Kino in Indien

Thomas Geuder
12. November 2014
Anna Mallai, Madurai (alle Bilder: Haubitz-Zoche)

In Indien ist der Kinofilm mehr als nur eine Beschäftigung am Samstagabend. Die Leinwandhelden prägen mit dramatischen, romantischen oder auch actionreichen Geschichten maßgeblich den indischen Alltag. Oft sind es eben diese Geschichten, die Menschen als Vorbild für das eigene Verhalten und den Umgang mit den Mitmenschen dienen, die ihnen Hilfe für Bewältigung des Alltags sind, die aber auch viel Raum für Träume und Träumereien bieten. Nicht erst seit dem Bollywood-Boom der letzten Jahre sind das Kino und die Welt des Films ein relevanter Faktor und ein gesellschaftlicher Indikator innerhalb der indischen Kultur. Jährlich entstehen hier rund 1200 Filme in 24 Sprachen, womit der Subkontinent in dieser Hinsicht die führende Nation der Filmindustrie ist, die überall in der Welt ihre Spuren hinterlässt.

Saptagiri, Hyderabad

Diesem Phänomen auf architektonisch-fotografischer Ebene nähern sich nun die beiden Künstlerinnen Sabine Haubitz (†) und Stefanie Zoche in einer Ausstellung in der Galerie Nusser & Baumgart in München. Zu sehen sind dort Aufnahmen von Kinogebäuden in Südindien, die in den Jahren 2011 bis 2013 entstanden sind. Die Serie «Hybrid Modernism. Movie Theaters in South India» untersucht die Rezeption und Neuinterpretation westlicher Einflüsse in Südindien und will mit feinfühliger Annäherung und scharfem Blick die ästhetische Qualität dieser außergewöhnlichen Gebäude enthüllen. Zu sehen sind Filmtheater, deren Architektur auf einer ungewöhnlichen, fast schon irritierenden Mischung aus westlichen Einflüssen und lokalen Baustilen basiert.

New Theatres, Trivandrum

Die Rezeption modernistischer Architektur wurde maßgeblich durch Le Corbusiers Bauprojekte in Indien in den fünfziger Jahren inspiriert und spiegelt sich auch in den Gebäuden einheimischer Architekten wider. Bei den südindischen Kinogebäuden ist dieser Einfluss deutlich erkennbar, wird aber von Elementen durchbrochen, die aus westlicher Sicht eher als «anti-modernistisch» bewertet werden. Sie gehen auf die traditionelle indische Architektur ebenso zurück wie auch auf das einflussreiche Art Déco. Starke Farbigkeit, auffälliger bauplastischer Schmuck und das in der Moderne vehement abgelehnte Ornament der Arabeske bleibt hier vor allem in den Interieurs eine häufige Dekorationsform. Kurzum: Bei den indischen Kinogebäuden handelt es sich um eine kulturell geprägte Neuinterpretation des modernen Baustils, die nicht nur von der beschriebenen Hybridität gekennzeichnet ist, sondern auch von einer stark kulissenhaften Wirkung der Architektur. Oft erscheinen die Fassaden wie Attrappen, die dem Baukörper vorgesetzt wurden, womit die den Kinofilm bestimmende Funktion der Kulisse und der damit einhergehende, für die filmische Präsentation relevante Prozess der Immersion aufgegriffen wird und bereits außerhalb des Kinosaals zum Tragen kommt.

Shanti, Hyderabad

Die Ausstellung «Hybrid Modernism. Movie Theaters in South India» von Haubitz + Zoche ist in der Galerie Nusser & Baumgart in München noch bis 20. Dezember 2014 zu sehen. Eine Publikation zur Werksreihe ist in Vorbereitung. tg

Tharangam, Karunagappally
Saravanna, Chennai

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