Kleine Häuser ganz groß

Thomas Geuder
30. April 2014
Buchcover

Kleine Häuser faszinieren. Weil sie der Umwelt wenig Raum nehmen und dem Bewohner ein Höchstmaß an räumlicher Flexibilität abverlangen. Im Idealfall können sie all das, was große Häuser auch können: ein guter Ort für deren Bewohner und Nutzer sein. Damit das gelingt, muss der Architekt resp. die Architektin besonders sorgfältig und ausgeklügelt entwerfen. Längst tun das nicht nur unbekannte Talente, auch zahlreiche international renommierte Größen widmen sich gerne dem Thema «Small Houses». Für den Architekten ist das Zusammenbringen sämtlicher Wohnfunktionen auf kleinem Raum eine Herausforderung zum Knobeln. Dabei sind kleine Häuser oft nur schlichte Notwendigkeit, weil etwa das Budget knapp ist. In Städten wie dem japanischen Tokio, zum Beispiel, mit extrem hohen Grundstückspreisen, ist das finanziell Machbare schnell erreicht. Die großen Umbrüche auf der Bühne der Weltwirtschaft leisten ihr Übriges dazu.

Kota Mizuishi, Riverside House Suginami, Tokyo, Japan. (Foto: Hiroshi Tanigawa/TASCHEN)

Ein weiterer Grund für kleine Bauten ist oft eine (vor allem im Westen geführte) Debatte um die Suffizienz. Wie viel soll und darf der Mensch haben, wie viel verbrauchen in einem Land, in dem grundsätzlich alles möglich ist? Die sinnvolle Verkleinerung ist für viele längst zur Tugend geworden, in der doch auch wieder eine gewisse, wenn auch gesellschaftliche Not steckt, etwa beim Thema «Zukunft der Energieversorgung». So erkennen viele Architekten, die vor einigen Jahren noch diese kleineren Aufträge abgelehnt hätten, in der Verkleinerung eine Verlockung, einen glücklichen und notwendigen Beitrag zur Suffizienz-Debatte leisten zu können.

REX, Madison Avenue (Doll)House, New York, New York, USA. (Foto: James Lattanzio/TASCHEN)

Das Buch «Small – Kleine Bauten» ist mittlerweile das 12. Buch in der Reihe «Architecture Now» des Kölner Verlags Taschen, allesamt verfasst von Philip Jodidio, ehemaliger Chefredakteur der französischen Kunstzeitschrift Connaissance des Arts und Autor einiger Monografien über namhafte Architekten wie Tadao Ando, Jean Nouvel oder Zaha Hadid. In bewährter Coffee-Table-Tradition werden zahlreiche Projekte in großformatigen Bildern und erläuternden Projekttexten vorgestellt, teilweise mit Plänen ergänzt. Ihnen allen ist gemein, dass sie auf die Frage nach dem Kleinen eine Antwort suchen – und auch finden. Die Auswahl der Projekte ist breitgefächert und entwickelt sich mal aus der Tradition heraus, mal aus Not, mal sind es kleine Bauwerke für Kinder, mal Gebäude der Öffentlichkeit wie etwa Toilettenhäuschen. Japan ist dabei – wenn auch im Buch zahlreich vertreten – natürlich nicht die einzige Nation, die zum Bau kleiner Wohneinheiten neigt. Die Bevölkerungsdichte eines Landes wie etwa die der Niederlande leistet bereits seit längerem dem Entwerfen und Errichten kleiner Häuser Vorschub. Manchmal überschreitet ein Entwurf sogar die Grenze zur Kunst. Und man stellt sich die Frage, was in der Architektur überhaupt unter «klein» zu verstehen ist. Schmal? Abhängig davon, um welche Art Gebäude es sich handelt?

Terunobu Fujimori, Beetle's House, Victoria & Albert Museum, London, UK. (Foto: Courtesy of Victoria and Albert Museum, London/TASCHEN)

Die meisten Gebäude in diesem Buch haben eine Grundfläche von weniger als 100 m². In Ländern wie Vietnam, wo viele Häuser weniger als 10 m² messen, mag eine solche Zahl luxuriös anmuten. Architekten wie Toyo Ito haben hingegen postuliert, dass die städtische Verdichtung in Japan und die Lösungen, die dafür gefunden werden, sehr wohl ein Modell für zukünftige Stadtentwicklung weltweit sein könnte. Wird es vielleicht schon sehr bald so sein, dass man sich darüber freut, auch nur ein paar Quadratmeter Privatsphäre zu haben?

Eine Auswahl der im Buch gezeigten Architekten:
Shigeru Ban, Baumraum, Olafur Elisasson, Shuhei Endo, Terunobu Fujimori, Sou Fujimoto, Jorge Garcia Garcia,  HWKN, Arata Isozaki, Toyo Ito, Kengo Kuma, Fernando Romero, Kazuyo Sejima, Álvao Siza and Eduardo Souto de Moura, Studio Mumbai, UNStudio

Freude am kleinen Haus, Hansjürgen Besinger, Verlag L. Schwann Düsseldorf 1948.

Architecture Now! Small
Kleine Bauten / Petite Architecture
Philip Jodidio
Erschienen im Verlag Taschen
Hardcover, 21,5 x 27,4 cm, 416 Seiten
€ 39,99

Link zum Buch beim Verlag Taschen

PS: Im Redaktionsbücherregal haben wir einen 32-seitigen Vorläufer des oben beschriebenen Buchs gefunden: Die Freude am kleinen Haus, erschienen 1948 im Verlag L. Schwann Düsseldorf. Der Autor Hansjürgen Besinger gibt seinem Büchlein den Claim «Über die Möglichkeit einer künftigen Wohnform» und beschreibt dort ein Haus mit knapp 60 m² überbauter Fläche und einem typischen Raumprogramm: «Eine Familie, Eltern und drei Kinder, soll mit bescheidenen Mitteln so untergebracht werden, dass trotz der Not unserer Zeit ein auf die Dauer vernünftiges, unseren kulturellen Bedürfnissen entsprechendes Wohnen gewährleistet ist.» Gewidmet ist es: seiner «lieben Frau und all denen, deren sehnlichster Wunsch es ist, wieder ein eigenes Heim zu haben.»

Andere Artikel in dieser Kategorie