Spitzenforschung im Fränkischen

Barkow Leibinger
27. Mai 2015
Der neue Forschungscampus fügt sich in die kleinteilige Bebauung von Waischenfeld und in die leicht ansteigende Topografie der Landschaft ein (Foto: Stefan Müller)
Worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?

Das Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen IIS hatte zuvor schon 12 Standorte in Deutschland, die meisten in Städten wie Erlangen, Nürnberg oder Dresden. Der Forschungscampus in  Waischenfeld – einem idyllischen Ort mit nur gut 3000 Einwohnern in der Fränkischen Schweiz – sollte ein Rückzugsort sein, eine Art Forschungs-Enklave, in der die Forscher des Instituts und kooperierender Partner im Sinne eines Think-Tanks konzentriert tagen, arbeiten und temporär wohnen können. Die Herausforderung für uns war also, eine Situation der Ruhe und Abgeschiedenheit mit besten Arbeitsbedingungen zu schaffen. Gleichzeitig mussten wir den Neubau mit seiner ortsuntypischen Nutzung in die mittelalterliche Struktur des kleinen Städtchens und die umgebende Landschaft integrieren.

Mit breiten, stark betonenden Faschen wird die traditionelle Fenstergestaltung der Region aufgegriffen (Foto: Stefan Müller)
Wie reagiert der Entwurf auf den Ort?

In Anlehnung an die kleinteilige Bebauung des Ortes haben wir das Raumprogramm in vier einzelne Häuser aufgeteilt, die sich in unregelmäßiger Anordnung zu einem Ensemble gruppieren. Sie werden durch ein zentrales, eingeschossiges Foyer verbunden, das auch als Cafeteria und zentrale Aufenthalts- und Veranstaltungsfläche genutzt wird. Neben der Maßstäblichkeit haben wir uns auch bei den Materialien, zum Beispiel der vertikalen Holzverschalung, an lokalen Bautraditionen orientiert. Gleichzeitig gibt es ungewohnte Elemente, die die «ortsfremde» Nutzung zeigen, zum Beispiel: die Formensprache der Häuser, mit ihren asymmetrisch verlaufenden Dachfirstlinien und die unterschiedlich großen, frei angeordneten Fensteröffnungen.

Welche Inspirationen liegen diesem Projekt zugrunde?

Es ging uns um die besondere Atmosphäre eines Campus – eines Ortes, der wissenschaftliches Arbeiten und Wohnen verbindet, Architektur und Außenräume zu einer symbiotischen Einheit verschmelzen lässt. Der auf konzentriertem Raum jegliche Infrastruktur und ideale Arbeitsbedingungen bietet. Wir haben die vier Häuser horizontal geschichtet: In den unteren, durch das Foyer verbundenen Ebenen befinden sich die Arbeitsräume, Büros und Labore. Oben, und damit isolierter, liegen die Gästezimmer für die Forscher.

uf der Ebene der Gästezimmer bildet die Dachfläche des Foyers eine geschützt liegende Terrasse, die fensterartig gerahmte Ausblicke in die Umgebung öffnet (Foto: Stefan Müller)
Wie hat sich das Projekt vom ersten Entwurf bis zum vollendeten Bauwerk verändert?

Anfangs waren fünf Häuser vorgesehen, gebaut sind erstmal vier. Der realisierte Entwurf ermöglicht aber eine unkomplizierte Erweiterung um zwei Häuser im Süden des Grundstücks. War in der Entwurfsphase noch ein Wechselspiel aus Holz- und Putzfassaden sowie eine Dacheindeckung mit Eternit-Schindeln geplant, wurde daraus in der Ausführung eine homogene Lärchenholzfassade und eine Dacheindeckung aus Kupferblech. Diese natürlich verwitternden Materialien werden sich in den kommenden Monaten verändern, mit der Zeit wird sich so der Kontrast zu den scharf geschnittenen, weißen Fensterfaschen aus lackiertem Aluminium noch verstärken.

Ein freier „Zwischen-Raum“ verbindet die Häuser miteinander und dient als Foyer, Cafeteria und Aufenthalts- und Veranstaltungsfläche (Foto: Stefan Müller)
Beeinflussten aktuelle energetische, konstruktive oder gestalterische Tendenzen das Projekt?

Dem Bauherrn war es wichtig, diesen Ort der internationalen Spitzenforschung auch bautechnisch auf einem entsprechenden Niveau zu realisieren. Daher haben wir die energetischen Zielwerte im Lauf der Planung auf Passivhausstandard erhöht. Die konstruktiv und energetisch bedingte Bauweise des Ensembles bildet wiederum die verschiedenen Nutzungszonen der Häuser ab: Die unteren, teilweise in den Hang hineingeschobenen Ebenen sind aus Beton errichtet, der als thermische Speichermasse für ein gutes Raumklima bzw. sommerlichen Wärmeschutz sorgt; bei den oberen, freistehenden Ebenen der Häuser kamen vorgefertigte Wandelemente in Holzständerbauweise zum Einsatz.

Der neue Forschungscampus des Fraunhofer IIS am Rand des mittelalterlichen Siedlungskerns von Waischenfeld in der idyllischen Landschaft der Fränkischen Schweiz (Zeichnung: Barkow Leibinger)
In Anlehnung an die kleinteilige Bebauung von Waischenfeld wurde das Raumprogramm in vier zwei- bis dreigeschossige Häuser aufgeteilt (Zeichnung: Barkow Leibinger)
Durch die enge Verbindung von Wohnen (oben) und Arbeiten (unten) an einem ruhig gelegenen Rückzugsort entsteht eine konzentrierte und zugleich kommunikative Atmosphäre (Zeichnung: Barkow Leibinger)
Fraunhofer-Forschungscampus Waischenfeld
2014
Fraunhofer-Platz 1
91344 Waischenfeld

Nutzung
Büros, Labore, Seminar- und Konferenzräume, Cafeteria, Gästezimmer

Auftragsart
Verhandlungsverfahren

Bauherrschaft
Fraunhofer-Gesellschaft zur Förderung der angewandten Forschung e.V.

Nutzer
Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen IIS

Architektur
Barkow Leibinger, Berlin
Frank Barkow | Regine Leibinger
Team Entwurf: Martina Bauer, Michael Bölling, Didier Callot, Clemens Klein, Ina Reinecke, Tanja Salomäki, Ulrich von Türckheim, Jens Wessel (Modell)
Team Ausführungsplanung: Heiko Krech (Projektleitung), Nina Cattaneo, Christian Coburger, Sonia Sandberger, Erika Tillberg, Ulrich von Türckheim, Daniela Voss, Annette Wagner

Fachplaner
Ausschreibung/Objektüberwachung: Höhler+Partner Architekten und Ingenieure, Aachen
Tragwerksplanung: Suess - Staller - Schmitt Ingenieure GmbH, Gräfelfing
Heizung-Lüftung-Sanitär: Ingenieurbüro Karl Müller GmbH, Bayreuth
Elektroplanung: Haustechnik Projekt GmbH, Nürnberg
Bauphysik: Ingenieurbüro für Bauphysik Horstmann + Berger, Altensteig
Brandschutz: HHP West Beratende Ingenieure GmbH, Bielefeld / Peter Stanek, Berlin
Fassadenplanung: Kucharzak Fassaden Engineering, Berlin
Landschaftsarchitektur: Lösch Landschaftsarchitektur, Amberg

Energiestandard
Passivhaus-Standard

Bruttogeschossfläche
3.813 m²

Fotos
Stefan Müller, Berlin 

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