Scheitern Großbauprojekte am Tunnelblick?

10. Juni 2015
Elbphilharmonie in Hamburg (Bild: Astrid Götze-Happe / pixelio.de)

Der Berliner Flughafen, die Elbphilharmonie, Stuttgart 21 – Prestigeprojekte und Millionengräber, die nicht nur beim Laienpublikum für Kopfschütteln sorgen. Hätte man die Probleme nicht vorhersehen müssen? Wie kann man sich bei veranschlagten Budgets in solchen Höhen verkalkulieren? Ist da so wenig Sachverstand am Werk, oder wollte man es schlicht nicht besser wissen?

Was Bauchgefühl und Allgemeinwissen schon lange vermuten, hat jetzt ein wissenschaftliches Fundament erhalten: Wissenschaftler der TU Darmstadt haben in einer Studie untersucht, wie kognitive Verzerrungen bei Entscheidungsträgern von Großbauprojekten zu Fehlentscheidungen führen können – die wiederum häufig Kosten- und Zeitplanungen sprengen. Dazu befragte das Team um Andreas Pfnür und Kevin Meyer vom Fachgebiet Immobilienwirtschaft und Baubetriebswirtschaftslehre 240 Manager aus der Immobilienbranche, darunter ebenso Vertreter des Finanzsektors und Dienstleister aus der Immobilienwirtschaft wie Bauunternehmen und Akteure der öffentlichen Hand.

Die Ergebnisse der Studie, die in Zusammenarbeit mit dem Institut der Deutschen Immobilienwirtschaft e. V. und dem Bundesverband Public Private Partnership entstand, überraschen wenig: Die Umsetzung eines Prestigeprojekts führt häufig zu einem «Tunnelblick», der Risiken unter- und die Möglichkeiten überschätzt. Überraschend ist jedoch, dass gerade Projektmanager aus der öffentlichen Hand mit Abstand den größten kognitiven Verzerrungen anheim fallen, während Entscheidungen in Bauunternehmen deutlich rationaler getroffen werden. «In Verwaltung und Politik werden Entscheider massiv daran gemessen, ob ein Prestigeprojekt verwirklicht werden kann. Daher sind die Manager bereit, deutlich höhere Risiken einzugehen – oder sie verdrängen sie», so kommentiert Pfnür diese Beobachtungen. Die emotionale Facette sei bei privaten Bauunternehmen hingegen weniger ausgeprägt: «Die Unternehmen wollen Geld verdienen, und wenn das Projekt gegen die Wand fährt, zahlt der Auftraggeber nicht.»

Und noch eine Überraschung hat die Studie der Darmstädter ergeben: Gerade erfahrene Projektleiter entwickeln oft einen besonderen «Tunnelblick» – ihre Erfahrung führt zwar zu größerer Genauigkeit bei Entscheidungen, sie lässt sie jedoch, so Pfnür, auch Risiken unterschätzen. Habe jemand bereits viele Entscheidungen im Verlauf seines Berufslebens getroffen und Erfahrungen gesammelt, sei sein Bild der Abläufe in der Branche geprägt und die Offenheit für neue Informationen oder das Unerwartete nehme ab. Der Wissenschaftler spitzt gar zu: «Je mehr Berufserfahrung, je mehr Fachwissen, je höher in der Hierarchie, desto größer die Neigung, sich zu überschätzen.»

Ließen sich solche Situationen vermeiden? Die Darmstädter Forscher zumindest sprechen Bauentscheidern verschiedene Empfehlungen aus. So sollten sich diese bewusst machen, dass Entscheidungen nicht immer rational getroffen werden und sich dahingehend hinterfragen. Hilfreich sei es auch, Entscheidungen prinzipiell nicht alleine zu treffen, sondern auch der Sichtweise von jüngeren und weniger berufserfahrenen Projektbeteiligten systematisch Raum zu geben. Für den Nachwuchs doch eine ermutigende Nachricht. tg

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