Räumliche Mitte

kaestle&ocker
17. September 2014
Blick von Süden, im Hintergrund die im Jahr 1958 fertiggestellte Pfarrkirche mit umgebauter Sakristei, vorne die auf den Gemeindegarten ausgerichteten Gruppenräume und das Foyer. (Foto: Brigida González)
Worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?

Bauaufgaben im sakralen Kontext sind besondere Herausforderungen. Nach dem Umbau der Pfarrkirche im Jahr 2007, bei der wir uns zum ersten Mal intensiv mit den Merkmalen eines Sakralraums und deren Interpretation im Bezug auf Zeit, Ort und Liturgie beschäftigten, konnten wir nun, Jahre später, die Anlage der Kirchengemeinde St. Bonifatius mit dem Neubau des Gemeindezentrums vervollständigen. Die bestehende Kirche als Dominante wurde ergänzt durch einen neuen Hof, um den sich die Nutzungen gruppieren, der als räumliche Mitte einen besonderen Ort definiert und der Gemeinde Heimat und Identität verleiht.

Öffnung in der Westwand (Foto: Brigida González)
Welche Inspirationen liegen diesem Projekt zugrunde?

Die Kargheit der schwäbischen Ostalb, die Heidelandschaft des benachbarten Eselsburger Tals mit seinen Kalksteinfindlingen, die Mühen des einfachen Landlebens, die periphere Lage abseits des Ortskerns als Sinnbild für den schweren Stand der Katholiken im protestantischen Umfeld der Nachkriegszeit – Bilder, die den Entwurf und seine Materialisierung prägen.

Wie reagiert der Entwurf auf den Ort?

Die auf den ersten Blick nicht nachvollziehbare Stellung der Kirche ist der Ausrichtung des Altars nach Osten geschuldet. Daraus resultiert eine umständliche Zugangssituation über den Fuß des Glockenturms. Das deutlich abfallende Gelände ermöglichte die Positionierung des bestehenden Gemeindesaals unter dem Kirchenraum im westlichen Bereich. Aus der Analyse dieser vorhandenen Situation heraus haben wir unseren Entwurf entwickelt: ausgehend von der bestehenden Sakristei umschliesst ein neuer, eingeschossiger Baukörper die Kirche und den neuen Gemeindehof, in den sich der Saal ausrichtet. Der Straße zugewandt befinden sich die zweigeschossige Pfarrverwaltung und der Hauptzugang. Das Gemeindezentrum, am Rande eines Wohn- und Gewerbegebiets aus der Zeit um 1960 - 1980 gelegen, erfährt durch diese Intervention einerseits eine Adressbildung nach außen, andererseits wird durch Raumbildung eine introvertierte, klösterliche Atmosphäre nach innen erzeugt.

Gemeindehof als Zentrum der Anlage mit bestehendem Saal unterhalb des Kirchenraums (Foto: Brigida González)
Blick nach Norden mit zweigeschossiger Pfarrverwaltung und Zugangsrampe für die Besucher (Foto: Brigida González)   
Wie hat sich das Projekt vom ersten Entwurf bis zum vollendeten Bauwerk verändert?

Die grundlegende Idee der Ausbildung eines neuen Hofes am Fuße der Kirche, um den sich das Gemeindeleben gruppiert, war bereits in unserem Wettbewerbsentwurf im Jahr 2004 vorhanden. Schnell stellte sich jedoch heraus, dass das Projekt in seinem Umfang kaum von der Kirchengemeinde zu schultern war. In mehreren Überarbeitungsphasen wurde der Baukörper verkleinert und auf das Wesentliche reduziert. Ausgeführt wurde dann schließlich der nun vorliegende, deutlich abgespeckte Entwurf.


 

Lageplan (Zeichnung: kaestle&ocker)
Ebene Hof (Zeichnung: kaestle&ocker)
Ebene Kirchenraum (Zeichnung: kaestle&ocker)
Schnitt (Zeichnung: kaestle&ocker)
Kath. Gemeindezentrum St. Bonifatius
2013
Taubenweg 4
89542 Herbrechtingen

Auftragsart
Wettbewerb 2004, 2. Preis (C18 Architekten Baisch Kaestle Roeder)

Bauherrschaft
Kath. Kirchengemeinde St. Bonifatius in Herbrechtingen

Architektur
kaestle&ocker, Stuttgart
Projektteam: Marcus Kaestle, Andreas Ocker, Florian Krampe, Hannes Stark, Stefanie Bensing

Fachplaner
Tragwerk: Keller Ingenieurgesellschaft mbH, Tübingen
HLS: Ing. Büro Donik, Gersthofen
Elektro: Ing. Büro Kummich & Weisskopf, Bopfingen

Ausführende Firmen
Rohbau: Bauunternehmung Herman Fuchs GmbH, Ellwangen
Dachabdichtung: Heider Bedachungen, Schwäbisch Gmünd
Flaschner: Herbert Rembold, Oberstotzingen
Fenster: Scheifele Fenster- und Innenausbau, Neulingen
Stukateur: Baumann & Sohn GmbH & Co. KG, Heubach
Schreiner: Schreinerei Hans Baur, Herbrechtingen
Maler: Max Schmauder, Herbrechtingen
Elektro: Elektrotechnik Merkle, Giengen/Brenz
Sanitär/Heizung: Haas, Giengen/Brenz
Außenanlagen: Hötzsch Garten- und Landschaftsbau, Herbrechtingen

Bruttogeschossfläche
645 m²

Gesamtkosten
1.500.000 € brutto

Fotos
Brigida González

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