Gärtnern, flanieren, genießen

Huber Staudt Architekten
20. April 2016
Situation im Landschaftsraum (Foto: Werner Huthmacher)
Worin liegt das Besondere der Bauaufgabe?

Unser Auftraggeber, das Zentrum für Psychiatrie Reichenau, will mit dem Neubau ein Zeichen für die weitere bauliche Entwicklung setzten. Der Campus, ein malerischer Park mit uralten Bäumen und Pavillonbauten aus der Gründerzeit soll ‚fit‘ gemacht werden für die Zukunft. Unmittelbar am Eingang gelegen, bildet der Neubau eine Brücke zwischen dem Campus und der naheliegenden Stadt Konstanz.

Blick auf den Haupteingang (Foto: Werner Huthmacher)
Welche Inspirationen liegen diesem Projekt zugrunde?

Das besondere „Highlight“ des Neubaus ist der Dachgarten im Obergeschoss. Großzügige Öffnungen in den schützenden Wänden aus Sichtbeton rahmen die Ausblicke auf die malerische Voralpenlandschaft am Bodensee. Die Patienten haben hier die Möglichkeit, an speziellen Arbeitstischen selbst gärtnerisch tätig zu werden, von gemütlichen Bänken aus die Ausblicke in die Landschaft und auf den Campus zu genießen, oder über das großzügige Wegenetz des Dachgartens zu flanieren. Natürlich hat uns der Dachgarten der Villa Savoy von Le Corbusier inspiriert.

Wie reagiert der Entwurf auf den Ort?

Der Neubau begrenzt eine leicht nach Süden abfallende Streuobstwiese, und markiert das Entree zum großzügigen Patientenpark der historischen Pavillonanlage, die zu Beginn des 20sten Jahrhunderts als völlig autarkes Patientendorf errichtet wurde. Die hellen horizontalen Bänder beschreiben den malerischen Ort, gliedern das Gebäude maßstäblich und umfassen geschützte Gärten für die Patienten.

Dachgarten (Foto: Werner Huthmacher)
Wie hat sich das Projekt vom ersten Entwurf bis zum vollendeten Bauwerk verändert?

Wir hatten es in Reichenau mit einem sehr erfahrenen Bauherrn zu tun. Gleichzeitig wurden wir von kompetenten Fachplanern unterstützt. Bis auf kleinste Anpassungen, die mit dem Kostenrahmen zu hatten, wurde nach Erstellung der Entwurfsplanung nichts mehr verändert.

Detail Dachgarten (Foto: Werner Huthmacher)
Inwiefern haben Bauherrschaft, Auftraggeber, oder die späteren Nutzer den Entwurf beeinflusst?

Hier werden zukünftig Krankheiten behandelt, die unmittelbar mit der demographischen Entwicklung einer alternden Gesellschaft zusammenhängen. Die Architektur des Neubaus muss einer komplexen Aufgabenstellung, die sowohl seelische als auch körperliche Beeinträchtigungen der Patienten umfasst, entsprechen. Dafür gibt es in Deutschland wenige Beispiele. Die Aufgabenstellung wurde daher mit den Nutzern, insbesondere mit der damaligen Chefärztin und dem Pflegedienstleiter gemeinsam entwickelt.

Dachgarten (Foto: Werner Huthmacher)
Beeinflussten aktuelle energetische, konstruktive oder gestalterische Tendenzen das Projekt?

Die natürliche Belichtung der Erschließung, Treppen und Flure wird nicht nur in Gesundheitsbauten immer wichtiger. Flure sind gerade in der Psychiatrie wichtige Aufenthaltsflächen für Patienten und Orte der Begegnung mit Pflegern und Ärzten. Die Innenhöfe öffnen die tiefen Grundrisse zum Sonnenlicht und ermöglichen gleichzeitig geschützte Gärten für die Patienten.

Treppe im Foyer (Foto: Werner Huthmacher)
Zimmer (Foto: Werner Huthmacher)
Welche speziellen Produkte oder Materialien haben zum Erfolg des vollendeten Bauwerks beigetragen?

Die Materialien des Neubaus orientieren sich an den vorhandenen schlichten Pavillonbauten auf dem Campus. Große geschlossene Flächen mit einer horizontal ausgerichteten Struktur aus Kammputz bilden mit Sichtbetonfertigteilen und vorbewitterten Holzlamellen einen harmonischen Dreiklang. Im Innenraum haben wir eine einladende und wohnliche Atmosphäre geschaffen. Die Farbigkeit im Innenraum bestimmen bis auf wenige intensive Farbflächen vor allem die natürlichen Farben der Materialien. Sowohl die haptischen Qualitäten der natürlichen Materialien und der Verzicht auf starke (Farb-) Kontraste helfen den oft an Orientierungsproblemen leidenden Patienten dabei, sich das Gebäude anzueignen.

Modell (Foto: huber staudt architekten)
Grundriss Erdgeschoss (Zeichnung: huber staudt architekten)
Zentrum für Psychiatrie Reichenau
2015
Feursteinstraße 55
78479 Reichenau

Nutzung
Klinik für Alterspsychiatrie

Auftragsart
Einzelauftrag, Allein-Auftragnehmer, Zuschlag nach VOF-Verfahren 2011

Bauherrschaft
Zentrum für Psychiatrie Reichenau

Architektur
huber staudt architekten bda, Berlin
Joachim Staudt, Christian Huber, Anja Lunge, Eduardo Magno,
Yifang Liu, Jillian Flynn, Wenzel Jirzik, Sohta Mori
 
Fachplaner
Tragwerksplaner: Leonhardt, Andrä und Partner Beratende Ing. VBI AG, Stuttgart
Haustechnik: LANG+LANG · Ingenieure GmbH & C0.KG, Ravensburg
Landschaftsplaner: Stefan Bernard Landschaftsarchitektur mit Philipp Sattler, Berlin
Akustik: IFB Ingenieure Gmbh, Bad Teinach-Zavelstein
Brandschutz: mhd-Brandschutz Ingenieurpartnergesellschaft Müller Häberlen Dehm, Ulm
Elektroplaner: Neher Butz Ingenieur-Büro für Gebäudetechnik GmbH, Konstanz
Vermesser: Vermessungsbüro Kreuz, Stockach
Bauphysik: IFB Ingenieure Gmbh, Bad Teinach-Zavelstein
Geologe: Geopro Gmbh Beratende Ingenieure und Geologen, Stockach
Prüfstatik: PUL.Ingenieure, Reichenau

Bauleitung
baulinie Architekten, Ravensburg

Kunst am Bau
Das Therapeutenteam in Zusammenarbeit mit den Patienten des ZfP Reichenau
Kollagen aus Gebäudegrundrissen, Grafiken, Malerei

Ausführende Firmen
Rohbau: Kurt Motz e. K. Hoch-, Tief-, Straßen- u. Spezialtiefbau, Illertissen
Betonfertigteil: R. Bayer Betonsteinwerk GmbH, Munderkingen
WDVS-Putz: Baumit GmbH, Bad Hindelang
Holzverschalung: Schnetz GmbH, Fronreute-Fronhofen
Aufzug: Kone GmbH, Freiburg
Schlosser: Firma Helgar Blum, Höchst, Österreich
Fliesen-/ Betonwerkstein: Firma Fliesen Röhlich GmbH, Wendelstein
Trockenbau: Firma Bilfinger R&M Ausbau Stuttgart GmbH, Schönaich
Zimmererarbeiten: Peters GmbH & Co. KG, Sohren
Tischlerarbeiten/Einbaumöbel: Fritz Schlecht GmbH, Altensteig-Garrweiler
Leitsystem: CICI Corporate Identity, Ravensburg

Hersteller
Verschalung Beton: MEVA-Schalungssysteme GmbH Niederlassung Stuttgart, Köngen
Lasuren: Zobel Chemie GmbH
Holzverschalung-Durapatina: Franz Habisreutinger GmbH&Co.KG
Lignotrend Akustikdecke: Franz Habisreutinger GmbH&Co.KG
Lichtkanäle: LTS
Kautschuk: Nora Systems GmbH
Betonwerkstein 8120 Weigrey: Euval
Fliesen: Villeroy und Boch
Türen: Neuform, Schörghuber
Rammschutz: Bremsystem
Oberflächen: Pfleiderer
Loses Mobiliar: Brunner
Vorhänge: Kvadrat
Bulletin Board 2182: Forbo
Sonnenschutz: Warema

Bruttogeschossfläche
6.335 m²

Gebäudevolumen
23.737 m³

Kubikmeterpreis
665 €

Gebäudekosten
11.972.676 €

Gesamtkosten
15.800.000 €

Fotos
Werner Huthmacher, Berlin 

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