Leben in Hütten

Thomas Geuder
4. Februar 2015

Als der Mensch die Höhle als Behausung verlassen und sich aus einfachen Materialien die «Urhütte» – wie sie heute gern genannt wird – baute, war das im Prinzip die Geburtsstunde der Architektur. Seitdem hat sich freilich viel getan in Sachen Baukultur – heute leben wir in hochtechnologisierten Gebäuden in Mega-Cities. Hier entspringt die Architektur längst nicht mehr Vorbildern der Natur, sondern ist voll und ganz auf Funktionalität ausgerichtet. Viele Metropolen pulsieren wie Maschinen, in denen Menschen und Waren wie in überdimensionalen Leitungen transportiert werden.

Aires Mareus, Cabanas no Rio Huts (Foto: Nelson Garrido / TASCHEN)

Kein Wunder also, dass immer mehr Menschen dieser künstlichen Lebensumstände Überdruss sind und Zuflucht in einem Wohnraum fernab der verdichteten und optimierten Zivilisation suchen. Einer der bekanntesten und ersten war im Jahr 1845 Henry David Thoreau, der zwei Jahre, zwei Monate und zwei Tage in einer Hütte am Walden Pont in Massachusetts verbrachte und seine Erlebnisse später in dem Buch «Walden. Oder Leben in den Wäldern» beschrieb. Beim Bau einer Behausung für ein solches Vorhaben geht es vor allem um die Frage, was man zum Wohnen und Leben tatsächlich braucht. Schließlich soll eine minimierte, isolierte Bleibe entstehen mit geringen Auswirkungen auf die Natur. Für ein Leben im Einklang mit der Umwelt.

Studio WG3, Hypercubus (Foto: Lupi Spuma / TASCHEN)

Der Autor Philip Jodidio – ehemaliger Chefredakteur der französischen Kunstzeitschrift «Connaissance des Arts» und Autor der Buchreihe «Architecture Now!» sowie zahlreicher Architekten-Monografien – erkundet sich mit seinem neuen Werk «Cabins», wie der Gebäudetypus der «Hütte» dem kreativen Denken besondere Möglichkeiten eröffnet: Die Ausstattung des Raums wird bei der Hütte durch den Verzicht auf jegliches Übermaß auf das Lebensnotwendigste beschränkt und bietet zugleich entsprechend ihrem Standort umweltfreundliche Lösungsansätze an. Diese Komprimierung auf das Wesentliche hat in der Vergangenheit bereits zahlreiche Architekten zu eigenen Entwürfen gereizt, die teilweise als Auslotung des Machbaren verstanden werden müssen und teilweise tatsächlich funktionieren. Dabei geht es, wie die Beispiele im Buch zeigen, nicht unbedingt immer um den Wettlauf nach dem kleinsten benutzbaren Raum. Auch größere Wohnflächen haben Vorbildfunktion, wenn sie im Einklang mit ihrer Umgebung entworfen und gebaut sind.

Renzo Piano, Diogene (Foto: Der Raumjournalist Thomas Geuder)

Philip Jodidio ist ein Buch gelungen, das große Freude am Schmökern in der Kaffeepause macht. Die insgesamt 61 gezeigten Projekte zeigen die Vielfalt, mit der die Bauaufgabe der Hütte umgesetzt werden kann. Jedes Bauwerk ist mit großen Bildern über mehrere Seiten beschrieben, kurze Texte führen in den wichtigsten Entwurfsgedanken ein, farbige Pläne zeigen den Grundriss. Augenfällig sind die zeitgenössischen Illustrationen der Französin Marie-Laure Cruschi zu Beginn jeder Projektbeschreibung, mittels der die Hütten in einen vergleichbaren visuellen Maßstab gehoben werden. Ein Buch zum Staunen, ein Buch zum Nachdenken und ein Buch zum Überdenken des eigenen Daseins. tg

Eggleston Farkas, Methow Cabin (Foto: cruschiform / TASCHEN)

Philip Jodidio
Cabins
Erschienen 2014 im Verlag Taschen GmbH, Köln
464 Seiten, 24 x 32 cm, zahlreiche Farbabbildungen, Hardcover
49,99 €
ISBN 978-3-8365-5026-0

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