Was vom Sommer übrig blieb

Autor:
Adeline Seidel
Veröffentlicht am
Feb. 1, 2012

Architekturfestivals sind keine Sensation mehr: Sie finden in Hamburg, München, in Berlin, in Köln, in bayrischen Städten statt – 2011 veranstalteten erstmals Städte einer Region gemeinsam einen Architektursommer. Der Architektursommer Rhein-Main 2011 ist vorbei. Hat es sich für die Städte, die Beteiligten gelohnt? Was wäre in Zukunft zu bedenken?
 
Es klingt verheißungsvoll, wenn sich vier Städte einer Region zusammenschließen und gemeinsam ein Veranstaltungsformat ins Leben rufen, das sich einen ganzen Sommer lang den Themen rund um die gebaute Umwelt widmen soll. Architektursommer – das ist fast ein wenig wie die Biennale in Venedig: Sonne, alte Bekannte treffen, Architektur sehen und über sie sprechen. Hinter dem Namen Architektursommer Rhein-Main (ASRM 2011) verbergen sich die Städte Darmstadt, Frankfurt, Offenbach und Wiesbaden. Gemeinsam wurde eine Reihe von Zielen für dieses Veranstaltungsformat formuliert: Die regionale Identität sollte gestärkt werden. Ebenso "kreative, innovative Prozesse". "Grundsätzliche und aktuelle Aspekte der Architektur und Stadtentwicklung" sollten "öffentlich gemacht" werden. Außerdem Entwicklung und "ineinander greifende Planungsstrukturen zur Qualitätssicherung" wünschte man zu vernetzen – so zu lesen auf der Webseite www.asrm2011.de – und das ist nur ein kleiner Auszug. Wie und in welchem Maße diese Ziele erreicht werden sollten, stand jeder Stadt frei.

"Wohnraum Stadt" war das Motto, auf das sich die vier Städte geeinigt hatten. Wiesbaden beschäftigte sich mit seiner Geschichte und möglichen Entwicklung. Frankfurt präsentierte und diskutierte unter anderem die Errungenschaften von Ernst May. Offenbach initiierte eine interaktive regionale Planungskarte und Darmstadt widmete sich dem öffentlichen Raum. Die kleine Auflistung wird der Vielzahl der Veranstaltungen nicht gerecht, die oft in Eigeninitiative und mit viel ehrenamtlichem Engagement umgesetzt worden sind – meist auch ohne Finanzierung von städtischer Seite. Das ist beeindruckend. Dennoch muss man fragen: Was bleibt von solch einem Programm-Buffet? Braucht es für solche Aktionen einen gemeinsamen Rahmen, wenn am Ende der Glanz mehr auf die Städte als Veranstalter denn auf die ehrenamtlichen Akteure fällt? Ist der Architektursommer für die formulierten Ziele ein notwendiges Dach, um die Kräfte und das Engagement bündeln?
 
Nun, ein die Grenzen der Städte übergreifender planerischer Prozess wurde leider nicht initiiert. Deswegen kann exemplarisch eine Stadt genauer unter die Lupe genommen werden – die Wahl fiel dabei auf Darmstadt, weil hier 2012 der Architektursommer Rhein-Main erneut stattfinden soll; das neue Konzept sieht vor, ab 2012 im jährlichen Wechsel jeweils eine Stadt zum Veranstalter zu machen. Aber in Darmstadt wurde zudem direkter als in den anderen Städten nach den Orten gefragt, die auch nach dem Sommer Thema in der Verwaltung sein und Beachtung in der Politik finden sollen. Der Darmstädter Architektursommer e.V. unter den beiden Vorsitzenden Oliver Langbein und Kerstin Schultz lud dazu fünf Büros nach Darmstadt und forderte sie auf, durch temporäre, urbane Interventionen den Fokus auf den öffentlichen Raum der Stadt zu lenken. Mit dabei beim "Raumfestival Stadtfinden" waren Raumlabor Berlin, muf architecture/art aus London, Terreform aus New York, Peanutz Architkten aus Berlin und Janser Castorina Architektur mit Elisabeth Koller aus Graz. Eine Woche lang wurde mit Studierenden und interessierten Bürgern an der Realisation gearbeitet, mit dem Ziel, eine breite Öffentlichkeit anzusprechen.

Die stadträumlichen Interventionen bedienten sich dazu (bis auf wenige Ausnahmen) theatralischer, bildnerischer oder architektonischer Mittel. Konkrete Orte in der Stadt wurden mit temporären Bauten besetzt, mit Installationen ausgestattet, wurden bemalt, beleuchtet, beschallt, in Düfte gehüllt oder mit öffentlichkeitswirksamen Events bespielt. Mal war der entsprechende Raum nur Behälter, mal zugleich Botschaft der Intervention. In den partizipatorisch gedachten Projekten ging es zudem nicht nur um die Modifikation des Raums allein; die Stadtgesellschaft beziehungsweise ihre diskursive Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Raum oder Thema war dort ein wesentlicher Bestandteil der Intervention.
 
Ob es aber in Darmstadt zu einer langfristig wirksamen Auseinandersetzungen mit dem öffentlichen Raum gekommen ist, bleibt noch offen. Sicherlich gab es intensive Diskussionen zwischen den Personengruppen, die direkt beteiligt waren. Aber der "normale Bürger", um dessen öffentlichen Raum es geht? Der hat vielleicht das eine oder andere anders als zuvor gesehen – und sich hin und wieder amüsiert. Das klingt ernüchternd, aber mehr darf vielleicht auch gar nicht erwartet werden; vielmehr stellt sich die Frage, ob nicht sowohl Kulturschaffende als auch die Stadt zuviel Hoffnungen auf ein Format wie den Architektursommer mit seinen unterschiedlichen Veranstaltungen und Angeboten gesetzt haben.

Diese nicht erfüllbaren Erwartungen sind zum einen schon im Selbstverständnis der Architekten enthalten, die gerne den Wunsch haben, in gewissem Maße ihre Projekte erzieherisch zu verstehen und didaktisch ihre Erkenntnisse mit einem Zeigefinger (nicht unbedingt dem erhobenen) zu vermitteln. In der gesamtgesellschaftlichen Wahrnehmung aber wirken solche Interventionen bestenfalls wie Strohfeuer am Rand des Gesichtsfeldes.
Zum anderen wird die potenzielle Wirkung des einzelnen Projekts durch die Vielzahl der Projekte im Ganzen gesenkt. Das offizielle Programm des Darmstädter Architektursommers wurde wie in den anderen Städten auch von einer Vielzahl anderer Veranstaltungen begleitetet – eine solche Bühne ist vor allem für junge Kulturschaffende eine dankbare Möglichkeit, eigene Themen in der Öffentlichkeit zu platzieren, die man ihnen nicht vorenthalten wollte. Kein künstlerischer Leiter hat Themen und Formate fokussiert, gefiltert und gebündelt. Keiner der zahlreichen engagierten "Mitmacher", der etwas beitragen wollte, wurde abgewiesen. Damit haben sich letztlich die Städte als "Rahmengeber" vor allem selbst inszeniert. Die zahlreichen Ideen hingegen gingen in der Menge und Länge des Architektursommers überwiegend unter, deren langfristige Weiterentwicklung ist ungewiss. Der Sommer ist vorbei.
 
Damit ist eine Chance vertan – so kommen die Verantwortlichen und die Initiatoren der stadträumlichen Interventionen nicht zusammen. Dabei könnten doch beide Seiten profitieren: Dröge Beteiligungsverfahren könnten mit attraktiven Highlights bereichert, und Interventionen zugleich mit gesellschaftlicher Relevanz und einer angemessenen Aufwandsentschädigung ausgestattet werden. Protest-Eskalationen in stadtentwicklungsbezogenen Aushandlungsprozessen könnten ein kreatives Ventil geben, die Initiatoren und Macher Anerkennung finden.
Dann wiederum rückten die hoch gesteckten Ziele der Städte in realisierbare Nähe. Wenn die Verantwortlichen in Politik und Planung das denn wollen. Denn dann muss der so gern geäußerte Wunsch nach Veränderungen ernst gemeint sein, dann muss man bereit sein, die eigene routinierte Wahrnehmungsperspektive in Frage zu stellen. Dann muss in öffentlichen Beteiligungsverfahren auch tatsächlich etwas zu entscheiden sein – sie müssen dafür freilich auch länger dauern als eine Jahreszeit und taugen weniger als Bühne der Selbstinszenierung. Man muss bereit sein, Konflikte auszutragen: Harmonisch wird es bei solchen städtebaulichen und architektonischen Entwicklungsprozessen nicht zugehen – und auf Schultern wird erst zum Schluss geklopft, wenn überhaupt. Aber wir wissen ja: Harmonie verblödet und macht unbeweglich – eine Auseinandersetzung treibt vorwärts. Adeline Seidel

Die Autorin ist Architektin und Mitbegründerin von GENERALIST – Magazin für Architektur.
Eine Veröffentlichung zum Architektursommer Rhein-Main 2011 in Frankfurt ist bei Jovis erschienen.

Die neue Ausgabe der Zeitschrift Generalist – Eingreifen – stellt unter anderem die Projekte des Architektursommers 2011 in Darmstadt vor.

Ab 2012 soll der Architektursommer Rhein-Main voraussichtlich jährlich in je einer Stadt durchgeführt werden; den Anfang wird 2012 Darmstadt machen.
Am 16. und 17. März wird in Darmstadt in der Centralstation der ASRM 2011 bilanziert und nach den Themen gefragt werden, die mit den Projekten des vergangenen Architektursommers angeregt, aber noch nicht zu Ende gedacht und ausgeführt wurden.