Gelungene Konversion

hammeskrause architekten bda
26. November 2014
Die städtebaulich selbstbewusste Erweiterung macht die Spitzenforschung des Fraunhofer-Instituts nach außen ablesbar (Foto: Wolf-Dieter Gericke)
Worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?

Der Umbau einer brachliegenden Lagerhalle – ursprünglich als Hemdenfabrikation in den 1960er Jahren gebaut – in einen zeitgemäßen Forschungs- und Laborbau ist an sich schon eine besondere Bauaufgabe.

Die verwendete ETFE-Folie des Screens ist zu hundert Prozent recyclebar und entspricht somit der Cradle-to-Cradle Strategie für Nachhaltigkeit (Foto: Wolf-Dieter Gericke)
Welche Inspirationen liegen diesem Projekt zugrunde?

Die über die spezifischen Forschungstätigkeiten hinausgehende Idee dieses Ortes ist die Kryobank, eine Lebendsammlung über das Wissen der Natur. Hierbei handelt es sich um einen Rückgriff auf die historische Traditionsfolge der sogenannten „Wunderkammern“ in der Renaissance, also der Naturkundemuseen und zoologischen Gärten. Die Kryosammlung bezieht sich dabei auf einzelne Zellen und deren Archivierung. Wichtig sind uns das Stimulieren von Assoziationen und die Anregung der Fantasie durch das Gebäude. Die Gestaltung und Materialität des Ethylen-Tetrafluorethylen (ETFE)-Screens soll die Fassade zum Sprechen bringen – die „Zellmembran“ als Baustoff versinnbildlicht auf symbolischer Ebene die Arbeit des Instituts. Mit diesem Entwurfskonzept werden sowohl die organisatorisch-funktional-konstruktiven Bedingungen als auch die sinnbildlich-symbolisch-atmosphärischen Ansprüche für eine angemessene und komplexe Lösung konzeptuell miteinander verbunden. Architektonische Form, Material und eingesetzte Technologie werden zum Sinnbild für die Innovationskraft der biomedizinischen Forschung und der einzigartigen Lebendsammlung von Zellen an diesem Standort.

An der Schnittstelle zwischen Bestand und Erweiterung befindet sich der großzügige Haupteingang für das Forschungsinstitut (Foto: Wolf-Dieter Gericke)
Wie reagiert der Entwurf auf den Ort?

Das städtebaulich heterogene Industriegebiet lässt kaum Anhaltspunkte für Gestaltungsabsichten erkennen, daher lag eine eigenständige Lösung nahe. Auch die inhaltliche Sonderstellung der herausragenden Forschung ließ eine autarke Aufwertung des Industriekomplexes angemessen erscheinen. Heute ergänzt die städtebaulich selbstbewusste Erweiterungslösung das baulich inhomogene Industriegebiet und macht die Spitzenforschung von außen ablesbar. Es ist ein Ort entstanden, der Identität schafft und in Erinnerung bleibt.

Inwiefern haben Bauherrschaft, Auftraggeber oder die späteren NutzerInnen den Entwurf beeinflusst?

Alle Beteiligten an einem Bauvorhaben beeinflussen unserer Meinung nach die Arbeit, sei es durch Rahmenbedingungen, Budgets, Termine, Funktionen, Atmosphäre, Stimmung und vieles mehr. Der eigentliche Entwurfsprozess ist eingebettet in diesen Kontext, bleibt aber orginäre Aufgabe des Architekten. Die Diskussionen mit Bauherr und wissenschaftlichen Nutzern über entwurfliche Aspekte erfolgten stets konzeptionell und mit gegenseitiger Empathie.

Der Screen des vorgelagerten Erschließungswegs, eine Membran aus ETFE-Folie, ist formal dem Duktus der Stickstofftanks, also der Kryobehälter, entlehnt und soll zwischen diesen runden Geometrien und der kubischen Industriearchitektur vermitteln. (Foto: Wolf-Dieter Gericke)
Über Stahlwendeltreppen in den drei Lichthöfen sind die beiden Ebenen der Labore und Büros auf kurzem Weg vertikal miteinander verknüpft. (Foto: Wolf-Dieter Gericke)
Wie hat sich das Projekt vom ersten Entwurf bis zum vollendeten Bauwerk verändert?

Vom Wettbewerbsentwurf im VOF-Verfahren bis hin zur Realisierung hat sich sowohl die strukturelle Layoutplanung, als auch das Erscheinungsbild nicht geändert.

Das präzise, kühle und spiegelnde Blau des Bodens in den Kryohallen mit den Tieftemperaturlagerungen weckt Assoziationen an die Polarregionen, in denen das Institut sehr aktiv ist und intensive Algenforschung betreibt. (Foto: Wolf-Dieter Gericke)
Beeinflussten aktuelle energetische, konstruktive oder gestalterische Tendenzen das Projekt?

Die Umnutzung eines Bestandsgebäudes und damit Weiternutzung der vorhandenen grauen Energie ist ein wesentlicher Aspekt innerhalb der Nachhaltigkeit. Der Lebenszyklus eines Gebäudes wird für sehr unterschiedliche Nutzungen verlängert. Ebenso werden die eingesetzten Materialien, Gebäudetechnologien und Prozesse ihren Beitrag leisten. Die verwendete ETFE-Folie ist zu hundert Prozent recyclebar und entspricht als technischer Werkstoff der Cradle-to-Cradle Strategie für Nachhaltigkeit.

Blick in das Technikum auf der unteren Geschossebene: Büros und Labore werden über zwei Geschosse organisiert (Foto: Wolf-Dieter Gericke)
Der übergreifende Entwurfsgedanke ist die Kryobank als Lebendzellsammlung über das Wissen der Natur: Der ETFE-Screen stimuliert Assoziationen, die „Zellmembran“ als Baustoff illustriert die Arbeit des Forschungsinstituts. (Foto: Wolf-Dieter Gericke)
Welche speziellen Produkte oder Materialien haben zum Erfolg des vollendeten Bauwerks beigetragen?

Beispiel ETFE-Folie: Der dem Hallenkomplex im Süden vorgelagerte Erschließungsweg liegt hinter einer Membran, einem Screen aus ETFE-Folie und verbindet den Verwaltungsbau mit dem Hallenbereich. Der dreilagige Screen liegt auf einer Stahlunterkonstruktion und ist formal dem Duktus der Stickstofftanks, der Kryobehälter entlehnt. Er vermittelt zwischen diesen runden Geometrien und der kubischen Industriearchitektur. Der Bestand wird auf diese Weise würdig aufgewertet und gleichzeitig funktional ergänzt

Lageplan (Zeichnung: hammeskrause)
 
Grundriss Erdgeschoss (Zeichnung: hammeskrause)
Schnitt (Zeichnung: hammeskrause)
Fraunhofer-Institut für Biomedizinische Technik IBMT
2014
Industriestraße 5
66280 Sulzbach

Nutzung
Forschungs- und Laborgebäude

Auftragsart
VOF-Verfahren mit Wettbewerb

Bauherrschaft
Fraunhofer-Gesellschaft zur Förderung der angewandten Forschung e.V., München

Architektur
hammeskrause architekten bda, Stuttgart
Markus Hammes, Nils Krause, Armin Rauschke, Thomas Schulz, Veit Schäfer

Fachplaner
Tragwerksplanung: Leonhardt, Andrä und Partner, beratende Ingenieure VBI GmbH, Stuttgart
Bauphysik: Müller-BBM, Planegg
Heizung, Lüftung, Sanitär: Ingenieurbüro Mayer AG, Ottobeuren
Elektro: Müller & Bleher GmbH & Co. KG Filderstadt
Laborplanung: RT Ingenieurgesellschaft, Umkirch
Landschaftsarchitektur: Eurich Gula Landschaftsarchitektur, Wolfegg

Ausführende Firmen / Hersteller
Metall-Glas-Fassade: Stahlleichtbau Franz Hesedenz GmbH, Saarlouis-Roden
Sandwich-Paneel-Fassade: Rost Bedachungen GmbH, Erfurt
Trockenbau, Innenwände: KAEFER Construction GmbH, Butzbach
Glastrennwände: Lindner Group KG, Arnstorf
ETFE-Folienkissen-Fassade: Taiyo Europe GmbH, Sauerlach
Dachunterkonstruktion/Stahlkonstruktion/Ergänzung: Temme Stahl- und Industriebau GmbH, Bad Lauchstädt
Oberlichter: „Grillodur“, JET-Gruppe, Hüllhorst
Elektro: Elektro Hoppstädter GmbH, Saarbrücken
Heizung und Kälte: MBW Luft- und Klimatechnische Anlagen GmbH, Rehlingen
Brandschutz und Dämmung: Lindner Isoliertechnik & Industrieservice GmbH, Frankfurt am Main
Raumlufttechnik: Pleitz GmbH, Laucha 
Aufzüge: Liftservice u. Montage GmbH Aufzüge, Saarbrücken
Türen und Tore: Stahlleichtbau Franz Hesedenz GmbH, Saarlouis-Roden
Bodenbeläge: Epoxid Beschichtung: HEF High End Flooring GmbH, Neuweiler
Laboreinrichtung: Wesemann GmbH, Syke
Beleuchtung Seminarraum: LTS Licht & Leuchten GmbH, Tettnang, Pendel-/Aufbauleuchte, Serie PL
Waschraumausstattung: WC-Trennwände: KEMMLIT-Bauelemente GmbH, Dusslingen
Waschbecken: Keramag, Keramische Werke GmbH, Ratingen, Renova-Bad Serie

Bruttorauminhalt
29.973 m³

Bruttogeschossfläche
6.426 m²

Nutzflächen
Forschung, Labore 1.905 m²
Büro 790 m²
Seminar 176 m²
Lager 212 m²

Kubikmeterpreis
rund 530 €/m³ (brutto)

Gesamtbaukosten, brutto
rund 15.900.000 €

Fotos
Wolf-Dieter Gericke  

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