Hamburger Schwimmoper

gmp
7. Februar 2024
Blick in die sanierte Alsterschwimmhalle Hamburgs. (Foto: Marcus Bredt)
Worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?

Von 2020 bis 2023 wurde die Alsterschwimmhalle von gmp umfassend saniert, umgebaut und erweitert. Das spektakuläre Schalendach, der riesige Innenraum mit dem 50-Meter-Becken und die Glasfassaden wurden erhalten. Gleichzeitig wurden die Sporteinrichtungen erstmals zusammenhängend neugestaltet und um zeitgemäßen Angebote ergänzt. Als einer der größten Schalenbauten Europas ist die Alsterschwimmhalle nach einem Entwurf der Architekten Horst Niessen, Rolf Störmer, Walter Neuhäusser und dem Ingenieur Jörg Schlaich ein Wahrzeichen der Hamburger Nachkriegsmoderne. Das Betonschalendach aus zwei hyperbolischen Paraboloidschalen, die von drei Stützfüßen getragen werden, erinnerte die Hamburger*innen bei der Eröffnung 1973 an die Oper in Sydney – und wird seitdem liebevoll ›Schwimmoper‹ genannt. 

Welche Inspiration liegt diesem Projekt zugrunde?

Die Alsterschwimmhalle ist ein Baudenkmal, das vor allem durch die markante Dachkonstruktion zu einem Unikum für ganz Hamburg geworden ist. Unter dem Dach musste fast alles verändert werden, um dessen visionäre Geste aus den 1970er-Jahren unverändert erhalten zu können. Das 50-Meter-Becken, der 10-Meter-Sprungturm und der sogenannte ›Fitness-Kubus‹ an der Ostseite blieben mit wenigen Eingriffen erhalten. Die alte, kaum noch genutzte Tribüne neben dem Becken wurde hingegen abgebrochen, um Platz für ein neues, separates Sprungbecken zu schaffen. Auch der Ergänzungsbau im Norden wurde abgerissen und durch einen ein- beziehungsweise zweigeschossigen Neubau ersetzt. Dort entstanden ein neues 25-Meter-Schwimmbecken und ein Kursbecken, ein barrierefreier Eingangsbereich sowie Umkleiden, Fitness- und Saunabereiche. Insgesamt wurde die bisherige Wasserfläche um rund ein Viertel vergrößert, gut die Hälfte der gesamten Innenfläche wurde neu gebaut.

Doppelt gekrümmte Schalendachkonstruktionen waren in den 1960er- und 1970er-Jahren en vogue. 1961 hatten die Hamburger Wasserwerke zum ›öffentlichen Bauwettbewerb Hallenbad Sechslingspforte‹ aufgerufen. Die Architekten Horst Niessen und Rolf Störmer, die im Wettbewerb noch ganz ohne Schalendach die ersten beiden Plätze belegt hatten, bildeten mit dem Schalenbauexperten Walter Neuhäuser eine Arbeitsgemeinschaft. Den Entwurf des nun gewünschten Schalendachs erarbeiteten sie zusammen mit den Ingenieuren Fritz Leonhardt und Wolfhardt Andrä, in deren Büro der noch junge Ingenieur Jörg Schlaich, später schlaich bergermann partner (sbp), federführend an der Ausarbeitung des Tragwerks beteiligt war. (Foto: Marcus Bredt) 
Wie reagiert der Entwurf auf den Ort?

Jahrzehntelang mussten die Besucher*innen durch das angrenzende Wohngebiet fahren, um über die Ifflandstraße zum Eingang der Alsterschwimmhalle zu gelangen. Vor dem Haupteingang entstand im Rahmen der Sanierung und Erweiterung ein neuer Vorplatz. Die Zufahrt erfolgt nun von der Sechslingspforte, sodass das östlich angrenzende Wohnquartier an der Ifflandstraße eine Verkehrsberuhigung erfährt. Die neu geschaffene fußläufige Durchwegung in Ost-West-Richtung verbindet das Wohnquartier mit der Hamburger Innenstadt.

Haben Sie den Auftrag über einen Wettbewerbsbeitrag oder direkt erteilt bekommen?

Ursprünglich war die Alsterschwimmhalle als Wettkampfstätte errichtet worden, wurde über die Jahre jedoch zu einem Freizeit- und Familienbad. Trotz 400.000 Besucher*innen im Jahr 2014 wurden aus Kostengründen damals eine Schließung, der Abriss und die Errichtung eines modernen Neubaus diskutiert. In Kooperation mit schlaich bergermann partner (sbp) erstellte gmp eine Machbarkeitsstudie, die zur Entscheidungsgrundlage für den Erhalt und die Sanierung wurde.

Gegenüberstellung 1973 und 2023: Der ›Fitness-Kubus‹ an der Ostseite wurde erhalten, zusammen mit den Flächen im Obergeschoss des Neubaus wird er nun von dem Fitnessklub THE RAY bespielt. Durch den Abriss der Tribüne fällt nun zusätzlich Licht von Norden in die Schwimmhalle.  (Foto links: Bäderland Hamburg | Foto rechts: Marcus Bredt)
Welche besonderen Anforderungen wurden gestellt? Wie haben Sie diesen im Projekt Rechnung getragen?

Der Denkmalschutz des spektakulären Daches spielt eine Schlüsselrolle. Auf einer Grundfläche von 4.500 Quadratmetern schwingt es sich – nur 8 Zentimeter dünn, von drei Diagonalstützen gehalten – an den Spitzen 24 Meter weit in die Höhe. Zwei der drei Stützenfundamente sind durch ein Zugband unterhalb des Schwimmbads verbunden. Mit Spannweiten von bis zu 96 Metern zählt das Dach bis heute zu den weltweit größten seiner Art. Dass die Schale auch nach 50 Jahren Nutzungszeit noch weitestgehend intakt war, spricht für die hohe Planungs- und Ausführungsqualität des Gebäudes. 
Nach heutigen baurechtlichen Vorschriften dürfte das Schalendach so nicht mehr gebaut werden. Solange es aber nicht verändert wird, genießt es Bestandsschutz. Die große Herausforderung hinsichtlich der Statik bestand darin, Teile des alten Schwimmbades abzureißen und neu zu bauen, ohne dabei das bestehende Dach zu verändern oder durch die Bauarbeiten zu sehr zu erschüttern: So durfte das Zugband zwischen den Fundamenten nicht berührt werden und musste während der gesamten Bauarbeiten ständig überwacht werden. Bei zu großen Erschütterungen des Bandes wurde Alarm ausgelöst, und die Baustelle war sofort zu evakuieren, wie früher das Schwimmbad. Dies geschah während der Abrissarbeiten manchmal mehrfach am Tag. In enger Abstimmung mit dem Denkmalschutz wurde eine neue Dämmung für das Dach festgelegt und ein Kathodisches-Korrosionsschutz-System (KKS) installiert, das seit der Sanierung das Dach mit Schwachstrom gegen Korrosionsschäden durch das aufsteigende Chlor, die hohe Luftfeuchtigkeit und warmen Temperaturen im Schwimmbad schützt. Um die originalen Aluminium-Fachwerkstützen der Glasfassade erhalten zu können, wurde statt der üblichen Dreifachverglasung, die für die alten Stützen zu schwer geworden wäre, eine Zweifachverglasung für die Glasfassade gewählt. Zudem entwickelten gmp, sbp und die Implenia Fassadentechnik ein neues, zulassungsfähiges Teleskop-Kolben-Auflager als beweglichen Anschlusspunkt zwischen Fassade und Dach, um die Schwingungen der Dachflächen ausgleichen zu können.

Der denkmalgeschützte 10-Meter-Sprungturm wurde als Wahrzeichen erhalten. Die alte, kaum noch genutzte Tribüne neben dem Becken wurde abgebrochen, um Platz für ein neues, separates Sprungbecken mit 3- und 5-Meter-Sprungnlage zu schaffen. (Foto: Marcus Bredt)
Inwiefern haben Bauherrschaft, Auftraggeber oder die späteren Nutzer*innen den Entwurf beeinflusst?

Der Umbau, die Sanierung und Erweiterung der Alsterschwimmhalle bewegte sich in dem Spannungsfeld zwischen Denkmalschutz und den heutigen Anforderungen an ein Schwimmbad. Sämtliche Planungs- und Abstimmungsprozesse mit Bäderland und dem Denkmalschutzamt haben ganz vorbildlich geklappt, sodass dieses Baudenkmal aus dem Jahr 1973 nun wieder von den Hamburger*innen vollumfänglich genutzt werden kann.

Welche digitalen Instrumente haben Sie bei der Planung eingesetzt?

Als wir anfingen zu planen, also noch in der Phase des Vorentwurfs, stellten wir fest, dass es keine Bestandspläne gab. Es gab lediglich Schalpläne. Das gesamte Projekt wurde in 3-D und im BIM-Verfahren erstellt. Anhand des Modells konnten alle Beteiligten von der Tragwerksplanung bis zur Haustechink die Planung überprüfen. Das macht man heutzutage immer so, aber als wir mit dem Projekt anfingen, war das noch nicht der Standard.

Die Galerie an der westlichen Stirnseite wurde über die Jahre unterschiedlich genutzt, unter anderem in den 1980er-Jahren als Liegeterrasse. Hier wurde ein Entspannungsbecken (Beckentiefe 0,90 Meter, Wassertemperatur 34°C) angeordnet, ein Dampfbad (›Textilsauna‹) mit Kalttauchbecken wurde unter der Galerie eingefügt. (Foto: Marcus Bredt)
Welche Überlegungen stecken hinter den Entscheidungen für die eingesetzten Materialien?

Die Oberflächen der erhaltenen Bauteile wurden entweder in aufwendiger restauratorischer Feinarbeit in der ursprünglichen Betonsichtigkeit oder auf Basis des Farbkonzepts aus der Erbauungszeit wiederhergestellt. Bauelemente wie die historischen Akustikziegel wurden restauriert und wieder eingebaut. Dunkelbraune Holzpaneeldecken wurden zum Teil restauriert und zum Teil nachgebaut. Der größte Teil der Innenwände in der Schwimmhalle wurde mit runden Kleinmosaikfliesen in changierenden, an die originale orangerote Farbe des Altbaus angelehnten Farbtönen belegt. Für den Fußboden wurden quadratische Kleinmosaikfliesen in der Farbe Ecru verwendet. Unter Wahrung der Balance zwischen Erhalt, funktioneller Umgestaltung und Nutzungsanpassung der Schwimmhalle wurde ihre bauliche Identität erhalten; Nutzung und Betrieb sind für die Zukunft gesichert.

Rückblick auf den Herbst 2021: Nach den Abbrucharbeiten und der Demontage der Fassadenkonstruktion steht das Betonschalendach aus zwei hyperbolischen Paraboloidschalen getragen von drei Stützfüßen wie zuletzt Anfang der 1970er-Jahre dar. (Foto: Marcus Bredt)
Beschäftigten Sie sich im Büro mit den Tendenzen des zirkulären Bauens und der sozialen Nachhaltigkeit?

Zirkuläres Bauen ist im umfassenden Sinne Bestandteil der Planung bei gmp. Zum einen bei Interimsbauten wie der Isarphilharmonie im Gasteig HP8 in München oder dem Schulcampus Westend in Frankfurt am Main. Zum anderen beim Erhalt und Umbau des Gebäudebestandes. Seit über vierzig Jahren gehört das Bauen im Bestand zum Aufgabenfeld von gmp. Der Begriff der sozialen Nachhaltigkeit umfasst ein breites Spektrum an aktuellen Herausforderungen. Bezogen auf die Alsterschwimmhalle haben wir in diesem Sinne einen ersten Schritt zu ihrer dauerhaften Bewahrung geleistet. Das Schwimm- und Fitnessangebot wurde erweitert im Rahmen des Hamburger Programms Active City, einschließlich barrierefreiem Zugang. Nicht zuletzt wurde ein urbaner Ort mit seiner architektonischen Identität bewahrt und verlorene Qualitäten wiedergewonnen.

In der Axonometrie wird deutlich wie das Schalendach den Neubau im Norden, den ›Fitness-Kubus‹ und die Schwimmhalle mit dem 50-Meter-Sportschwimmbecken überspannt. (Zeichnung: gmp)
Altbau (in schwarz) und Neubau (in rot): In der Schwimmhalle blieben das 50-Meter-Becken, der 10-Meter-Sprungturm und der sogenannte ›Fitness-Kubus‹ an der Ostseite mit wenigen Eingriffen erhalten. Im Neubau entstanden ein neues 25-Meter-Schwimmbecken und ein Kursbecken, ein barrierefreier Eingangsbereich sowie Umkleiden, Fitness- und Saunabereiche. (Zeichnung: gmp)
Alsterschwimmhalle
2023
Sechslingspforte 15
22087 Hamburg

Auftragsart
Direktauftrag
 
Bauherrschaft
Bäderland Hamburg

Architektur
Wettbewerb: 1961
Bauzeit: 1968-1973
Eröffnung: 20. Januar 1973
Entwurf: Horst Niessen, Rolf Störmer
Überarbeitung: Walter Neuhäusser
Tragwerksplanung: Jörg Schlaich für Leonhardt und Andrä

Gutachten: 2014
Bauzeit Umbau, Sanierung und Erweiterung: 2020-2023
Wiedereröffnung: 24. November 2023
Entwurf: Volkwin Marg und Nikolaus Goetze mit Marc Ziemons, gmp · Architekten von Gerkan, Marg und Partner, Hamburg
Projektleitung Gutachten: Jan Blasko
Mitarbeit Gutachten: Tim Leimbrock 
Projektleitung Ausführung: Tim Leimbrock, Jörn Ortmann
Mitarbeit Ausführung: Karl-Heinz Behrendt, Peter Brändle, Heather Carlsen, Katharina Chlosta, Renata Dipper, Victoria Ebert, Nicole Flores, Martina Klostermann, Liselotte Knall, Lukas Kühn, Kristina Milani, Svetlana Normantovich, Thorben Oelke, Regine Saunders, Kostiantyn Savinskyi, Christine von der Schulenburg, Alexa Schmidbauer, Kerstin Steinfatt
Generalplanung: Carsten Plog
Leitung Vertrags- und Baumanagement: Karsten Schillings
Leitung AVA: Torsten Hinz
Leitung Objektüberwachung: Christian Kleiner
Mitarbeit Baumanagement: Sandra Brosterhaus, Monica Franz, Katja Poschmann, Lucia Sanchez, Andreas Schulz, Som Phone Sysavanh, Simon Ulka, Julia Weinert-Nielsen

Fachplaner
Tragwerksplanung: schlaich bergermann partner (sbp)
Haustechnik/TGA: Eneratio PartGmbB Beratende Ingenieure für rationellen Energieeinsatz
Lichtplanung: Conceptlicht GmbH
Bauphysik: vRP von Rekowski und Partner mbB
Fassadenberatung: DS-Plan Ingenieurgesellschaft für ganzheitliche Bauberatung und Generalfachplanung GmbH
Brandschutz: Ingenieurbüro T. Wackermann GbR, https://wackermann.com/
Landschaftsplanung: Lichtenstein Landschaftsarchitektur & Stadtplanung PartGmbB

Ausführende Firmen
Abbruch/Erdarbeiten: H. Ehlert & Söhne GmbH & Co. KG
Verbau: Johann Heidorn GmbH & Co. KG
Raumgerüst: Th. Treichel Gerüstbau GmbH
Rohbau Gerhard Lühn GmbH & Co. KG
Betonsanierung: Instakorr GmbH, Spritzbeton + Injektionstechnik GmbH
Betonrestaurierung Sichtbetonoberflächen: A&M restore
Fassade: Implenia Fassadentechnik GmbH
Dachabdichtung: Schmidt Bedachung Hamburg GmbH, Dach Schneider Weimar GmbH
Fliesen/Platten: Fliesen Lepping GmbH & Co. KG
Trockenbau: Baierl & Demmelhuber Innenausbau GmbH
Tischlerarbeiten: FSL Ladenbau GmbH
Schlosserarbeiten: Otto Metallbau
Malerarbeiten: Thomas Möller GmbH
Restauratorische Arbeiten: Nüthen Restaurierungen GmbH & Co. KG
Trennwandsysteme: Schäfer Trennwandsysteme GmbH
Glastrennwände H + S Alubau GmbH
Abhangdecke Hyparschale: Lindner Group KG
Holztüren: Tischlerei Kirsch GmbH
Metalltüren: Oltmanns Metallbau GmbH
Kalttauchbecken e.s.m. Edelstahl- Schwimmbad- und Metallbau GmbH
Sportboden/Bodenbeläge: Brandt Malermeister
Sportbodenbeschichtung TOP-SPORT GmbH Sporthalleninnenausbau
Förderanlagen: Hans Lutz Maschinenfabrik GmbH & Co. KG
Abwasser/Wasser Quandt Haustechnik GmbH
Heizungstechnik: Horst Jeske Sanitär- und Heizungsbau GmbH
Lüftungstechnik WISAG Gebäude- und Industrieservice Nord GmbH & Co. KG
Gebäudeautomation: autech tesla automation GmbH
Elektrotechnik/Beleuchtung Siegfried Nass GmbH
Baustrom Schulz Systemtechnik GmbH
Trafoanlagen: WISAG Elektrotechnik Nord GmbH & Co. KG
Beschallung Alarm- und Sicherheitstechnik B.W. GmbH
Übertragungs-/Sicherheitstechnik: Büchner Kommunikations-Netzwerke GmbH
Blitzschutz: NDB Elektrotechnik GmbH & Co. KG
Küchentechnik Kneifel Großküchen- und Objekteinrichtungs GmbH & Co. KG
Schwimmbadtechnik: Aquila Wasseraufbereitungstechnik GmbH
Brandschottungen svt Holding GmbH
Außenanlagen Osbahr GmbH Garten- und Landschaftsbau
Saunabau: Baum‘s Holzteam GmbH
Schwimmbadeinrichtung: Lausitzer Edelstahltechnik GmbH
Dampfbad Hilpert GmbH & Co KG.
Bad-/Saunamöbel: Gärtner Büro und Wohnen GmbH
Beschilderung: Signtec Leit- und Informationssysteme GmbH
Kassensystem: Ticos Systems Deutschland GmbH

Bruttogeschossfläche
BGF gesamt: 19.666 m²
BGF oberirdisch: 10.370 m²
BGF unterirdisch: 9.296 m²
 
Gebäudevolumen
BRI: 119.000 m³

Gesamtkosten
k.A.

Fotos
Marcus Bredt
Bäderland Hamburg (Bestandsfoto)

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