„Neue Arbeitswelt 205“ in Schwäbisch Gmünd

Brutstätte für Ideen

Thomas Geuder
12. November 2018
Das Projekt "Neue Arbeitswelt 205" soll Kommunikation und Kreativität fördern. (Bild: Zooey Braun)

Projekt: Büro-Arbeitswelt „Neue Arbeitswelt 205“ (Schwäbisch Gmünd, DE) | Architektur/Innenarchitektur: Studio Alexander Fehre (Stuttgart, DE) | Bauherr: Robert Bosch Automotive Steering GmbH (Schwäbisch Gmünd, DE) | Hersteller: diverse Möbel | weitere Projektdaten siehe unten
 

Das „Büro der Zukunft“ hatte bereits viele Gesichter. Nach Zellen-, Großraum- und Gemeinschaftsbüro gab es zuletzt Spielwiesen, die zu neuen Ideen animieren sollte. Die Digitalisierung der Arbeitswelt und vor allem der selbstverständliche Umgang mit den digitalen Werkzeugen aber führen derzeit auf ganz neue Pfade, die dem idealen Arbeitsplatz womöglich näher sind, als Telefonzellen in Gondeln oder Kissenlandschaften fürs Kreativ-Meeting. Im Büro der Zukunft hat man die Werkzeuge und Unterlagen quasi immer dabei, abrufbar auf Laptop und Tablet, abgelegt im Firmennetzwerk oder in der Cloud. Zumindest theoretisch wird es nicht mehr notwendig sein, einen festen Arbeitsplatz zu haben. Man könnte also wieder überall arbeiten – warum also überhaupt noch ins Büro gehen?

Nicht die Verspieltheit, sondern die Vielfalt steht im Vordergrund. (Bild: Zooey Braun)

Die Robert Bosch Automotive Steering (Bosch AS) in Schwäbisch Gmünd bei Stuttgart – eine der wichtigsten Zulieferfirmen der Automobilbranche und auf Lenksysteme spezialisiert – gibt eine Antwort: Hier will man das notwendige Innovationstempo mit Wegen und Methoden halten, indem man statt auf die Schaffenskraft von Einzelnen auf die Kreativität von Teams setzt. Es geht um das Erschaffen eines lebendigen Wissenskollektivs, um temporäre Arbeitsgruppen aus verschiedenen Abteilungen für die Dauer eines Projekts. Das Büro als Brutstätte für Ideen durch zwischenmenschliche Interaktion also. Ganz konkret stand für dieses Unterfangen die „205“ zur Verfügung, eine ehemalige, 3.200 m² große Produktionshalle mit großzügiger Fassadenverglasung, schönem Oberlichtaufsatz und produktivem Industriecharme. Hier sollten – so der Wunsch des Bauherrn – moderne Arbeitsflächen mit Zukunftspotenzial für ca. 200 Mitarbeiter entstehen, um mit diesem „soft skill“ im Wettbewerb um die besten Arbeitskräfte punkten zu können. Das Ziel war eine Arbeitswelt zu schaffen, die die Kommunikation und die disziplinübergreifende Interaktion durch Begegnen, Austauschen und gegenseitige Inspiration unterstützt.

Obwohl sich die Arbeitsplätze in einer über 3.000 m² großen Halle befinden, hat man nicht das Gefühl, in einem Großraumbrüo zu sitzen. (Bild: Zooey Braun)

Das bedeutete für die Innenarchitekten von Studio Alexander Fehre diese große Fläche zunächst grundsätzlich zu organisieren. Ihrem Entwurf haben sie die Idee einer „agilen Arbeitsweise“ zugrunde gelegt, mit einem zentralen Weg, der sich durch die Halle schlängelt und bewusst mit Kurven, Abzweigungen und Zwischenstopps spielt. Die unbeabsichtigte Begegnung der Mitarbeiter auf diesem Pfad ist beabsichtigt. Gesäumt ist der Weg mit allerlei Besprechungsmöglichkeiten, von der Telefonkabine über die Sitzbank auf hartem Holz bis zur bequemen Sitzgruppe oder voll ausgepolsterten Alkoven. Zu erkennen sind die Begegnungsbereiche am Boden, gekennzeichnet durch diagonale Schraffuren. Die Flächen seitlich mit den Einzelarbeitsplätzen haben einen Teppichboden erhalten, der dezent einen grau-erdigen Grund erzeugt. Die allgegenwärtige Diagonale, die nicht nur am Boden, sondern auch bei den Trennwänden und in der Hängung der Leuchten wiederkehrt, soll eine hohe Dynamik erzeugen.

Immer wieder werden kleinere oder größere Möglichkeiten zum Arbeiten oder Besprechen angeboten. (Bild: Zooey Braun)

Jedem Team ist quasi ein eigener Besprechungskubus zugeordnet, wobei jeder eine individuelle Form und Farbwelt besitzt. Verschließbare Spinde ermöglichen das Umstellen auf Desk Sharing. „Benchmark-Tische“ als mobile Besprechungsmöbel können als Tisch oder als Präsentationswand genutzt werden. Zentral zugängliche Raumeinheiten (oft als Werkstatt ausgestaltet) bieten Platz für größere Teamkonstellationen. Auf einer zweiten, im Raum eingezogenen Ebene befindet sich ein Konferenztisch. Das Bistro im Herzen der Bürolandschaft kann für Treffen im eher inoffiziellen Rahmen oder auch für Veranstaltungen und Präsentationen umgenutzt werden. Im üppig begrünten „Ruhegarten“ oder an der Carrera-Bahn kann man sich „reseten“. Die Auswahl der Materialien unterstreicht den kreativen Industriecharakter: Rohe Oberflächen wie Zinkblech zum Festhalten von Ideen, Holz und Stahl, Böden aus Gummingranulat, Polycarbonatflächen an Wänden und Sitzmöbeln sowie textile Elemente.

Das zentrale Café kann vorübergehend auch für Präsentationen oder Events genutzt werden. (Bild: Zooey Braun)

Der Entwurf von Studio Alexander Fehre erfrischt trotz aller Vielfalt mit einem unaffektierten Umgang mit Farbe, Form, Raum und Oberfläche. Viele Materialien und Produkte sind aus einem anderen Kontext geholt und sollen hier im Kreativbüro wieder auf die Inspiration zurückwirken. So entstehen unterschiedliche Arbeitsplätze, die man gerne alle einmal durchprobiert haben möchte, ehe man den passenden Arbeitsplatz des Tages auswählt. Wertvoll dabei ist vor allem, dass die Planer ausschließlich richtige Arbeitsplätze entwickelt haben, also weder Spielplätze noch Kuschelecken. „Kommunikation ist alles – und überall möglich“, erläutert Alexander Fehre, der mit seinem Entwurf eine Atmosphäre erzeugen will, die die „Grenzen zwischen Arbeitswelt und Aufenthaltsqualität verschwimmen“ lassen soll und qua der vielfältigen Möglichkeiten Lust auf Arbeiten macht. Genau genommen ist das kein neuer Ansatz, dennoch ein viel zu selten gesehener.
 

Den Mitarbeitern stehen abschließbare Spinde zu, wodurch auch das Umstellen auf Desk-Sharing ermöglicht wird. (Bild: Zooey Braun)
Durch ein zweites Stockwerk, das wie ein Raummöbel in der Halle steht, entstehen weitere Besprechungs- und Ablagemöglichkeiten. (Bild: Zooey Braun)
Der lange Konferenztisch im zweiten Stockwerk ist gesäumt von Tafeln für schnelle Skizzen. (Bild: Zooey Braun)
Auf dem stets präsenten Zinkblech ist Raum für Ideen, die beim Mäandern durch die Arbeitswelt entstehen. (Bild: Zooey Braun)
Aus einem anderen Kontext stammende Materialien und Produkte, wie hier die Straßen-Leitplanken, sollen auf die Kreativität zurückwirken. (Bild: Zooey Braun)
Kleinere Einzelarbeitsplätze sind als Rückzugsräume für konzentriertes Arbeiten da. (Bild: Zooey Braun)
Grundriss mit Möblierung (Quelle: Studio Alexander Fehre)
Raum zum Nachdenken finden die Mitarbeiter im üppig begrünten Ruhegarten. (Bild: Zooey Braun)

Projekt
Neue Arbeitswelt 205
Schwäbisch Gmünd, DE

Architektur/Innenarchitektur
Studio Alexander Fehre
Stuttgart, DE

Team
Alexander Fehre, Calina Hohberg, Magdalena Paprotna, Rita Enns, Roger Dittrich

Bauherr
Robert Bosch Automotive Steering GmbH
Schwäbisch Gmünd, DE

Hersteller Möblierung
DeVorm: LJ1, LJ2, LJ3 Felt Bar Stool, Arnhem 94, Arnhem 118, Nook, Musette
Interstuhl: Upis 1
Magazin: Chemnitz
SMV: B!zed
Pedrali: IKON 863
Arper: Pix 67
Varaschin: Grid Outdoor Armchair, Armchair Corner, Pouf, Coffee Table (Ruhegarten)

Ausführende Firmen
Trockenbau (u.a. eingestellte „Boxen“): Fa. Reisser (Böblingen)
Innenausbau: Fa. Ganter (Waldkirch)
Gummiboden: Fa. A.K. Objektbeläge (Böblingen)
Lieferung Möbel (Produkte): Fa. Leonhard (Filderstadt)

Fläche
3.200 m²

Fotografie
Zooey Braun


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