Angewandte Schulbauforschung

Schulz und Schulz
15. Februar 2017
BFN: Das Berufliche Schulzentrum formuliert den baulich-räumlichen Schlussstein für das neue Münchener Stadtquartier Nordhaide und vermittelt zwischen Landschafts- und Stadtraum (Foto: Stefan Müller-Naumann)
Worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?

Wir hatten das Glück ab 2012 im Freistaat Bayern nahezu zeitgleich zwei große Schulneubauten des gleichen Schultyps zu realisieren. Klingt nach „Copy and Paste“, hatte für uns aufgrund der unterschiedlichen pädagogischen Konzepte aber eher den Anspruch angewandter Schulbauforschung. Im Ergebnis sind zwei Neubauten entstanden, die unterschiedlicher kaum sein könnten – in München das äußerst kompakte Schulzentrum an der Nordhaide und in Regensburg die vernetzten Fach-Cluster der Beruflichen Oberschule.

BFR: Die drei kubischen Lernhäuser der Beruflichen Oberschule Regensburg sind der bauliche Ausdruck der fachspezifischen Ausrichtung der Schule in den Bereichen Technik, Wirtschaft und Soziales (Foto: Stefan Müller-Naumann)
BFN: Der großzügige Schulvorplatz bildet die Adresse des neuen Münchener Schulzentrums und ermöglicht den gebotenen Abstand zur angrenzenden Shopping Mall (Foto: Stefan Müller-Naumann)
BFR: Schule und Sporthalle spannen einen gemeinsamen Vorplatz auf, der in die Gebäude und in die öffentlichen Freianlagen überleitet (Foto: Stefan Müller-Naumann)
Welche Inspirationen liegen den Projekten zugrunde?

Wir definieren Schulen über die rein funktionale Bestimmung als Lern- und Arbeitsort hinaus als identitätsstiftentenden Lebensraum. Mit der zunehmenden Verbreitung der Ganztagsangebote und der damit einhergehenden Verflechtung von Freizeit und Unterrichtszeit verbringen Lernende und Lehrende einen Großteil ihrer Lebenszeit in diesen Gebäuden. Schulbauten sollten also Charakter haben und über pädagogische Leitideen und Lehrpläne einen eigenen Beitrag zur kulturellen Bildung leisten. Dass wir in München und Regensburg zeitgleich zwei unterschiedliche Schulbautypologien bearbeiten und auf ihre «Charakterstärke» hinterfragen konnten, hat uns dazu angetrieben, die Reinheit der pädagogischen Konzepte baulich stringent herauszuarbeiten.

BFN: Das zentrale Atrium mit der großzügigen Haupttreppe liegt an der Nahtstelle von Berufs- und Fachoberschule und definiert hier einen übergreifenden Kommunikationsort (Foto: Stefan Müller-Naumann)
BFR: Rückgrat der drei L-förmigen Lernhäuser ist eine circa 150 Meter lange Promenade, die die unterschiedlichen Ebenen über einen halbegeschossigen Versatz zu einer fließenden Lernlandschaft verknüpft (Foto: Stefan Müller-Naumann)
Wie reagiert der Entwurf auf den Ort?

Wir erleben gerade, dass Großstädte und Ballungsräume durch die anhaltende Urbanisierungswelle in der Wohnraumfrage zunehmend unter Druck geraten und deshalb ganze Stadtquartiere aus dem Boden stampfen. So auch in München und Regensburg, wo die Schulneubauten Teilmaßnahmen dieser Quartiersentwicklungen sind und hierbei wichtige kulturelle Ankerpunkte definieren. Einhergehend müssen die Einrichtungen über die primären schulischen Angebote hinaus Aufgaben für die gesamte Gesellschaft übernehmen. Die Nutzungsszenarien der Ganztagsschulen werden damit nochmals erweitert und bis in die Abendstunden ausgedehnt. Das spiegelt sich unabhängig vom pädagogischen Konzept in den Gebäudestrukturen wider. Die Erdgeschosszonen in München und Regensburg sind mehrdimensional bespielbare Bereiche, die mit Aula, Mensa, Bibliothek und Sporthalle öffentlich nutzbare Gemeinschaftsflächen bieten. In Regensburg geht man sogar noch einen Schritt weiter und öffnet auch die gesamten Freiflächen inklusive aller Freisportflächen für die Öffentlichkeit. Unsere These, dass Schulbauten prägende Lebensräume definieren und es hierfür einer identitätsstiftenden Architektur bedarf, sehen wir in dieser Entwicklung bestätigt.

BFN: Der klassische Mittelgang erlaubt ausgehend von der zentralen, offenen Haupttreppe eine effiziente Erschließung und Organisation der beiden Schulen (Foto: Stefan Müller-Naumann)
Beeinflussten aktuelle energetische, konstruktive oder gestalterische Tendenzen das Projekt?

Die Ausgangssituation für unsere kleine „Schulbaustudie“ hätten kaum perfekter sein können: ein Schultypus, zwei Schulneubauten und identische regionale, kulturelle und städtebauliche Rahmenbedingungen. Studiengegenstand: die Nachhaltigkeit von Schulbautypologien. Die aktuellen pädagogischen Tendenzen favorisieren die Typologie der Cluster-Schule mit offenen, mehrfach nutzbaren Differenzierungsbereichen, so wie wir diese in der Regensburger Oberschule mit ihren drei fachspezifischen Lernhäusern realisiert haben. Fachbereichsübergreifend werden die auf drei Ebenen verteilten Cluster über einen halbgeschossigen Versatz zwischen den Lernhäusern in eine offen fließende Lernlandschaft eingebunden. In München haben wir entgegen des aktuellen Trends eine klassische Mittelgang-Schule realisiert, bei der die beiden Gebäudeteile zugleich Berufs- und Fachoberschule differenzieren. Die vermeintlich „starre“ Gebäudestruktur verfügt dabei über eine sehr hohe Flexibilität, die aus einer bedarfsgerechten Raumzuweisung an der Nahtstelle beider Schulformen, dem zentralen Atrium, resultiert. Dieser Bereich ist als übergreifender Kommunikations- und Erschließungsraum konzipiert, der die schulamtlich strenge typologische Trennung aufbricht. Im Ergebnis ist das Münchener Schulzentrum eine hocheffiziente Bildungseinrichtung, in deren klassischer Gebäudestruktur wir eine hohe Belastbarkeit gegenüber wechselnden pädagogischen Konzepten sehen.

BFR: Zentrale Elemente der Lernhäuser sind die offenen Differenzierungsflächen, die kommunikative Lernformen innerhalb des Clusters fördern (Foto: Stefan Müller-Naumann)

Welche speziellen Produkte oder Materialien haben zum Erfolg des vollendeten Bauwerks beigetragen?
In der Tat haben wir mit wenigen gezielt eingesetzten Mitteln ein Maximum erreicht. Die Prägnanz des Kubischen dreier gestaffelter, L-förmiger Lernhäuser in Regensburg konnten wir mit der Materialisierung und Durcharbeitung der Gebäudehülle präzisieren. Essenziell ist die bedingungslose Homogenität der grau-beigen Klinkerfassade aus handgestrichenen Sonderformatsteinen, die ohne Vor- und Rücksprünge oder etwa Verblechungen über das gesamte Gebäude gezogen ist. Hierfür haben wir alle Anschlusspunkte wie Fensterlaibung, Fenstersturz, Fensterbank und Attika materialneutral in Ziegel ausgeführt. In München ist es hingegen die grafische Wirkung von Öffnungen, Schwingfensterflügeln und Fallarmmarkisen, die im Zusammenspiel mit Licht und Schatten auf der Fassade eine sehr spezifische, reizvolle Wirkung erzeugt.

BFN: Die Höhenstaffelung des Baukörpers erzeugt zum Schulvorplatz und zur Schleißheimer Straße einen deutlichen wahrnehmbaren Kopf und reduziert das Gebäudevolumen gegenüber dem Landschaftsraum Nordhaide und der angrenzenden Wohnbebauung (Zeichnung: Schulz und Schulz)
BFR: Die kammartige Gebäudestruktur bildet zwischen den Lernhäuser geschützte, den Fachbereichen zugeordnete Freiflächen, die über tribünenartige Sitzstufen zu den tieferliegenden Sportanlagen überleiten (Zeichnung: Schulz und Schulz)
BFN: Bauliche und funktionale Mitte ist das offene, alle Ebenen verbindende Atrium, das als zentraler Verteiler in die Mittelgangerschließung überleitet (Zeichnung: Schulz und Schulz)
BFR: Vertikale Erschließungselemente betonen die Nahtstellen von Lernhäusern und Promenade. Die halbgeschossig versetzten Höhenniveaus der Gebäudewinkel fügen sich im Split-Level-System zu einem fließenden Raumkontinuum. (Zeichnung: Schulz und Schulz)
Berufliches Schulzentrum an der Nordhaide in München (BFN)
2016
Schleißheimer Straße 510
80933 München

Berufliche Oberschule in Regensburg (BFR)
2016
Fort-Skelly-Straße 31
93053 Regensburg

Auftragsart
BFN: Wettbewerb 2011, 1. Preis
BFR: Wettbewerb 2012, 1. Preis

Bauherrschaft
BFN: Landeshauptstadt München, Baureferat HA Hochbau
BFR: Stadt Regensburg, Amt für Hochbau und Gebäudeservice

Architektur
Schulz und Schulz, Leipzig
Prof. Ansgar Schulz, Prof. Benedikt Schulz
Mitarbeiter BFN: Matthias Hönig, Christian Wischalla, Uwe Graalfs, Teresa Baumann, Felix Haunstein, Lucia Martinez, Christopher Rien
Mitarbeiter BFR: Carola Troll, Per-Christian Schultze, Christian Wischalla, Katrin Kortleben, Cristina Carreras Torres, Marius Ellwanger, Teresa Baumann, Madeleine Müller, Hannes Pohlmann
Fachplaner
BFN: Tragwerksplanung: bwp Burggraf + Reiminger Beratende Ingenieure GmbH, München
BFN: Freianlagen: Latz + Partner Landschaftsarchitektur Stadtplanung Architektur, München
BFR: Tragwerksplanung: Lammel, Lerch & Partner Beratende Ingenieure PartG mbB, Regensburg
BFR: Freianlagen:  r+b landschaft s architektur, Dresden
Bauleitung
BFN: köhler architekten + beratende ingenieure gmbh, München
BFR: A.S. Architekten GmbH, Donaustauf

Ausführende Firmen
BFN: Baumeister: Glass Bauunternehmung GmbH, München mit Kreuzer GmbH & Co. KG, Bad Wörishofen
BFN: Fenster- und Pfosten-Riegel-Fassade: Güthler Glasfassaden GmbH, Lauben
BFN: Putzfassade: Rebl Malereibetrieb GmbH, München
BFN: Vorgehängte Betonfassade: Hemmerlein Ingenieurbau GmbH, Bodenwöhr
BFN: Schreinerarbeiten, Innentüren: Lindner AG, Arnstorf
BFR: Baumeister (BA I): Ferdinand Tausendpfund GmbH & Co. KG, Regensburg
BFR: Baumeister (BA II): Mickan General-Bau-Gesellschaft Amberg mbH & Co. KG, Neumarkt
BFR: Ziegelfassade: Klinkerzentrum Roland Weigel GmbH & Co. KG, Mellrichstadt
BFR: Naturwerkstein: Fliesen Röhlich GmbH, Wendelstein

Hersteller
BFN: Außenputz, Saint-Gobain Weber GmbH
BFN: Pfosten-Riegel-Fassade, Raico Bautechnik GmbH
BFN: Innentüren, Lindner AG
BFN: Fliesen, Villeroy & Boch AG
BFN: Linoleum, DLW Flooring GmbH
 
BFR: Ziegel, Girnghuber GmbH
BFR: Beschläge, Franz Schneider Brakel GmbH + Co KG
BFR: Dämmung, URSA Deutschland GmbH
BFR: Fliesen, Villeroy & Boch AG
BFR: Innenwandfarben, Brillux GmbH & Co. KG
 
Energiestandard
BFN: EnEV 2009 (-60%)
BFR: EnEV 2009 (-40%)
 
Bruttogeschossfläche
BFN: 19.600 m²
BFR: 22.700 m²

Gebäudevolumen
BFN: 85.200 m³
BFR: 89.900 m³

Gesamtkosten
BFN: 52.600.000 €
BFR: 42.400.000 €

Fotos
BFN/BFR: Stefan Müller-Naumann

Andere Artikel in dieser Kategorie