Weder Heulen, noch Zähneknirschen

Eine erhebliche Menge von Patienten habe, so erfahren wir, immer noch Angst, zum Zahnarzt zu gehen. Nun soll Prophylaxe vorab dafür sorgen, dass eigentlich weder gebohrt, noch gezogen werden muss – und der Besuch der Praxis einem Aufenthalt in einem Wellness-Center gleichen möge. In Berlin zog ein Zahnarzt aus dieser zahnhygienischen Veränderung die richtigen Konsequenzen: In der Zeitung hatte er ein Bild gesehen, das ein Gebäude der Graft Architekten zeigte – die sollten seine Praxis-Gemeinschaft in einer Art und Weise gestalten, die mit den Konventionen bricht und neue Aufenthaltsqualitäten bietet.

Sechs Ärzte, Labor, Prophylaxe und mehr sind nun auf zwei Etagen eines prominent gelegenen Hauses am Kudamm untergebracht. In einer sonnig gelb gehaltenen, weich modellierten Landschaft mit schrägen Wänden wird man tatsächlich empfangen, als ginge es zur Erholung. Das muntere, warme Gelb bestimmt die gesamte Raumatmosphäre; ein Trockenbausystem machte es bautechnisch möglich. Nicht nur Wände und Decken, sondern auch die Böden und Treppenauftritte sind in dem satten Farbton gestrichen – und mit perspektivisch wahrnehmbaren Bildmotiven bestückt. An der Empfangstheke erinnert nichts daran, dass die Bürokratie Patient und Arzt drangsaliert, zumal der Blick gleich auf einen offenen Kamin, entspannende Liegeplätze oder sogar darüber hinweg auf eine Dachterrasse mit Liegestühlen fällt. Kaum zu glauben: Man ist beim Zahnarzt. Innenarchitektonisch kann man mit Fug und Recht von einem Gesamtkunstwerk sprechen, denn konsequent zieht sich die Gestaltungsintensität bis in die Aufenthaltsräume der Mitarbeiter. Wo nun gebohrt, geschliffen, modelliert und operiert wird, sieht man sich zwar doch in den Mühlen der zahnmedizinischen High-Tech-Maschinerie, aber so weit soll es eben nicht kommen. Schließlich nehmen Behandlung und Prophylaxe je eine Etage mit etwa fünfhundert Quadratmetern in Anspruch. Nebenbei bemerkenswert: Die Praxis ist sieben Tage in der Woche in Betrieb.
Ursula Baus