)
Die Schleuse durchschneidet das Landschaftsbauwerk und verknüpft den Stadtteil physisch mit seinem Umfeld. (Quelle: r+b landschaft s architektur)
Welche Inspirationen liegen diesem Projekt zugrunde?

Allein die Forderung des Auslobers nach einem Landschaftsbauwerk ließ vielfältige Möglichkeiten zu, den Raum neu zu formen. Mit Blick auf die räumlichen Strukturen des Stahlwerks, mit seinen vielfältigen und raumgreifenden baulichen Schichtungen, entwickelte sich sehr schnell die Idee einer begehbaren Raumskulptur. Diese sollte neben der Lärmschutzfunktion auch als eigenständiges Gesamtgebilde funktionieren. Die Übertragung des Volkspark-Motivs in die heutige Zeit sahen wir als besondere Herausforderung.

Die Schleuse durchschneidet das Landschaftsbauwerk und verknüpft den Stadtteil physisch mit seinem Umfeld. (Foto: Hans Blossey)
Wie reagiert der Entwurf auf den Ort?

Die Rahmenbedingungen waren hart: Das benachbarte Stahlwerk mit seinen Stahlkolossen, Hochöfen und Förderbändern, der kontinuierliche Verfall wertvoller Bausubstanzen sowie die Umweltbelastungen und die Bevölkerungsstruktur vor Ort. Das Projekt besteht aus zwei unterschiedlich ausformulierten Kanten, die sich in ihrer Form und Nutzung unterscheiden und großzügige Wiesen- und Rasenflächen rahmen. Form und Nutzung reagieren wiederum auf die Nachbarschaft. Der neu gestaltete Park verbindet und hebt gestalterische und ökologische Belange gleichermaßen hervor. Als idealisierter Naturraum folgt er in seiner Grundkonzeption dem Motiv des Volksparks mit zentralen Rasenflächen zum Spielen, Grillen und Entspannen und bietet ein hohes Maß an Flexibilität.

Der Bildausschnitt zeigt Sichtbetonelemente mit Fotomatrize im Bereich des Kopfbauwerkes Süd. Darauf zu erkennen sind Türkische Berglehrlinge von 1915 sowie der Schacht III der Gewerkschaft Deutscher Kaiser. Weitere Motive befinden sich jeweils an den Hauptzugangsbereichen des Parks und stellen einen unmittelbare Bezug zur Jahrhunderte alten Industriegeschichte des Stadtteils her. (Foto: Hans Blossey)
Der neu entstandene Parkraum lagert sich wie selbstverständlich an das Stadtquartier an und steht in seiner Ausformulierung im direkten Bezug zum Stahlwerk. (Foto: Günter Matczik)
Wie hat sich das Projekt vom ersten Entwurf bis zum vollendeten Park verändert?

Bezogen auf den Wettbewerbsentwurf gab es eine wesentliche Änderung, die jedoch der räumlichen Gesamtkonzeption nicht widersprach. Ursprünglich sollten die in die Topografie eingeschobenen Stützbauwerke aus massiven Corten-Stahlelementen gefertigt werden und somit einen zusätzlichen Bezug zum angrenzenden Stahlwerk herstellen.  In der weiteren Umsetzung konnte sich der Bauherr jedoch eine derartige Materialität aus Kostengründen und einer nicht nachvollziehbaren Sorge bezüglich einer eventuell geringen Dauerhaftigkeit nicht mehr vorstellen. Zudem «rannte uns die Zeit davon», bezogen auf die durch die Fördermittelgeber festgelegten Fertigstellungszeiten und Schlussrechnungstermine und die zögerliche Entscheidungsfreude der Bauherrschaft. Eine schnelle, pragmatische und gestalterisch hochwertige Entscheidung musste nunmehr unserseits getroffen werden. Dementsprechend sind wir umgeschwenkt und haben die Stützbauwerke in Form von hochwertigen Sichtbetonfertigteilen realisiert, die teilweise mit Fotomatrizen Zitate zur historischen Entwicklung Bruckhausens tragen. Im Nachhinein sind wir mit dieser Entscheidung äußerst zufrieden, da sie der Gesamtgestaltung nicht abträglich ist – im Gegenteil, sie ist überzeugend und stärkt diese!

Lage des Stadtteils Bruckhausen mit dem Werksgelände von Thyssen Krupp Steel im Westen und der A42 im Süden. (Zeichnung: r+b landschaft s architektur)
Der Entwurfsplan zeigt die topografische Ausformulierung des Landschaftsbauwerkes im Kontrast zur weiten, offenen Parklandschaft mit Promenade im Osten. (Zeichnung: r+b landschaft s architektur)
Grüngürtel Duisburg Nord Bruckhausen
2015
Kaiser-Wilhelm-Straße 38-88
47169 Duisburg

Nutzung
Parkanlage

Auftragsart
Realisierungswettbewerb 2010, 1. Preis
Landschaftsarchitektur, Ingenieurbauwerke, Verkehrsanlagen

Bauherrschaft
Stadt Duisburg, vertr. durch die EGDU Entwicklungsgesellschaft Duisburg mbH

Landschaftsarchitektur
r+b landschaft s architektur, Dresden
Jens Rossa, Sonja Rossa-Banthien
Freie Garten- und Landschaftsarchitekten
Mitarbeit: Annegret Stöcker, Susanne Adolphi

Fachplaner
Tragwerksplanung: Engelbach und Partner Ingenieurgesellschaft Dresden mbH, Dresden
Baugrund: GFP-Ingenieurbüro für Geotechnik und Umweltplanung, Duisburg

Bauleitung
Yves Boschloos, Essen in Vertretung für r+b landschaft s architektur

Ausführende Firmen
Landschaftsbauwerk, Wege, Beleuchtung Süd: Heinrich Walter Bau GmbH, Borken
Bodenarbeiten, Wege, Beleuchtung Nord: Garten- und Landschaftsbau Vornholt GmbH, Borken-Burlo
Verkehrsanlagen, Ausstattung, Bepflanzung: Garten- und Landschaftsbau Vornholt GmbH, Borken-Burlo

Hersteller/Produkte
Fotogravur-Matrizen: Reckli GmbH
Leuchten:  Fa. Schréder GmbH
Bankauflagen: Fa hygro care Esser GmbH
Abfallbehälter: Auweko GmbH
Spielgeräte:  Zimmer.Obst GmbH, ABC-Team Spielplatzgeräte GmbH, Doehring GmbH & Co. Kg

Fläche
8,4 ha (84.000 m²)

Kosten
Freianlagen: ca. 3.310.000 € netto
Landschaftsbauwerk/ Ingenieurbauwerke: ca. 1.090.000 € netto
Verkehrsanlagen: ca. 400.000 € netto

Gesamtkosten
ca. 4.800.000 € netto

Fotos
luftbild blossey, Hans Blossey, Hamm
r+b landschaft s architektur
Günter Matczik

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