Kunstpreis für Projekt in einem Liverpooler Stadtquartier

Assemble gewinnt Turner Prize 2015

Oliver Pohlisch
8. Dezember 2015
Haus in der Cairn Street in Granby4Street. Assemble plant in ihm einen Wintergarten, Foto: Oliver Pohlisch

Gemeinsam mit den BewohnerInnen arbeitet Assemble an der Wiederbelebung des Viertels, das jahrzehntelang zum Komplettabriss vorgesehen war und durch den behördlich forcierten Wegzug von MieterInnen und HauseigentümerInnen bis heute unter einem hohen Leerstand leidet. Wir hatten im Juni darüber berichtet, wie die wenigen in Granby4Street Gebliebenen sich erfolgreich gegen den Kahlschlag wehrten und einen Community Land Trust gründeten, der nun einige der Häuser im Quartier besitzt. Assemble bewerkstelligt die Sanierung dieser Gebäude, von denen einige schon durch Neumieter bezogen worden sind. Kommunale Wohnungsbaugesellschaften und eine Genossenschaft konnten dafür gewonnen werden, sich ebenfalls an der Rekonstruktion von Granby4Street zu beteiligen.

Die Verkündung des Preisträgers fand im schottischen Glasgow in der Kunsthalle Tramway statt. Neben den Werken der anderen Nominierten hat Assemble dort eine Attrappe des Innenraums von einem der Häuser in Granby4Street errichtet, gefüllt mit Keramik, Hockern, Türgriffen und weiteren Einrichtungsgegenständen, die Assemble zusammen mit den Bewohnern und Bewohnerinnen des Quartiers für die Häuser des Community Land Trust entworfen hat. Die Objekte werden aber auch zu erschwinglichen Preisen verkauft, um Geld für weitere Projekte im Viertel zu generieren. Die Ausstellung ist noch bis zum 17. Januar 2016 geöffnet.

Gruppenfoto von Assemble (2014), Foto: Assemble

Schon die Nominierung von Assemble für den Turner Prize 2015 war eine große Überraschung, da das Kollektiv sich sowohl mit dem partizipativ angelegten Langzeitprojekt in Granby4Street als auch mit seinen vorangegangenen Arbeiten doch recht weit weg von derzeit gängigen Kunstpraxen befindet. Es schafft keine Artefakte, inszeniert keine Performance und seine architektionischen Interventionen dienen trotz der mit ihnen verbundenen ästhetischen Erwägungen zuvorderst der sozialen Interaktion.

Naheliegender wäre es gewesen, das Royal Institute of British Architects hätte Assemble auf die Shortlist des diesjährigen Stirling Prize gesetzt. Das war nicht passiert. Die Vergabe des mit 25.000 Pfund dotierten Turner Prize an Assemble kann daher als Kritik am herrschenden Architekturdiskurs in Großbritannien gelesen werden, in dem ein schöner Solitär nach wie vor mehr Würdigung erfährt als etwa gelungene gleichberechtigte Kooperationen zwischen ExpertInnen und NutzerInnen im Bauprozess. Die Jury hat mit ihrer Entscheidung den diesjährigen Turner Prize aber auch dem üblichen Spiel der Wertsteigerung des Siegers auf dem Kunstmarkt gezogen, da Assemble hier eben gar kein Akteur sein möchte.

Die Auszeichnung von Assemble für die Zusammenarbeit mit den BewohnerInnen bei einer Regenerationsmaßnahme, die «das Gegenteil privatwirtschaftlich betriebener Gentrifizierung darstellt», so die Begründung der Jury, stieß in den Medien auf ein positives Echo. In der Tageszeitung «The Guardian» wies aber Adrian Searle zu recht darauf hin, dass ein so erfolgreiches Projekt von unten, wie Granby4Street es sei, den Staat bloß nicht dazu animieren sollte, sich noch weiter aus seiner generellen Verantwortung für die Verbesserung der sozialen Lage in den Städten zu ziehen. Nicht bei jedem ums Überleben kämpfenden urbanen Quartier in Großbritannien sei schließlich ein Assemble-Kollektiv als helfende Hand zur Stelle.

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