Vater und Sohn Neufert

Thomas Geuder
1. Oktober 2014
Buch-Cover «Ernst Neufert Peter Neufert»

Kein Zweifel: «Der Neufert», wie Ernst Neuferts «Bauentwurfslehre – Handbuch für den Baufachmann, Bauherren, Lehrenden und Lernenden» von Architekturschaffenden meist genannt wird, ist eines der erfolgreichsten Architekturbücher des 20. Jahrhunderts. 1936 zum ersten Mal verlegt, wurde es immer wieder überarbeitet und ergänzt. Nach dem Tod Ernst Neuferts übernahm die Redaktion des mittlerweile in der 40. Auflage erschienen Klassikers sein Sohn Peter. So ist der Neufert seit fast 80 Jahren ein unentbehrliches Instrument im Arbeitsalltag es Architekten und Planers, der hier vor allem detaillierte Beispielzeichnungen aus der Ergonomie des menschlichen Umfelds samt Normen, Maßen und Abstandsflächen sowie allerlei bautypologische Betrachtungen erhält.

Haus C, 1967 (Bild: Neufert-Stiftung, Weimar, Foto: Noshe / Andreas Gehrke)

Natürlich waren die Neuferts auch Architekten, die zahlreiche Bauten realisiert haben. Ab 1953 arbeiteten Vater und Sohn sogar im gemeinsamen Architekturbüro, doch bereits zwei Jahre später schied Peter nach Auseinandersetzungen aus dem Büro wieder aus. Die architektonische Geschichte der beiden ist durchaus als zwei parallele Linien zu betrachten, die stets in besonderer Beziehung zueinander standen. Ernst Neuferts Verständnis von Architektur ist stark geprägt von der Rationalisierung des Bauens, was sich letztendlich auch in der «Bauentwurfslehre» zeigt. Auf diesem Boden lernte auch der Sohn Peter sein Handwerk; er studierte Architektur an der TH Darmstadt, wo sein Vater eine Professur inne hatte. Doch Peter wollte Gebäude planen, die nicht der Bauentwurfslehre entsprangen, sondern eher das Formale in der Architektur darstellten. So ist die Geschichte von Ernst und Peter Neufert nicht nur die eines berühmten Vaters und seines Sohnes, sondern steht gewissermaßen für die Geschichte der Architektur, die nach dem Dritten Reich in der Moderne zwar ihren Anknüpfungspunkt fand, für die heranwachsende Generation jedoch eine Sackgasse war. Sie suchte nach neuen Formen, in denen die neue Gesellschaft ihren Ausdruck fand.

Herkules Hochhaus, 1972 (Bild: Neufert-Stiftung, Weimar, Foto: Noshe / Andreas Gehrke)

Anhand aktueller, teils großformatig abgebildeter Fotografien des Architekturfotografen Noshe / Andreas Gehrke erzählt das Buch «Ernst Neufert Peter Neufert» die Geschichte um diese beiden Architekten durch ihr Werk. Das Buch «ist eine Neusichtung des architektonischen Werks […], ein Versuch der Dokumentation und Betrachtung», beschreiben Nicole Delmes und Johannes Kister (der die «Bauentwurfslehre seit Peter Neuferts Tod im Jahr 1999 fortführt) in ihrem Vorwort. Der Band dokumentiert den Istzustand von 14 ausgewählten Bauprojekten der beiden Architekten und führt die Qualität und Bedeutung ihrer Entwürfe vor Augen. Neben einem Studium der hochwertigen Aufnahmen sind die Texte von Michael Kasiske (Vater und Sohen. System und Erergnis), Johannes Kister (Das Quelle-Großversandzentrum. Ein Gesamtkunstwerk) und Lilian Pfaff (Einflüsse, Vorbilder und Regionale Adaprionen) sehr zu empfehlen. «Ernst Neufert Peter Neufert» ist ein gelungenes Werk, in dem man ein Vielfaches mehr über die Disziplin Architektur lernen kann, als das bloße Bauen.

Wasserbauhalle, 1954_55 (Bild: Neufert-Stiftung, Weimar, Foto: Noshe / Andreas Gehrke)

Nicole Delmes, Johannes Kister, Lilian Pfaff (Hg.)
Ernst Neufert Peter Neufert
Erschienen 2014 beim Hatja Cantz Verlag, Ostfildern
Mit Texten von Michael Kasiske, Johannes Kister, Lilian Pfaff
21,40 x 28,10 cm, 176 Seiten, 121 größtenteils farbige Abbildungen, Broschur
Deutsch und Englisch
39,80 €

ISBN 978-3-7757-3812-5.

Appartmenthaus Europa-Terrassen, 1978 (Bild: Neufert-Stiftung, Weimar, Foto: Noshe / Andreas Gehrke)

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