Berlin eiert bei der Flüchtlingsunterbringung herum

Zur Not geht's ins Hotel

Oliver Pohlisch
5. Februar 2016
In den Hangars vom ehemaligen Flughafen Tempelhof leben derzeit 2500 Flüchtlinge, Foto: Climey Amors via Wikimedia Commons

Viel Kritik heimste er mit seinem Vorhaben ein, den ehemaligen Flughafen Tempelhof praktisch zu dem zentralen Berliner Flüchtlingslager auszubauen. Längst ist das Terminalgebäude eines der größten Lager in der Bundesrepublik, denn 2500 Menschen leben dort schon in den alten Hangars. Für den Ausbau wollte der Senat das ThF-Gesetz kippen. Dieses war im Mai 2014 durch einen Volksentscheid zustandegekommen und verbietet jegliche Bebauung des stillgelegten Flugfeldes.

Zwar beschränkt der Senat sich nach Protesten jetzt darauf, temporäre Bauten mit einem insgesamten Fassungsvermögen von 7000 Menschen nur auf der betonierten Fläche direkt vor den Hangars zu errichten und diese bis Ende 2019 zu betreiben. Doch nahm er trotzdem eine Gesetzesänderung vor. Die Initiatoren des Volksentscheids bezeichnen dies als Missachtung des Bürgerwillens und fürchten, damit werde die dauerhafte Aufweichung des Bauverbots vorangetrieben. Und die parlamentarische Opposition stimmte gegen die Modifizierung – mit dem Argument, dass die Erweiterung der Massenunterkunft die Integration der Geflüchteten weiter erschwere. Sie forderte stattdessen eine dezentrale Unterbringung.

Streit um Turnhallen
Aber auch die Maßnahmen der Dezentralisierung sind umstritten. So war die Landesregierung Ende vergangenen Jahres dazu übergegangen, Sportstätten zu beschlagnahmen. Derzeit werden 50 Turnhallen durch das Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) für die Unterbringung von rund 10.000 Flüchtlingen genutzt. Die Bezirke und der Landessportbund (LSB) fordern ein Ende dieser Praxis. Und die Landesregierung möchte die Hallen auch gerne bis zum Frühsommer wieder freigeben. Sie tut sich aber schwer damit, Alternativen vorzuweisen.

Immer wieder werden Gebäude im Besitz der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (Bima) ins Spiel gebracht, darunter prominent das ehemalige Haus der Statistik am Alexanderplatz. Initiativen und FlüchtlingsaktivistInnen hatten die Idee lanciert, in der Mitte der Stadt einen Ort des Wohnens und der Begegnung jenseits konventioneller Massenbeherbergung zu etablieren. Jetzt wird die Immobilie, wohl im Paket mit anderen Bima-Bauten, an das Land verkauft, damit dort eine Behörde einzieht. Da die Sanierung zwei Jahre dauern würde, sei der Bau der DDR-Moderne für eine Flüchtlingsunterkunft nicht geeignet, so Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD). Ein Argument, dass die Landesregierung auch gegen die Nutzung anderer Bima-Liegenschaften vorbringt.

Doch kein Ort für Flüchtlinge in der Mitte der Stadt - das Haus der Statistik am Alex, Foto: Oliver Pohlisch

In den vergangenen Tagen wurde dann viel und kritisch über die angebliche Anmietung von 22 Hotels der Kette GCH durch den Senat diskutiert. Der Anbieter solle pro Platz und Nacht eine Miete von 50 Euro gefordert haben. Für einen Bewohner würde die Stadt also 18.000 Euro im Jahr an GCH zahlen. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) vermeldete, dass GCH zudem ein «All-inclusive-Programm» für die Betreuung und Integration offeriert habe. Für den Hotelkonzern verhandele die in London ansässige Hampton Holding Ltd.. Der Senat würde mit einer mehrjährigen Laufzeit des Mietvertrags und Kosten von insgesamt 600 Millionen Euro kalkulieren, so die FAZ.

GCH ließ aber jetzt verlauten, dass mit der Stadt lediglich über die Anmietung von zwei Hotels mit insgesamt 93 Zimmern geredet werde. «Der potenzielle Mietpreis pro Person und Tag entpricht dem üblichen Rahmen der normalerweise von der Stadt Berlin für vergleichbare Objekte und Dienstleistungen gezahlt wird, um die Kosten für die Gebäude, für etwaige Umbaumaßnahmen und für den Betrieb zu decken», teilte GCH mit. Alle anderen Filialen des Unternehmens in Berlin blieben normale Hotelbetriebe. Eine Senatssprecherin bestätigte dies der Immobilienzeitung gegenüber.

Derzeit sind 650 Asylsuchende in Berlin in Hostels, Hotels und Pensionen untergebracht. Die Tagessätze liegen nach Angaben der Senatssozialverwaltung im Schnitt bei 37,50 Euro. Der Senat hält die Unterbringung von Schutzsuchenden in Hotels für ein probates Mittel, weil die Versorgung dort gewährleistet werden könne und die Infrasstruktur vorhanden sei. Berlins Ex-Ausländerbeauftragete und jetzige Vorsitzende des paritätischen Wohlfahrtsverbands Berlin, Barbara John (CDU), übte jedoch Kritik an den hohen Kosten der Hotelunterbringung. Einem Hartz-IV-Empfänger stünden nur 350 Euro im Monat für Wohnraum zu.

Modulbauten für insgesamt 25.000 Menschen
Noch in 2016 sollen, über ganz Berlin verteilt, von allen landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften Modulunterkünfte für bis zu 25.000 Menschen errichtet werden. Offiziell wurden bisher keine Standorte bekanntgegegeben, aus Ausschreibungen von zwei der Wohnungsbaugesellschaften geht aber hervor, dass schon Flächen zum Bau von Modulbauten für insgesamt 1750 Menschen feststehen – in Lichtenberg, Reinickendorf und Spandau. Überwiegend aus vorgefertigten Elementen errichtet, sollen diese Flüchtlingsunterkünfte nach Gebrauchsende in Wohngebäude umgewandelt werden. Eine erste Liste von 50 Grundstücken war heftig kritisiert worden, weil sie eine Ballung dieser Einrichtungen in den Bezirken Pankow und Hellersdorf-Marzahn vorsah. Das wollte der Senat nachbessern.

Die Architektenkammer warnt vor Fehlern beim Bau dieser Unterkünfte. «Mithilfe neuer Bausünden wird die Integration neuer Mitbürger kaum gelingen!», erklärt sie. Sie fordert das Land Berlin auf, dass Steuermittel nur für solche Gebäude ausgegben werden, «deren langfristige Nutzung und Einbindung in das städtische Gefüge gewährleistet ist und deren Planung durch unabhängige Fachleute angemessen begleitet wird».

So stellt der Senat sich die künftigen Modulunterkünfte vor, Bild: Senator für Stadtentwicklung und Umwelt

Zudem hatte Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD) angekündigt, Flüchtlinge zu Pionieren für den Bau von zehn neuen Siedlungen mit insgesamt 50.000 Wohnungen zu machen. Nach dem nun vereinfachten Baurrecht für Flüchtlingsunterkünfte sollen zunächst insgesamt 3000 Wohnungen entstehen, um die herum sich die später hinzukommenden Siedlungsbauten gruppieren sollen. Offensichtlich ist, dass Geisel damit großen Bauprojekten den Weg ebnen will, gegen die es bislang heftigen Protest von Anwohnern gab – insbesondere in Lichterfelde-Süd und in der Pankower Elisabethenaue. Für fünf der zehn Siedlungen gibt es allerdings noch keinen konkreten Standort.

Tilman Heuser, Landesgeschäftsführer des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) fordert eine Bürgerbeteiligung am Gesamtkonzept für Flüchtlingsunterkünfte. «Die Diskussionen der letzten Wochen zeigen: Viele Berliner wollen sich für eine gute Unterbringung von Flüchtlingen und die Schaffung von bezahlbaren Wohnraum einsetzen», so Heuser gegenüber der Berliner Zeitung. Sie wollten sich aber auch kritisch und mit alternativen Lösungsvorschlägen beteiligen.

Notfalls, so Heuser, müsse eine Volksinitiative gestartet werden. Eine solche Massenpetition verpflichtet das Berliner Abgeordnetenhaus dazu, bestimmte Anliegen und Themen in öffentlicher Debatte zu erörtern. Vertrauenspersonen der Volksinitiative haben das Recht, in den parlamentarischen Ausschüssen angehört zu werden. Nötig sind mindestens 20.000 Unterschriften. Vorausgesetzt, unter den Initiatoren herrscht der Konsens, den Bau von Wohnungen für Flüchtlinge in Berlin generell zu ermöglichen und nicht zu verhindern, könnte eine solche Petition den Senat tatsächlich dazu bringen, eine durchdachtere und transparentere Strategie zu entwickeln. Das gegenwärtige Herumeiern hilft am wenigsten den Geflüchteten.

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