Vertrautheit und Tradition

Stefan Forster Architekten
7. Mai 2014
Der Neubau besitzt ein monolithisches, kraftvolles Äußeres und ist doch kein klassischer Kirchenbau. (Foto: Lisa Farkas)
Worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?

Der Westhafen Frankfurt wurde im Zuge der Mainkanaliersierung 1886 als erste hochwasserfreie Hafenanlage der Stadt eröffnet. Er verlor mit der Verlagerung des Güterverkehrs vom Wasser auf die Straße allmählich seine Bedeutung als Umschlagsplatz. Mit der Konversion des ehemaligen Industrieareals ist nun Raum für bis zu 3.500 Arbeitsplätze und circa 1.600 Bewohner entstanden. Auf einem der letzten freien Grundstücke wurde das Gemeindezentrum als Anlaufstelle, Kommunikationspunkt und als Bindeglied zwischen den eher ärmeren Bewohnern des „alten“ Gutleutviertels und den betuchteren Neuzugezogenen im Westhafen realisiert. Die Herausforderung bestand darin, die beiden unterschiedlichen Nutzungen – als kontemplativer Sakralraum mit Gemeindebüros und gleichzeitig mit 14 altersgerechten Wohnungen – in einem Gebäude unterzubringen. Bewusst wurde daher auf ein klassisches Erscheinungsbild eines Kirchenbaus verzichtet. Die städtebauliche Ausgangslage war extrem: Auf der einen Seite eine sehr laute Straße und auf der anderen Seite ein ruhiger Innenhof mit Kindertagesstätte.

Die Nordseite – mit einem kleinen erhöhten Vorplatz, von dem aus die öffentlichen Bereiche der Gemeinde erschlossen werden – stellt Assoziationen zu einem Kirchenbau her. (Foto: Lisa Farkas)
Wie reagiert der Entwurf auf den Ort?

Die verschiedenen Funktionen des Hauses bilden sich in drei völlig unterschiedlichen Fassaden ab. Zur Straßenseite erscheint der Bau mit dem Eingang zu den Wohnungen wie ein städtisches Wohnhaus. Die Nordseite, zu einem erhöhten, öffentlichen Vorplatz, schließt den Blockrand ab. Sie stellt mit dem Eingangsportal und dem turmartigen Eckaufbau, der an einen Glockenturm erinnert, Assoziationen zu einem Kirchenbau her. Die Westseite zum ruhigen Innenhof öffnet sich mit durchgehenden Loggien. Im Erdgeschoss vor dem Gemeindesaal schirmt ein Patioraum die Gemeindemitglieder vor dem Lärm der Kita und Einsicht ab und bietet Raum für Gemeindefeste. Statt einem grünen Innenhof für die Bewohner ersetzt der kollektive Treffpunkt auf der obersten Dachterrasse den notwenigen Freiraum. Der schwarze Klinker setzt das Haus als Sonderbau vom Blockrand ab.

Zum Hof öffnet sich das Haus entlang der Wohnzimmer mit durchgehenden Loggien, die als «Arkadengänge» mit hervorstehenden Balkonen ausgebildet sind. (Foto: Lisa Farkas)
Wie hat sich das Projekt vom ersten Entwurf bis zum vollendeten Bauwerk verändert?

Die Bauaufgabe war für uns, als „reine Wohnungsbauer“, neu. Wir brauchten relativ lange, um eine Haltung dazu zu entwickeln. Während des Entwurfsprozesses galt es, die Positionierung und die Form zu überprüfen. Die Maßstäblichkeit und die Proportionen wurden weiterentwickelt, Raumgefüge optimiert und die monolithische Formensprache präzisiert. Der zunächst helle Klinker wurde zugunsten der formalen Absetzung des Sonderbaus aus dem Blockrand durch einen markanten, fast schwarz anmutenden Stein ersetzt.

Ein aus dem Mauerwerk herausragendes Kreuz betont das Eingangsportal des Gemeindebereiches. (Foto: Lisa Farkas)
Inwiefern haben Bauherrschaft, Auftraggeber oder die späteren NutzerInnen den Entwurf beeinflusst?

Öffentliche Kirchenräume und privates Wohnen waren bisher eher separate Bauaufgaben. In vielen Gesprächen mit den Bauherren wurde dieser neue Bautypus entwickelt. Ursprünglich wünschten sie sich ein offenes Haus mit viel Glas. Wir konnten sie in intensiven Gesprächen davon überzeugen, dass die Antwort auf diesen belasteten, lauten Ort eher ein kontemplativer Rückzugsraum ist. Meiner Überzeugung nach braucht der Mensch in der Großstadt diese Räume, um bei allen Reizen und Belastungen, denen er ausgesetzt ist, wieder zu sich selbst zu kommen.

Raumhohe Fenster und Türen, heller Parkettboden verstärken die Großzügigkeit des multifunktionalen Gemeindesaals, in dem wöchentliche Gottesdienste, Seminarfeiern und andere Veranstaltungen stattfinden. (Foto: Lisa Farkas)
Geschützt und doch offen: Die Loggien bieten den Bewohnern einen zusätzlichen Raum. (Foto: Lisa Farkas)
Inwiefern findet sich die „Handschrift des Büros“ im Gebäude wieder?

Der sowohl inhaltliche als auch formale Bezugsrahmen unserer Architektur ist die fortzuentwickelnde Tradition der europäischen Stadt. Nur wenn Architektur einen Beitrag zur Wiedergewinnung des städtischen Lebensraums darstellt, ist sie nachhaltig. Als Architekten haben wir die Aufgabe, an die Qualitäten der traditionellen Städte mit einem eindeutig definierten Verhältnis von öffentlichem, halböffentlichem und privatem Raum anzuknüpfen. Mit dem Neubau in der Hafenstraße ist uns dies gelungen. Dabei gilt es auf spektakuläre Einzelarchitekturen zu verzichten und stattdessen simpleren Entwurfsprinzipien zu folgen: der Ableitung der Form aus Funktion und Ort. Dabei muss es Ziel sein, Gebäude zu erschaffen, die 100 Jahre und länger überdauern. Dieser Anspruch hat nichts mit Architekteneitelkeit zu tun, sondern entsteht aus der Verantwortung dauerhafte, sprich nachhaltige Bauten zu realisieren. Wir sehen in unseren Gebäuden einen Beitrag zum kollektiven Gedächtnis der Stadt.

Das Innere des Hauses wird ebenso anspruchsvoll detailliert wie die Fassade: Schwarzer Betonwerksteinboden, schwarze Flachstahlgeländer mit Eichenholz-Handlauf kontrastieren im Treppenhaus mit den elegant abgestimmten Wandfarben. Diese Materialien sind nicht unbedingt teuer, unterstützen aber stets den hochwertigen Gesamteindruck. (Foto: Lisa Farkas)
Der direkt an den Gemeindesaal angeschlossene Patioraum versteht sich als Rückzugsraum vor dem Chaos der Stadt. (Foto: Lisa Farkas)
Welche speziellen Produkte oder Materialien haben zum Erfolg des vollendeten Bauwerks beigetragen?

Voraussetzung für ein qualitätsvolles Erscheinungsbild und dauerhafte Wertigkeit ist die Verwendung von hochwertigen Baustoffen. Wir sehen uns der Tradition handwerklich gefertigter Materialien verpflichtet. Für die Ummantelung des Rohbaus wurde deswegen auf den jahrtausendealten bekannten Baustoff Klinker zurückgegriffen. Er überzeugt durch seine Materialeigenschaften wie Wartungs- und Witterungsbeständigkeit, sowie durch seine herausragende Langlebigkeit. Betonwerksteinsimse und schnellwüchsiges, im Allgemeinen sehr festes und gegen Schädlinge unempfindliches Eukalyptusholz für Fenster und Türen unterstützen zusätzlich die Wertigkeit des Baus.

Lageplan (Zeichnung: Stefan Forster Architekten)
Regelgeschoss (Zeichnung: Stefan Forster Architekten)
Erdgeschoss (Zeichnung: Stefan Forster Architekten)
Schnitt (Zeichnung: Stefan Forster Architekten)
Gemeindezentrum mit Wohnungen
2013
Hafenstraße 5-7
60327 Frankfurt am Main

Auftragsart
Direktauftrag

Bauherrschaft
Evangelischer Regionalverband Frankfurt am Main

Architektur
Stefan Forster Architekten, Frankfurt am Main
Mitarbeiter: Sandra Söhnel, Julia Goldschmidt, Ute Streit

Fachplaner
Haustechnik: pb Planungsbüro für Haustechnische Anlagen G. Bieger Ing., Ingelheim
Statik: Kannemacher + Dr. Sturm, Beratende Ingenieure für Bauwesen VBI, Frankfurt am Main
Landschaftsarchitekt: Michael Palm Dipl. Ing., Freier Garten- und Landschaftsarchitekt, Weinheim
Akustik: AC Bauphysik Consult Ingenieurgesellschaft mbH, Frankfurt a.M.
Geotechnik: Ingenieurbüro für Geotechnik Dipl.Ing. N. Gündling, Darmstadt

Bauleitung
Ingenieurbüro Schmid Ges. für Projektsteuerung und Bauüberwachung mbH, Frankfurt am Main

Ausführende Firmen
Rohbau: W. Trautmann, Sulzbach
Fassade: Fa. Klinker- Kuntz, Ilmenau
Gerüst: Gerüstbau Paul, Frankfurt am Main
Betonwerkstein / Fliesen: Fa. H+M Fries, Heimbuchenthal
WDVS / Maler / Trockenbau/ Putz: Fa. Mensinger, Frankfurt am Main
Estrich / Parkett: Fa. Sauer, Weilburg/Lahn
Fenster: Fa. Pazen, Zeltingen- Rachtig
Tischler: Fa. Kindinger, Bensheim
Metallbauarbeiten: Fa. Stiebich, Reiskirchen- Ettinghausen
Stahltüren: Leo Müller, Oberursel/ Taunus
Beschichtungen: Fa. Kiwa, Obertshausen-Hausen
Elektro: SPINNLER GmbH
Elektro- und SicherheitstechnikAschaffenburg
Heizung / Sanitär: Leniger GmbH&Co KG, Erfurt

Hersteller
Klinker: Fa. Hebrok, Terra V Z 8 2 (30% Fuss)
Konsolen: Fa. Moderson
Massivholz: Eukalyptus, Grundierung: Eiche hell, Deckschutzlasur: Farbe Kastanie
Beschläge: Hoppe Atlanta silber
Fensterfalzlüfter: AEROMAT
Rollläden: Beck+Heun
Fliesen Bäder: V&B Pro Architectura Serie
Betonwerksteinboden Treppenhaus, Eingangshalle:
Eingangsbereiche+Foyer+Treppenhaus Nobelit 22021, absolut anthrazit
Parkettboden: Wohnungen - Fa. Bembé, Eiche massiv (Stabparkett)
Gemeindesaal – Fa. Bembé, Eiche massiv geölt

Bruttogeschossfläche
2.880 m²

Gesamtkosten
ca. 5.850.000 € brutto

Fotos
Lisa Farkas, Frankfurt am Main

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