Grenzen des Zögerns

Christian Holl
5. Dezember 2012
Sanieren, Umbauen, neue Energiequellen erschließen, mit Gestaltung Akzeptanz schaffen: Es gibt viel zu tun (Bild: Christian Holl) 

"Ein neuer Gipfel des Stillstands" war bereits vorab ein Bericht über den Weltklimagipfel in Doha betitelt. Doch je länger der Stillstand andauert, desto bedrohlicher sind die möglichen Konsequenzen. Die UN schlugen bereits Alarm: Seit 2000 hat der Ausstoß von Kohlendioxid um 20 Prozent zugenommen. Eben erst hat das Potsdam Institut für Klimaforschung festgestellt, dass der Meeresspiegel schneller steigt als erwartet. Die Weltbank veröffentlichte eine Studie, dass die Erdtemperatur sich bis zum Ende des Jahrhunderts um 4 statt der angepeilten 2 Grad erhöhen könnte – man sei auf dem besten Weg in "eine Welt mit Risiken außerhalb der Erfahrung unserer Zivilisation." Dabei kämpft in den USA eine Lobby mit beängstigendem Erfolg gegen den Klimaschutz. Die Methode, Öl- und Gas aus Schiefer zu gewinnen, das Fracking, verspricht den USA Energieautarkie – zu einem hohen Preis: Schätzungen gehen davon aus, dass der Treibhauseffekt bei der Nutzung besonders tiefliegender Schieferschichten um 50 Prozent über dem von Import-Kohle liegen könnte.
Und in Deutschland, das sich so gerne als energetisches Musterland sieht, sollen möglicherweise noch mehr energieintensive Industriebetriebe als bislang von Abgaben befreit werden, die das EEG ihnen eigentlich auferlegt. Es wird gegen den vermeintlich teuren Ökostrom polemisiert, dabei wies erst kürzlich eine Studie nach, dass die Subventionen für Kohle und Atomenergie deutlich höher sind als die für erneuerbare Energien. Das ist nur deswegen nicht so leicht zu bemerken, weil jene Subventionen nicht auf der Stromrechnung erscheinen.
Es ist schon eine gewaltig schiefe Diskussion, die nur die Kraft kostet, die notwendig ist, sich auf das wichtige Ziel zu konzentrieren: die Erde nicht unbewohnbar werde zu lassen. Sicher kommt es dabei nicht nur auf Architekten an. Aber auch Architekten und Planer können sich nicht aus der Verantwortung stehlen. Sie könnten den Klimawandel sogar als Chance begreifen.

Für den sparsamen, Energiegewinne nutzenden Umbau der Augustinerkirche in Heilbronn erhielten Pfeifer Kuhn Architekten (Freiburg) und die Katholische Kirchengemeinde St. Augustinus den Hugo-Häring-Preis 2011/2012. (Bild: Ruedi Walti) 

Nicht nur ans Sparen denken
Regelmäßig wird darauf hingewiesen, dass im Gebäudebestand ein enormes Potenzial liegt, Energie einzusparen. Die neue EneV, die vermutlich 2014 in Kraft tritt, senkt daher noch einmal den Höchstwert an (berechneter) Primärenergie, den Gebäude verbrauchen dürfen. Es ist nichts dagegen zu sagen, dass Vorschriften erlassen werden, weniger Energie aus den Versorgungssystemen in Anspruch zu nehmen. Doch erneut berücksichtigt die EnEV unzureichend, dass Gebäude selbst Energiegewinne erzielen können. Eine gedämmte Wand speichert keine Sonnenenergie, so macht Günter Pfeifer in Vorträgen und auf Podien lapidar das Paradox des Dämmens deutlich. Um seine ausgeklügelten und nicht durch hochkomplexe Technik gekennzeichneten Konzepte umzusetzen, müsse er alle Tricks anwenden, um die EnEV zu umgehen. Zudem belohnen die gängigen Honorarsysteme Architekten und Ingenieure viel zu wenig dafür, gemeinsam so entwerfen, dass der Einsatz von Technik vermieden wird.
Fixiert man sich auf das Energiesparen, gar auf das stupide (und bei der Umlage der Kosten auf die Miete mitunter auch sozial unverantwortliche) Einpacken von Gebäuden, bleiben weitere grundsätzliche Potenziale ungenutzt. Da wäre etwa die originäre Qualität von Architektur, Bilder für gesellschaftlich relevante Zusammenhänge zu prägen. Mehr noch. Gute Architekten sind in der Lage, über Entwürfe Alternativen zu formulieren: etwa zur gängigen Art, wie Gebäude genutzt werden. Das wird im Rahmen der Energiediskussion viel zu wenig berücksichtigt. Dabei gehen Menschen sowieso anders mit Architektur um, als es die Rechenmodelle suggerieren. So wurde festgestellt, dass in Altbauten der Energieverbrauch deutlich unter dem eigentlich rechnerisch unterstellten ist, in Neubauten ist er dagegen höher.

Menschen sind der Maßstab
Damit könnte die Frage, wie mit dem wertvollen Bestand umgegangen werden solle, anders beantwortet werden, als mit nachträglich aufgebrachten, gestalterisch so unbefriedigenden Dämmschichten. Die Auszeichnung „Nachhaltig Sanieren“ der Stadt Zürich zeigt, wie sich mit wenigen Eingriffen Verbesserungen erzielen lassen, ohne die soziale und kulturelle Verantwortung außer Acht zu lassen. Ein mit der Bewohnerschaft abgestimmter Mix aus haustechnischen Verbesserungen und gezielten, reduzierten Eingriffen (etwa neue Fenster, Dämmen des Dachs und der Kellerdecke) reicht mitunter aus, die Kennwerte zu verbessern, ohne dass die Bewohner die Häuser verlassen müssten, weil sie eine erhöhte Miete nicht bezahlen könnten. Dabei darf auch nicht vergessen werden, dass die genutzte Wohnfläche je Person von einkommensschwachen Haushalten deutlich kleiner als die von Gutverdienenden ist – und somit der Energieverbrauch je Person ein ganz anderer ist.

Seit 2008 sechs Mal ausgezeichnet, unter anderem für "besonderes soziales Engagement": Umbau, Sanierung und Erweiterung des Wohnquartiers Altenhager Weg, Hamburg, von Springer Architekten Berlin. (Bild: Christian Holl)  

Hier stellt sich die Frage, ob Effizienz allein der richtigen Maßstab ist. Dabei wird nicht danach gefragt, welche Menge an Energie eigentlich ausreichend ist: das rührte an das noch immer sakrosankte Wachstumsparadigma. Dass wir einen Lebensstil pflegen, der deutlich über dem steht, der noch vor wenigen Jahrzehnten völlig ausreichend war, ist nach wie vor ein Tabu. Verzicht wird allerdings den Schwachen abverlangt werden – und wenn darüber nicht gesprochen werden darf, wie sich Lasten auch des Verzichtens verteilen lassen könnten, werden sich die sozialen Spannungen verschärfen und unsere Gesellschaft weit mehr als bisher belasten.

Eine städtische, eine politische Aufgabe
Damit ist der Zusammenhang hergestellt, in den die Behandlung des architektonischen Objekts eingebunden sein muss: der städtische. Und damit ist auch offensichtlich, dass die Energiewende keine Aufgabe eines einzelnen politischen Sektors, sondern einer umfassenden politischen Koordination sein muss.
Was für die Architektur gilt, dass eine differenzierte, individuelle Lösung einer pauschalen vorzuziehen ist, gilt noch mehr für den städtischen Zusammenhang. Unterschiedliche Stadtstrukturen bieten unterschiedliche Potenziale, Energie zu sparen und regenerative Energien zu nutzen. Sie sollten entsprechend differenziert in Anspruch genommen werden. Fernwärmesysteme, die Kraft-Wärmekopplung ermöglichen, Nachverdichtung, kleinere Blockheizkraftwerke, Speichersysteme und die Nutzung regenerativer Energien:  die jeweils beste Lösung kann nicht pauschal bestimmt werden. Es tut sich (endlich) etwas: Bei der KfW ist 2012 das Förderprogramme „Energetische Stadtsanierung“ aufgelegt worden, mittels Forschungsinitiativen von Bund und Ländern wird Wissen erarbeitet, geprüft und zur Verfügung gestellt. Neue Instrumentarien, neue Formen der übergreifenden Strategien werden entwickelt. Im Rahmen der IBA Hamburg wurde gezeigt, dass mit einer abgestimmten Strategie, die die Bestände erfasst und ihre jeweiligen Potenziale nutzt, Hamburgs Stadtteil Wilhelmsburg bis 2050 Strom und Wärme fast vollständig durch erneuerbare und lokal erzeugte Energie decken kann. 
Hier liegt eine wichtige Aufgabe für Planer und Ingenieure – zusätzlich zu den bestehenden. Matthias Koziol hat in einer Publikation des BDA formuliert, dass die Voraussetzung dafür, erfolgreich energetische Stadterneuerung zu betreiben, ein solides Stadtentwicklungskonzept und stabile, verlässliche Rahmenbedingungen sind. Ein intensiver Prozess muss die lokalen Besonderheiten berücksichtigen: Besitzverhältnisse, ökonomische und soziale Lagen, Verfügbarkeit von Ressourcen. Wie mit diesen Zusammenhängen umgegangen wird, entscheidet darüber, ob die Wege zur Energiewende akzeptiert werden oder nicht. Ohne Akzeptanz wird es keine Energiewende geben.

Hamburgs Stadtteil Wilhelmsburg könnte bis 2050 Strom und Wärme fast vollständig durch erneuerbare und lokal erzeugte Energie decken. (Bild: IBA Hamburg GmbH / bloomimages) 

Damit sind auch die landesplanerischen Themen angerissen. Auch hier wäre es fatal, beim Ausbau der Netze und der Planung etwa von Windrädern die Befindlichkeiten vor Ort nicht zu berücksichtigen. Eine gute gewählte und begründete, abgewogene und sachlich stimmige Argumentation wird auch vor Bürgern bestehen. Maßgeblich ist dabei wie bei anderen Großprojekten, dass Bürger nicht erst informiert werden, wenn die Würfel gefallen sind und sie sich erst selbst Wissen aneignen müssen, um herauszufinden, wo möglicherweise der Haken liegt.
Die Aufgaben, die sich stellen, sind gewaltig. Ohne eine strukturierte und intensivierte Förderpolitik, die den klammen Kommunen Handlungsspielräume öffnet, werden sie sich nicht bewältigen lassen. Sie sind aber auch eine große Chance für Architekten – wenn sie (wie es ja einige bereits tun) die Aufgabe annehmen und sich nicht scheuen, auf Verantwortliche in Politik und Planung zuzugehen. Darauf zu warten, dass der Sturm sich legen und vorübergehen, mit einem neuen Baustoff oder einer neuen Technik sich beruhigen lassen wird, ist höchstwahrscheinlich die falsche Strategie. Und eine riskante allemal: wenn sie sich als falsch herausgestellt haben wird, ist es zu spät. Christian Holl

Literatur und weitere Information
Nachhaltig Sanieren Zürich 2012 
siehe dazu auch den Beitrag von Inge Beckel auf swiss-architects.com
Stadtbauwelt: Stadt & Energie 
BDA Veröffentlichung: Energetische Sanierung. Denken im Quartier 
der architekt: Sparen oder gewinnen?
IBA Hamburg: Energieatlas 
Franz Josef Radermacher: Welt mit Zukunft 
Claus Leggewie und Harald Welzer: Das Ende der Welt, wie wir sie kannten

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