Egourbanismus und die Langhaarige Dolchwanze

Christian Holl
4. April 2012

Das Problem von Bürgerbeteiligung und Interessenvertretung ist weniger, dass Konflikte moderiert werden müssen als vielmehr, dass oftmals Proteste und Beteiligungsforderung mit der Haltung vertreten werden, das Partikularinteresse sei das der Allgemeinheit. Pointiert nimmt dies die junge Redaktion des urban spacemag auf. In dessen vierter Ausgabe geht es um "Egourbanismus". Darin wird beispielsweise nach der Legitimation, Wirkung und den Grenzen von lokalen Interessenbewegungen gefragt: Von "Mediaspree versenken" bis "Stuttgart 21", vom Einfluss privatwirtschaftlicher Initiativen auf die Stadtentwicklung bis zur Selbstinszenierung in inszenierten Welten ein anregender Themenmix.

Egourbanismus könnte man in gewisser Hinsicht auch die Spielart jener Haltung verstehen, die Vassilis S. Tsianos und Klaus Ronneberger als deutsche Besonderheit ausmachen: "Was die Frage der Migration angeht, besteht hierzulande ein weitgehender Konsens darüber, dass sich die Eingewanderten den vorherrschenden Normen und Werten anzupassen hätten" schreiben sie in der aktuellen Stadtbauwelt. Die befasst sich unter dem Titel "Neue Haymat" mit der Frage, wie Stadtplaner und Architekten gestalten und sichtbar machen können, dass Immigranten längst zu Akteuren der Stadtentwicklung geworden sind. Könnten, muss man in vielen Fällen wohl sagen, denn dieses Potenzial ist nicht ausgeschöpft. Dies ist, so Ronneberger und Tsianos, auch durch Defizite der deutschsprachigen Stadtforschung bedingt – sie zeichne sich durch eine "weitgehende 'Macht- und Staatsblindheit' aus". Mit Beispielen aus den Niederlanden und Kopenhagen werden dieser wichtigen Diskussion weitere Impulse gegeben.

Auf die neue Ausgabe des Generalisten hatten wir schon im Zusammenhang mit dem Bericht über den Darmstädter Architektursommer hingewiesen. Er soll hier nochmals genannt werden, denn gerade bezogen auf die Diskussionen in der Stadtbauwelt und dem urban spacemag lohnt es sich, den Beitrag von Markus Miessen zu lesen, der daran erinnert, dass die Gestaltung von Wandel Zeit braucht und davor warnt einvernehmliche Vereinbarungen in frühen Phasen des Gestaltungsprozesses zu vermeiden: "Je mehr Raum eine Gestaltung bietet, um künftige Konflikte durchzuspielen, desto erfolgreicher wird sie auf Dauer sein."

In eine andere Richtung gehen die Schwerpunkt der Planerin und des Forum Stadt, der Vierteljahreszeitschrift für Stadtgeschichte, Stadtsoziologie, Denkmalpflege und Stadtentwicklung. Hier werden "Freiräume in der historischen Stadt heute" behandelt – dabei geht es um tatsächliche Alltagstauglichkeit für Rad und Rollator, um Brunnen und Wasserspiele in kleinen Städten und um Freiräume in schrumpfenden Städten.
Die Planerin widmet sich dem Artenschutz und den sperrigen, aber eben auch dafür wichtigen planerischen Instrumenten von Bauleitplanung bis Artenschutzprüfung. Lesenswert der Beitrag von Axel Dierich über die urbane Landwirtschaft und die Frage, wie diese Form der Landwirtschaft gezielt unterstützt werden könnte. Auch hier spielen Konflikte und Beteiligungsformen eine wichtige Rolle. Vom Juchtenkäfer wird in der Zeitschrift also gewissermaßen der Bogen zur Langhaarigen Dolchwanze geschlagen – und zu Recht darauf verwiesen, dass persönliche Erlebnisse und Erkenntnisse wesentlich sind, soll der Artenschutz erfolgreich sein. Auch hier gilt es gegen Blindheit anzugehen: Jugendliche können heute oftmals keine einzige heimische Vogelart mehr benennen.

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