Wohin führt diese IBA?

Christian Holl, Martin Kohler
20. März 2013
Symbol für den energetischen Umbau des Quartiers: Der Energiebunker in Wilhelmsburg (Architekten: Hegger Hegger Schleiff HHS Planer+Architekten). (Bild: Christian Holl) 

Die ersten Besucher der IBA 2013 müssen vorerst mit einer Baustelle vorliebnehmen, denn weder sind bislang alle Gebäude fertiggestellt, geschweige denn überall die Arbeiten an den Außenanlagen beendet. Das gilt am augenscheinlichsten für das Areal "Am Inselpark", hier sind die Häuser versammelt, mit denen die architektonischen Antworten auf gegenwärtige und zukünftige Herausforderungen für die Städte gegeben werden sollen: ökologisches Bauen, Bauen für Menschen mit wenig Kapital, anpassungsfähige Architektur, Experimente mit neuen Materialien. In einem wahren Feuerwerk von Öffentlichkeitsarbeit, Ausstellungen und Publikationen hatte die IBA allerdings schon vorher deutlich gemacht, dass es hier – wie schon bei den vorangegangen IBAs in Sachsen-Anhalt, im Ruhrgebiet und im Fürst-Pückler-Land – nicht um eine überschaubare Bauausstellung geht, wie sie noch das Hansa-Viertel in Berlin oder die Weißenhof-Siedlung in Stuttgart gewesen waren.
Umweltfreundliche Energieversorgung für ganze Stadtquartiere, eine Qualitätsoffensive für den öffentlichen Raum (auch, aber nicht nur durch die 2013 ebenfalls in Wilhelmsburg stattfindende Internationale Gartenschau igs), das Zusammenleben von Menschen verschiedener Herkunft und Nationalität, Förderung der Kreativwirtschaft, Mobilität, Bildung als integraler Teil der Stadtentwicklung: Es gibt kaum ein Thema des Städtebau- und Architekturdiskurses, dessen sich diese IBA nicht angenommen hat. Unter anderem mit thematischen Exkursionen und Kongressen will man diese Diskurse weiterführen: am 9. April geht es um "Neue Energien für die Stadt", am 20. und 21. Juni um Stadtentwicklung, über "Wege des Wohnungsbaus" wird am 23. und 24. August debattiert, das Finale wird am 30. Oktober stattfinden. In sieben üppigen und meist auch sehr ergiebigen Buchveröffentlichungen etwa über das Thema Ressourcen oder Zivilgesellschaft wurden die Themen der IBA in einem nationalen und internationalen Kontext verortet. So weit so gut.

Anfang 2013 ist noch einiges provisorisch – dennoch kann sich die Bilanz der IBA Hamburg sehen lassen. (Bild: Christian Holl) 

Einhelliges Urteil über diese IBA ist, auch unter Personen, die sie von Anfang an aus der Nähe mitverfolgt haben, dass sie "vieles richtig gemacht" habe. Prozesse, die sich lange hingezogen hatten – schon vor der IBA war Wilhelmsburg, der vermeintlich vernachlässigte Stadtteil südlich der Elbe, im Fokus der Stadterneuerungsinitiativen gewesen – wurden beschleunigt, man hat die auf die nördlich der Elbe fixierte Wahrnehmung auf die Areale im Süden gelenkt. In einer besonderen Aktivierung der Potenziale künstlerischer Aktivitäten hat die IBA vielleicht gerade mit dieser Entdeckung eines zuvor schlichtweg ignorierten Stadtteils und der Initiativen, die dort entwickelt worden waren, Wichtiges geleistet, Wichtiges, das im Trubel des Präsentationsjahrs droht, unter Gebühr berücksichtigt zu werden.

Neuer Zugang zu Planung durch Kunst
So war die erste Phase der IBA kurz nach der Jahrtausendwende geprägt von einer besonderen Art des Entdeckens. Wilhelmsburg war zwar nicht der vergessene Stadtteil Hamburgs, sondern zuerst ein peripherer Abladeplatz für ungeliebte Nutzungen, dem man gerade noch "besonderen Entwicklungsbedarf" zugestanden hatte. Die vorhandenen Potenziale (zentraler, gut erschlossener Wohnstandort, sehr guter Landschaftsbezug) wurden ignoriert. Mit der Gründung einer IBA für Wilhelmsburg und die Veddel sollte der damalige "soziale Brennpunkt" entschärft werden. Anders, als Senat und Behörden es können, integrierte die IBA Kulturformate in die Stadtentwicklungsarbeit. Innerhalb der ersten Jahre wurde eine ganze Reihe interessanter Orte sichtbar gemacht, lokale Institutionen entdeckt, die bisher verborgen geblieben waren. Neben dem Kunstverein Harburger Bahnhof und der Honigfabrik tauchten vermehrt Projekte auf, in denen die Grenze zwischen Kunst und Stadtaktivismus fließend blieb, wie etwa die Konspirativen Küchenkonzerte oder die Soulkitchenhalle.

Performance der argentinischen Künstlergruppe Ala Plástica am Zollzaun: Sie luden Anwohner und Spaziergänger ein, die Leiter zu erklimmen und zu notieren, was sie auf der anderen Seite des Zollzaunes sehen. (Bild: Alejandro Meitin) 

Mit diesem neu entdeckten Potenzial wurde es möglich, durch Kunst ebenso wie über die Kritik durch Kunst die IBA-Themen anders aufzugreifen, als es ursprünglich intendiert gewesen sein mag. Die Kuratoren Anke Haarmann und Harald Lemke reagierten etwa in ihrer Ausstellung "Kultur | Natur" (2008) auf das IBA-Leitthema "Stadt im Klimawandel", beispielsweise mit Interventionen der Gruppe Critical Art Ensemble, die die Wasserqualität der Kanäle als partizipatorisches Kartierungsprojekt messen ließ. Die Künstlerin Nana Petzelt erklärte ein Biotop inmitten der Schwerindustrie im Hafen zum Atelier und Beobachtungsort der Kunst. Ute Vorkoeper und Andrea Knobloch griffen mit der Ausstellung "Zeichen von Respekt" das IBA-Leitthema Kosmopolis auf als Fragen zur kulturellen Diversität und Wertschätzung beziehungsweise Marginalisierung unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen. Diese neue Deutung von Themen der IBA durch die Mittel der Kunst sind gelungene Versuche, andere Zugänge zu geben, andere Fragen zu stellen und dabei breitenwirksam abstrakte Begriffe zur Diskussion zu stellen, wie es die Planung nicht könnte. Dabei wurde unter dem Einfluss von Richard Floridas "Creative Class"-Paradigma ein Lernprozess in Richtung auf ein damals noch neues Stadt-Kunst-Verhältnis vollzogen. Der Kunst wurden nun zumindest bei den von der IBA unterstützten Projekten Freiräume zugestanden, anstatt dass man sie für andere Ziele zu vereinahmen suchte.
Aus einem Gutachten von Werner Steinke "promenade der kunst – mit kunst und kultur von der alster über die igs nach harburg" entstand ein Prozess, den die IBA nun zu Ende führt. 1999 verfasst im Auftrag des damaligen Senators Wilfried Mayer, wurde das Gutachten zur Blaupause für eine Entwicklungsvision, die nicht als Städtebau, sondern mit Kunst und Wissenschaft den Norden und Süden der Stadt zusammenführen wollte. Die Qualität der IBA kann auch darin gesehen werden, diese Entwicklungen intelligent aufgegriffen zu haben. Sie hat aber auch hinderlichen Ballast abgeworfen und beispielsweise den ursprünglichen Slogan "Sprung über die Elbe" durch "Stadt neu bauen" ersetzt.

Es stellen sich Fragen
Ganz pragmatisch hat man die Gunst der Stunde genutzt, etwa bei der Verlegung der Zollgrenze im Binnenhafen und die voraussichtliche der Wilhelmsburger Reichsstraße. Die IBA hat ihr Gewicht hinter diese begonnenen Entwicklungen geworfen, mit denen aus jahrelangen Barrieren neue Qualitäten werden könnten. Sie hat etwa im Bereich der energetischen Analyse eines Stadtquartiers neue Akzente gesetzt, anschaulich gemacht, dass es dabei nicht darum gehen wird, jedes einzelne Gebäude energetisch für sich zu betrachten. Sie hat mit dem neuen Bildungszentrum "Tor zur Welt" gezeigt, dass Bildung als Teil der Stadtentwicklung mehr sein muss als ein Lippenbekenntnis, will man verhindern, dass Menschen, die ein Viertel sozial stabilisieren könnten, spätestens dann einen Stadtteil verlassen, wenn ihre Kinder in die Schule kommen.

Das Bildungszentrum "Tor zur Welt" im März 2013 (bof architekten). Kommt man zu solch vorbildlichen Lösungen nur mit einer IBA? (Bild: IBA Hamburg GmbH/ Martin Kunze) 

Und dennoch ist es für eine Bilanz zu früh, nicht nur, weil viele Gebäude nicht fertig gestellt sind. Gerade auch weil sich eine IBA-Mania breit gemacht hat (IBAs sind in Berlin, Thüringen, dem Saarland geplant, eine in Heidelberg auf den Weg gebracht, im Dreiländereck läuft derzeit die Projektauswahl), stellen sich Fragen, deren Beantwortung letztlich erst darüber Aufschluss gibt, was diese IBA tatsächlich wert ist. So scheint inzwischen das Instrument "IBA" das zu sein, das eingesetzt wird, um die Aufgaben zu lösen, die eigentlich Alltagsaufgabe kommunaler Planung sein müssten, die diese aber nicht mehr so bewältigt, wie sie es sollte. Dieses Problem wird sich nicht durch weitere IBAs lösen lassen. Was also müsste passieren, damit beispielsweise die Kompetenzen von Ressorts im Hinblick auf die Entwicklung eines Quartiers gebündelt werden können? Bedarf es einer Ausstellung in der Ausstellung als Attraktor, um die weniger ausstellungstauglichen Themen überhaupt zeigen zu können? Ist der Titel "Ausstellung" und ein daraufhin entwickeltes Programm überhaupt geeignet, die mit ihr angegangenen Probleme zu behandeln – oder müssten nicht andere Instrumente entwickelt werden, zumal für Herausforderungen, die sich auch in anderen Städten stellen? Wie groß ist der Wert der gezeigten Architektur für den Architekturdiskurs? Welche Rolle spielt das symbolische Zeichen – so etwa der Energieberg und der Energiebunker in Hamburg – für eine langfristige Entwicklung, die verstetigt werden muss, damit sie sinnvoll ist? Man sieht: Bei allem Respekt vor der Arbeit, die geleistet wurde, ihre Aufgabe hat sie am Beginn des Präsentationsjahrs noch nicht erfüllt. Wir werden sie weiter im Auge behalten.

Martin Kohler ist Fotograf und Stadtforscher, er lebt in Hamburg.

Weitere Informationen:
IBA Hamburg "Stadt neu bauen"
Programm zur Eröffnung am 22. und 23. März
Schriftenreihe der IBA
Weitere Buchveröffentlichungen der IBA
Kongresse im Präsentationsjahr 2013

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