Unbebaubar? Von wegen!

Dass eine einzelne Baumreihe in Deutschland schon als Wald gelten kann, machte Baurmann Dürr Architekten bei ihrem Projekt für ein Wohnhaus in Karlsruhe-Thomashof zu schaffen. Wäre es beim vorgeschriebenen Mindestabstand zwischen Haus und Grün von dreißig Metern geblieben, hätte das Areal nicht bebaut werden können. Am Ende bewährte sich jedoch der lange Atem der Architekten und der Bauherren, der Abstand durfte auf zwanzig Meter verringert und das Grundstück bebaut – allerdings mit der Prämisse, dass dem einzigen Nachbarn dicht auf die Pelle gerückt werden musste. Was sich zu Beginn als Handicap darstellte, entpuppt sich im Nachhinein als großer Vorteil: Die freibleibende Grünfläche erstreckt sich ungeteilt zwischen dem Wohnhaus und dem bereits erwähnten „Wald“ und ist somit vor den neugierigen Blicken des Nachbarn geschützt.

Der Grundriss reagiert auf diese Besonderheiten: Die Wand zum Nachbarn hin bleibt in beiden Etagen weitgehend geschlossen. Alle anderen Seiten, die sich zu Grünzonen und einer wenig befahrenen Stichstraße hin orientieren, sind großzügig verglast. Im Erdgeschoss mit Küche, Wohnzimmer und Essplatz ist der Bezug zur Natur dank breiter, raumhoher Schiebetüren besonders stark. An jeden Bereich schließt sich eine mit Holzdielen belegte Terrasse an, so dass sich gerade im Sommer das Leben unter freiem Himmel abspielen und je nach Wunsch immer Sonne oder Schatten gesucht werden kann.
Das Obergeschoss durfte laut Bebauungsplan kein Vollgeschoss werden, weshalb die Architekten in Richtung der Bäume und der wenig befahrenen Stichstraße eine Dachterrasse planten, die von Schlafzimmer, Bad und Gästezimmer aus zugänglich ist. Der Flur orientiert sich folgerichtig zum Nachbarhaus hin und wird über langgestreckte, schmale Fenster belichtet. Um neugierige Blicke außen vor zu halten und dennoch genügend Licht ins Haus zu bringen, ließen die Architekten Milchglas einbauen. Das angrenzende Gebäude verschwindet dadurch komplett aus der Wahrnehmung.

Mit Materialien und Farben gingen die Architekten sehr sparsam, aber umso konsequenter um. Wände und Decken erstrahlen in reinem Weiß, der Fußboden des kompletten Erdgeschosses und des Badezimmers im Obergeschoss wurde mit schwarzem Schiefer belegt. Als drittes und letztes Material verleiht Eichenholz dem Haus einen warmen Charakter und findet sich sowohl als Bodenbelag, Treppenstufen, Handlauf und bei den Möbeln. Verglichen mit der Flut an unterschiedlichen Materialien und Farben, die man heute in der Architektur oft antrifft, wirkt die minimalistische Auswahl äußerst edel und ruhig.
Mit einer veränderten, aber auch teureren Tragstruktur hätte auf die Stützen, die vor allen großen Verglasungen stehen, verzichtet werden können. Den Bauherren war dies allerdings zu teuer. Mit dem vergleichsweise knappen Etat kamen die Architekten allerdings bestens zurecht.
Simone Hübener