Wohnturm aus Stein

15. Juni 2016
Der variierende Schliff der Fassade wird durch Sonnenlicht zusätzlich akzentuiert (Foto: Stefan Müller)
Worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?

Verdichtete Wohnformen wie das Wohnhochhaus werden in Deutschland gerade erst wiederentdeckt, insofern ist unser Haus vielleicht so etwas wie ein Pionierbau. Der Anspruch, den unsere Bauherrin sich in punkto Bauqualität und Nachhaltigkeit, aber auch in Sorgfalt und Tiefe der geplanten Nutzungsmischung auferlegt hat, ist wirklich außergewöhnlich und für uns ein Glücksfall. Im neuen Quartier Schwabinger Tor mit ausschließlich zu vermietenden Flächen soll gewohnt, gearbeitet, eingekauft und ausgegangen werden. Ein richtig durchmischtes und lebendiges Stadtviertel also. Theoretisch das normalste der Welt, in der Praxis das Schwierigste überhaupt.

Blick auf den Büro-und Wohnturm von Südosten (Foto: Stefan Müller)
Welche Inspirationen liegen diesem Projekt zugrunde?

Wir wollten ein einfaches und zugleich prägnantes Stadtzeichen entwickeln. Ein Haus nur aus Stein und Glas, fast eine Skulptur. Wir haben unsere architektonischen Mittel radikal auf die Reliefwirkung der Fassade konzentriert. Durch die verdeckte Anordnung der Fensterrahmen sieht man ausschließlich diese beiden Materialien, die sich in großformatigen Elementen zur Fläche fügen. Bei der Entwicklung der Fassade dienten uns gewissermaßen die Bossierungen der Renaissancefassaden als  Impuls. Durch die tief eingeschnittenen Fensterlaibungen, die angeschrägt jeweils zur rechten oder linken Seite verlaufen, haben wir ein rhythmisiertes Fassadenrelief mit einer starken Plastizität erhalten.

Wie reagiert der Entwurf auf den Ort?

Das Schwabinger Tor, nördlich der Münchner Freiheit, bildet den urbanen Auftakt zur Münchner Innenstadt und funktioniert gleichzeitig als eigenständiger Stadtteil. Durch die leichte Versetzung der neun Gebäude wurden Freiflächen geschaffen, die als Gassen und Plätze das Areal durchziehen. Unser Hochhaus ist das erste von vier Häusern, die von uns an diesem Standort realisiert werden. Gemeinsame Themen wie die Ausformulierung des Sockels, die Hervorhebung der Eingangsbereiche, die Öffnung der Erdgeschossbereiche zu den öffentlichen Außenräumen und die Fassadengestaltung auf Basis durchgängiger Grundthemen machen die vier Baukörper als eine Art Ensemble innerhalb des Quartiers erkennbar. Zur Gewährleistung einer vertikalen Nutzungsmischung sahen wir uns mit einer anspruchsvollen Wohnungsplanung konfrontiert, die wir aber schließlich umsetzen konnten.

Versetzt angeordnete Loggien verleihen der Fassade eine Rhythmisierung (Foto: Stefan Müller)
In der Abendsonne erhält der beige Naturstein eine warme Färbung (Foto: Stefan Müller)
Wie hat sich das Projekt vom ersten Entwurf bis zum vollendeten Bauwerk verändert?

Die Linie war immer klar – von der ersten Skizze bis zum fertigen Bauwerk. Die in der Planungszeit in Kraft getretene ENEV 2013 erforderte eine erhebliche Reduzierung des Verglasungsanteils. Die dadurch neue gewonnene Massivität unterstützt den skulpturalen Aspekt des Bauwerks. Das Fassadenmaterial der geschlossenen Flächen änderte sich im Laufe der Planung bis wir uns schließlich für den hellen Naturstein entschieden mit dem wir sehr zufrieden sind. 

Loggien mit weitem Ausblick über München (Foto: Stefan Müller)
Die Wohnungen sind nach dem Prinzip des Durchwohnens angeordnet (Foto: Stefan Müller)
Welche speziellen Produkte oder Materialien haben zum Erfolg des vollendeten Bauwerks beigetragen?

Als Fassadenmaterial haben wir einen hellbeigen, feinporigen Naturstein gewählt. Der Travertin verleiht dem Haus ein hochwertiges Erscheinungsbild und vermittelt zugleich einen Anschluss an traditionelle Bauwerke Münchens. So nimmt die helle Steinfassade Bezug auf die Farbgestaltung der Leopoldstraße – etwa die Farben von Friedrich von Gärtners St. Ludwigs Kirche. Die natürliche Farbchangierung der Fassade führt zu einer Lebendigkeit, die durch den speziellen Schliff verstärkt wird: Die gerade Steinseite ist feingeschliffen, während die abgeschrägte tellergestrahlte Seite etwas dunkler erscheint und eine gröbere Textur aufweist. Aufgrund der unregelmäßig eingeschnittenen Loggien und der ausgesprochenen Tiefenwirkung der Fassade erscheint das Gebäude trotz gleichmäßiger Rasterung beweglich und erhält je nach Sonnenstand eine neue Gestalt.

Lageplan (Zeichnung: Max Dudler)
Grundriss 4. Obergeschoss (Zeichnung: Max Dudler)
Schnitt (Zeichnung: Max Dudler)
Schwabinger Tor N10
2015
Leopoldstraße 180
80804 München

Nutzung
Wohn- und Geschäftshaus

Auftragsart
Wettbewerb

Bauherrschaft
Jost Hurler Beteiligungs und Verwaltungs GmbH & Co. KG

Architektur
Max Dudler, Berlin
Projektleitung: Isabell Klunker, Silke Meier zu Evenhausen
Mitarbeiter: Sebastian Wolf, Enisa Vatrés, Hani El-Hurt, Carolin Eismann, Mara v. Polanyi, Saskia Müller, Katharina Laekamp, Handan Radke

Fachplaner
Tragwerksplanung: Sailer Stepan und Partner GmbH, München; Burggraf u. Reiminger Ber. Ing. GmbH, München
Technische Gebäudeausrüstung: ZWP Ingenieur- AG München; Zickler + Jakob Planungen GmbH & Co KG, München
Bauphysik, Bauakustik: Möhler + Partner Ingenieure AG, München
Brandschutz: hhpberlin Ingenieure für Brandschutz GmbH, München/ Kaupa Ingenieure, München
Lichtplanung: Lumen 3

Bauleitung
Catterfeld Welker Ingenieurgesellschaft für Bauabwicklung mbH

Ausführende Firmen
Natursteinfassade: Hofmann Naturstein GmbH & Co. KG
Fassaden Verglasung: Dodel Metallbau GmbH
Dachabdichtung: Gebrüder Schneller GmbH & Co. KG
Trockenbau: Baierl & Demmelhuber Innenausbau GmbH
Schlosser: Rö-Stahl GmbH
Fliesen: Fliesen Röhlich
Betonwerkstein: Hans & Richard Koch
Schreiner: Schreinerei Kiem

Hersteller
Natursteinfassade: Hofmann Naturstein GmbH & Co. KG
Fensterprofile, Pfosten Riegelprofile: Fa. Schüco
Sonnen- und Wärmeschutz- Dreifachverglasung: Fa. Trösch
Sonnenschutzlamellen: Fa. Hella

Energiestandard
ENEV 2013
KFW Förderprogramm 24- 243

Bruttogeschossfläche
8.866 m²

Gebäudevolumen
30.904 m³

Gebäudekosten
18.150.000 €
(KG 300+400, Kosten anderer Kostengruppen sind über das Gesamtquartier verteilt)

Fotos
Stefan Müller

Vorgestelltes Projekt

DGJ Paysages

Le Pardon de la Nature

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