Nur einen einzigen guten Stuhl

Thomas Geuder
29. Oktober 2014

«Ein Stuhl ist ein sehr schwieriger Gegenstand. Wer jemals versucht hat, einen Stuhl zu entwerfen, weiß, wovon ich spreche. Es gibt endlose Möglichkeiten und viele Probleme – der Stuhl muss leicht sein, stabil und bequem. Es ist fast einfacher, einen Wolkenkrater zu entwerfen als einen Stuhl.» Wie Mies van der Rohe haben sich in der Vergangenheit nahezu alle Designer und Architekten am Entwurfsthema Stuhl versucht. Eine der produktivsten Ideenschmieden in Hinblick auf Möbel- und vor allem Stuhldesign war die Werkstatt des Dänen Hans Jørgensen Wegner (1914-2007), in dessen Nachlass sich rund 3'500 Möbelentwürfe finden. Rund 500 davon gingen in Produktion, darunter Klassiker wie der Y-Stuhl von 1950, der Schalenstuhl CH07 oder der mittlerweile nur noch schlicht «The Chair» genannte runde Stuhl (1949), der Sitzgelegenheit von John F. Kennedy wie auch Richard M. Nixon während der ersten vom Fernstehen übertragenen Sendung zum Präsidentenwahlkampf.

Hans J. Wegner inmitten seiner Stühle (Foto: Hans J. Wegners Tegnestue I/S)

Der gelernte Möbeltischler Wegner schuf die eleganten und zugleich funktionalen Prototypen zumeist selbst von Hand und ging dabei oft an die Grenzen des mit Holz Machbaren. Anfangs noch ein dänischer Taditionalist, wurde Wegner schon bald zum Modernisten, und sein wegweisendes, internationales Design ist auch heute noch zeitgemäß. Jedes einzelne Möbelstück ist dabei als Teil eines langen Lebensprojektes entstanden, dessen Dreh- und Angelpunkt die Suche nach dem Möbel war, oder in Wegners eigenen Worten: «nur einen einzigen guten Stuhl». Wegner blieb zeitlebens dem Werkstoff Holz und der Schreinertradition treu, während andere Designer seiner Zeit – wie etwa Charles Eames, den Wegner bei seiner eigenen Restrospektive 1959 in New York traf – sich vor allem mit den neuen industriellen Materialien auseinandersetzen. Dennoch (oder gerade deswegen) hat jeder Designliebhaber einen ganz persönlichen Favoriten unter Wegners Stühlen.

Der Y-Stuhl CH24, 1950 (Foto: Hans J. Wegners Tegnestue I/S)

Das Buch «WEGNER – just one good chair» ist eine umfassende, reich bebilderte Retrospektive und zeigt nicht nur unzählige Entwürfe aus Wegners Feder, sondern spannt auch den Bogen von der Schusterwerkstatt des Vaters, in der sich Wegner von klein auf für die Werkzeuge begeisterte, über die Zeit als Schreinergeselle und seine Ausbildung an der Kunsthandwerkschule in Kopenhagen bis hin zur selbständigen Arbeit als Designer. Der Autor Christian Holmsted Olesen greift dabei zurück auf das bereits zuvor von ihm erarbeitete Buch über Hans J. Wegner aus der Serie «Dänische Designer» sowie auf Filminterviews mit Wegner persönlich und mit Menschen aus Wegners direktem Umfeld. Entstanden ist so eine Monografie mit zahlreichen Dokumenten aus Wegners Architekturbüro, das seine Arbeit analysiert und sich mit den Möbeltypen, Leitmotiven und Designmethoden auseinandersetzt. Ausführliche Bildunterschriften und kompakte Texte zur Vertiefung machen das Werk zu einem idealen Begleiter in der nächsten Kreativ-Kaffeepause. tg

Das Buch begleitet die gleichnamige Ausstellung im Designmuseum Danmark in Kopenhagen, die noch bis zum 7. Dezember 2014 zu sehen ist.

Christian Holmsted Olesen
WEGNER – just one good chair
Erschienen 2014 im Hatje Cantz Verlag, 256 Seiten, 300 Abbildungen, 25,80 x 32,70 cm, Hardcover mit Leinenbezug
ISBN 978-3-7757-3808-8
49,80 €

Mehr Infos hier

Skizze des CH24 Y-Stuhls (Foto: Hans J. Wegners Tegnestue I/S)
Der Stuhl und Kennedy, 1949 (Foto: Hans J. Wegners Tegnestue I/S)

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