Spiegel der Natur

Holzer Kobler Architekturen
23. April 2014
Das Gebäude bildet ein «landmark» in der leicht hügeligen Landschaft (Foto: Jan Bitter)
 
Worin liegt das Besondere an diesem Projekt?

Die Aufgabe, ein Besucherzentrum in Verbindung mit einem Forschungszentrum und einem archäologischen Inhalt zu verbinden, fanden wir äußerst reizvoll. Für einen solch besonderen Ort am Rande eines industriellen Kohletagebaus zu entwerfen und eine urzeitliche Landschaft als Umgebung zu gestalten ist eine seltene Gelegenheit.

Mit großformatigen, scharfen Einschnitten in die Gebäudehülle werden weitläufige, faszinierende Ausblicke zur Fundstelle der Speere und zur Grube des Braunkohletagebaus inszeniert (Foto: Jan Bitter)
Welche Inspirationen liegen diesem Projekt zugrunde?

Es gibt aus der Entstehungszeit der Schöninger Speere vor etwa 300.000 Jahren keine Vorbilder von Gestaltung oder Bauten, die bekannt wären. Anknüpfungspunkte waren Holzwerkzeuge und zerschlagene Knochen. Der damalige High-Tech der Speere, den wir heute vielmehr als Retro-Design und leicht kompostierbarere Low-Tech betiteln würden, hat eigenartigerweise dreihunderttausend Jahre überstanden und stellt uns vor die Aufgabe, ein neues Bild der Fähigkeiten und Verhaltensweisen des damaligen Menschen zu finden. Dieser Paradigmenwechsel war für uns der Anstoß eine Architektur ohne Vorbild, ohne Referenz und ohne Bezug zu bekannten kulturellen Interpretationen aus der damaligen Zeit zu schaffen. Einziger Bezugspunkt waren für uns die Furchen in der Erde des Tagebaus und die Vorstellung der Schrammen der Speere in der Haut der Pferde. Diese harten und gerichteten Vektoren haben das Bild im Inneren und das Äußere des Gebäudes geformt.


 

Die Fassade wird zum Spiegel, der die Farben der umgebenden Natur aufnimmt, reflektiert und bricht (Foto: Jan Bitter)
Wie reagiert der Entwurf auf den Ort?

Wir sind Architekten, die stark auf den Kontext eingehen, auf urbane Strukturen, geschichtliche Verknüpfungen, Wünsche an den Ort miteinbeziehen, und einen Mehrwert für die Gesellschaft generieren wollen. Der Standort des „paläon“ auf der grünen Wiese hat wenige oder unbekannte Anknüpfungspunkte. Es gibt dort keinen städtebaulichen Kontext und auch die Kulturgeschichte der Frühmenschen war für uns weitestgehend unbekanntes Terrain. Uns war es wichtig das Gebäude mit der Landschaft zu verzahnen, eine zeichenhafte Architektur der Gegenwart zu schaffen, die mit den urzeitlichen Exponaten kontrastiert. In eine Urzeitlandschaft passt eigentlich kein Gebäude, es ist aber essentiell, um uns die Sicht darauf durch die Augen der Frühmenschen überhaupt erst zu ermöglichen.


 

Das Forschungs- und Erlebniszentrum wird eins mit seiner Umgebung (Foto: Jan Bitter)
 
Das Foyer führt mit den Lackprofilen der geologischen und archäologischen Schichten der Grube in die Urgeschichte ein (Foto: Jan Bitter)
 
Die Erlebnisausstellung mit der Präsentation der Originalfunde aus Schöningen formt das Herzstück des Projekts (Foto: Jan Bitter)
 
Inwiefern haben Bauherrschaft, Auftraggeber oder die späteren NutzerInnen den Entwurf beeinflusst?

Die Realisierung eines solchen Bauwerkes ist ein Balanceakt zwischen dem Einhalten von Normen, eingeschliffenen Vorgehensweisen und dem Aufbrechen von gewohnten Wissensmustern. Wir wollen die Besucher mit der Architektur in ein Thema einführen, das ihnen fremd ist und das viel Vorstellungskraft abverlangt. Das erfordert eine Selbstverständlichkeit im Umgang mit der Architektur, aber auch den Mut jenseits der gängigen Standards zu arbeiten. Bauen ist ein komplexer Prozess im Zusammenspiel von vielen Beteiligten, welche die atmosphärische Wirkung und die Absicht der Architektur richtig verstehen und verinnerlichen müssen. Unsere Aufgabe ist es, ihnen diese zu vermitteln. Das war bei diesem Projekt eine besondere Herausforderung: Ein Stück wird erst gut, wenn die Akteure ihre Rolle richtig spielen. Dies ist uns im Zusammenspiel aller Beteiligten erfolgreich gelungen.

Zentral für die Inszenierung der Ausstellung steht der skulpturale, in weiß gehaltene Ausstellungskörper. (Themenbereich „Exotische Tiere“), (Foto: Jan Bitter)
 
Die aneinandergereihten Themen-Kabinette und Blickachsen stehen im Wechsel mit großformatigen künstlerischen Arbeiten. (Panoramawand „Zwischen zwei Eiszeiten“ von Misha Shenbrot, Berlin). (Foto: Jan Bitter)
 
Einprägsame Bilder vermitteln, wie Fauna und Flora in Schöningen vor rund 300.000 Jahren ausgesehen haben. (Themenbereich „Leben am See“ mit Diorama von Alexej Tchernyi, Berlin). (Foto: Jan Bitter)
 
Welche speziellen Produkte oder Materialien haben zum Erfolg des vollendeten Bauwerks beigetragen?

Die Fassade des paläons wird zum Spiegel, der die Farben der umgebenden Natur aufnimmt, reflektiert und bricht. Das Gebäude ist eine Camouflage, die die Landschaft hyperrealistisch abstrahiert. Durch seine Fassade und bildhafte Form wird das Forschungs- und Erlebniszentrum eins mit seiner Umgebung. Die reflektierenden Platten (Alucobond NaturAL / Farbton Reflect 405) umhüllen das Gebäude vollständig und werden sowohl für die Fassaden als auch die Untersichten an Versprüngen und außen liegenden Deckenflächen eingesetzt. So entsteht ein homogener, skulpturaler Baukörper, der mit der Landschaft zu einer Einheit verschmilzt. Im Innenbereich weist das Gebäude nicht die in Museen meist übliche «White Cube»-Ästhetik auf, sondern erscheint durch den sichtbaren Beton grob, archaisch und ungeschliffen. Es ist der Stein, Knochen oder das Holz, das aus der Erde geklaubt ist und referiert auch an die Direktheit des Tagebaus oder vielleicht sogar an die Jagd des Homo erectus. Das Innere ist eine rohe Hülle, die erst von Inhalten und Menschen annektiert werden will.

Lageplan (Zeichnung: Holzer Kobler Architekturen)
 
Erdgeschoss (Zeichnung: Holzer Kobler Architekturen)
 
1. Obergeschoss (Zeichnung: Holzer Kobler Architekturen)
2. Obergeschoss (Zeichnung: Holzer Kobler Architekturen)
Schnitt (Zeichnung: Holzer Kobler Architekturen)
 
paläon – Forschungs- und Erlebniszentrum Schöninger Speere
2013
Paläon 1
38364 Schöningen

Auftragsart
Wettbewerb

Bauherrschaft
Stadt Schöningen

Architektur
Holzer Kobler Architekturen, Zürich/Berlin, in Zusammenarbeit mit
pbr Planungsbüro Rohling AG, Generalplaner, Braunschweig

Landschaftsarchitektur
Topotek1, Berlin

Ausstellungsgestaltung
Holzer Kobler Architekturen, Zürich/Berlin

Ausführende Firmen
Fassadenbau: Hübener & Möws Fassadenbautechnik GmbH

Hersteller
Fassadenplatten: Alucobond NaturAL, Farbton Reflect 405

Gebäudevolumen
21.700 m³

Bruttogeschossfläche
4.090 m²

Gesamtkosten
14.000.000 €

Auszeichnung
Anerkennung Deutscher Fassadenpreis für VHF 2013

Fotos 
Jan Bitter 

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