Später Turmbau zu Berlin

Oliver Pohlisch
18. März 2014
Das neue Berlin am Alexanderplatz: wie realistisch ist der einstmals von Kollhoff geplante Hochhausreigen heute? (Bild: Büro Hans Kollhoff und Helga Timmermann)

Als Vorposten Sibiriens schmähten Stadtplaner den Alexanderplatz nach dem Mauerfall. Der Realsozialismus hatte politisch kapituliert, doch in Berlins zentralem, öffentlichen Raum schien er architektonisch und habituell fortzudauern. Das musste sich ändern, fanden die Planer. Richtung Manhattan gedachten sie die Topographie der Mitte zu verschieben. Gemäß dem 1993 vom Architekten Hans Kollhoff entworfenen Masterplan sollte den Alexanderplatz künftig ein Kranz von 150 Meter hohen Wolkenkratzern einfassen, denen ein Großteil des DDR-Gebäudebestands würde weichen müssen – allen voran das damalige Interhotel Stadt Berlin, mit 125 Metern das höchste Gebäude der wiedervereinigten Metropole. Zwar hatten im Jahr 2000 verschiedene Investoren mit dem Senat Verträge über die Umsetzung des Masterplans unterzeichnet. Während der folgenden Dekade erachteten sie freilich den Berliner Immobilienmarkt als zu nachfrageschwach, um dort in großem Maßstab in die Höhe zu bauen. Kein einziger von ihnen wollte anfangen, den Kollhoff'schen Kranz zu flechten.

Am Alexanderplatz fiel der Wandel daher bescheidener aus: Die beiden Behrens-Häuser aus den 1930er Jahren wurden Ende der 1990er Jahre renoviert. Im neuen Jahrtausend wurde dann das Galeria Kaufhof-Warenhaus vergrößert, dem man zudem eine Sandsteinfassade vorhängte. Auch die Eigentümer der übrigen Bauzeugnisse des Arbeiter- und Bauernstaates setzten zumeist auf Sanierung statt Abriss. Selbst das Interhotel, das heute Park Inn heisst, wurde innen modernisiert und mit neuer Fassade versehen.
Als Neubauten kamen ein Multiplex-Kino, die «Alexa»-Shopping Mall und die 2008 direkt am Südostrand des Alex errichtete «Saturn»-Filiale hinzu. Direkt unter dem Fernsehturm zieht der Grundstücksentwickler Redevco derzeit den Geschäfts- und Bürowürfel «Alea 101» hoch. Der Alexanderplatz erhielt Tramanschluss und eine neue Pflasterung.

300.000 Menschen passieren den Platz täglich. Er ist der wichtigste Nahverkehrsknotenpunkt der Stadt. Auch die neuen Einkaufsmöglichkeiten richten sich an ein breites Berliner Publikum, dessen Portemonnaie noch immer schmaler ist als das der Bevölkerung Hamburgs oder Münchens. Die Szene der Punks und Obdachlosen am Völkerfreundschaftsbrunnen wurde zwar von der Polizei beiseite bugsiert. Dafür herrscht auf dem Alex regelmäßig «Budenzauber». Bratwurstduft ist dann das dominante Odeur, und aus den Boxen temporärer Outdoor-Kneipen dringt Kirmes-Techno.

Modell des Siegerentwurfs von Gehry Partners (Bild: Hines)

«Skulpturales Erscheinungsbild»
In dieser Situation ist der US-Konzern Hines vorgeprescht. Er hat angekündigt, direkt neben dem Komplex mit der «Saturn»-Filiale, der sich in seinem Besitz befindet, einen 150 Meter hohen Tum zu errichten. Bis zu 250 Millionen Euro will Hines sich das Projekt kosten lassen. Ursprünglich konzipierte der Investor das Gebäude als Büroturm. Doch nun soll es Deutschlands höchstes Wohnhaus werden. Auf rund 48.000 Quadratmetern Geschossfläche wird es Platz für 300 Eigentumswohnungen bieten. Die unteren der 39 Stockwerke werden einem Hotel sowie Restaurants vorbehalten sein. Der Baubeginn ist für 2015 angesetzt, 2017 soll das Gebäude bezugsfertig sein.

Prominente Namen wie David Chipperfield, Christoph Ingenhoven und auch Hans Kollhoff hatten am Entwurfswettbewerb teilgenommen. Als Sieger konnte sich schließlich Frank O. Gehry durchsetzen. Der 85-jährige US-Stararchitekt präsentierte ein Hochhaus aus drei verdreht aufeinander gesetzten, kleeblattförmigen Teilen. Auf allen Etagen soll es Balkone geben.

Während die Jury das «skulpturale Erscheinungsbild» von Gehrys Entwurf preist (Pressemitteilung von Hines) und Hines-Geschäftsführer Christoph Reschke bei dessen Vorstellung Ende Januar von einem neuen Wahrzeichen für die Berliner Skyline sprach, ist er in der Öffentlichkeit zwiespältig aufgenommen worden. Kritiker finden, seine Exzentrik sei mit dem sachlichen Charakter der schon existierenden Gebäude unverträglich. Und: So ein extravagantes Hochhaus würde nicht zu einem Ensemble von Wolkenkratzern passen, wie es am Alexanderplatz geplant ist, sagte Jan Kleihues, der selbst mit seinem Entwurf eines einfachen Kubus im Wettbewerb auf Platz zwei verwiesen wurde, gegenüber der Berliner Zeitung (Der Alex ist kein Ort für Geborgenheit, Berliner Zeitung).

Offensichtlich ist, dass heute viele Akteure der Stadtplanung die Kollhoff'schen Parameter für die Alexanderplatz-Bebauung kaum mehr als maßgeblich betrachten. Orientiert wird sich an dem, was da ist. So kritisiert die Vize-Präsidentin der Architektenkammer, Theresa Keilhacker (Debatte um Gehry-Hochhaus entbrannt, Berliner Zeitung), dass Höhe und Volumen des geplanten Turms das gegenüberliegende Haus des Reisens, ein um 1970 gebautes DDR-Relikt, geradezu winzig erscheinen lassen würde. Doch zusammen würden diese beiden Gebäude eine Stadttorfunktion einnehmen, weshalb hier «besondere Sensibiliät» gefragt sei.

Das für das Gehry-Hochaus vorgesehene Grundstück liegt zwischen Saturn-Filiale und Hotel Park Inn (Bild: Autor)

Der Masterplan steht zur Disposition
Laut Senatsbaudirektorin Regula Lüscher passt das geplante Hochhaus hervorragend in das städtebauliche Konzept für den Alexanderplatz. Wobei das derzeit nur undeutliche Konturen aufweist. Mit dem Kollhoff'schen Kranz rechnet wohl kaum noch jemand. Bisher hat überhaupt nur ein weiterer Investor signalisiert, einen Turm im Berliner Zentrum realisieren zu wollen – direkt neben der «Alexa»-Shopping Mall.

Im übrigen existiert für den Gehry-Turm gar kein Baurecht, denn sein geplanter Standort entspricht nicht genau den Vorgaben der Verträge von 2000, weshalb das Landesparlament über eine Änderung des bisherigen Bebauungsplans abstimmen muss. Im zweiten Schritt will der rot-schwarze Senat auch den Masterplan selbst überarbeiten, dabei wohl berücksichtigend, dass die sozialistische Architektur, die am Platz bis heute überlebt hat, inzwischen in der Öffentlichkeit eine neue Wertschätzung erfährt.

Grüne und Linkspartei fordern, erst den Masterplan zu revidieren und dann über das neue Hochhaus zu entscheiden. Die Linke bläst in das gleiche Horn wie Keilhacker. Vorstellbar sei höchstens ein 100 Meter hoher Turm, meint die Abgeordnete Karin Lompscher. Alles darüber hinaus würde die bisherige städtebauliche Struktur des Alexanderplatzes mit dem Park Inn Hotel und den übrigen 60 bis 70 Meter hohen Gebäuden unterwandern.

Mit rein formalästhetischen Argumenten versucht die Opposition also einem Projekt Grenzen zu setzen, dessen Effekte auf den sozialen Raum Alexanderplatz sie derzeit wohl nicht zu problematisieren wagt. Ohne konkrete Summen zu nennen, erklärt Hines-Geschäftsführer Reschke, dass die Preise für die Eigentumswohnungen in dem Turm nicht im Low-Budget-Bereich (In windigen Höhen, taz.de) liegen werden. Sprich: Direkt an einem Ort, den weiter viele einkommensschwächere Stadtbewohner frequentieren und der Schauplatz von Kundgebungen und Demos ist, soll eine vertikale Gated Community für Wohlhabende entstehen.

Es winkt die «schöne Aussicht» auf Nutzungskonflikte und Verdrängungen: Ein kommerzieller Erfolg des Vorhabens könnte weitere Luxuswohnhochhäuser nach sich ziehen, vor allem aber würde er den Anstieg der Mieten und Kaufpreise im vorhandenen Wohnungsbestand rund um den Alexanderplatz sicher noch befeuern. Die mehrere tausend Wohneinheiten in Plattenbauten liegen bisher alle nicht in den oberen Preiskategorien. Sie werden aber schon jetzt zunehmend von gut verdienenden Interessenten nachgefragt, die die zentrale Lage schätzen und keine Resentiments mehr gegen die «Platte» hegen.

Werden die Bewohner des Wolkenkratzers überhaupt genügend Toleranz gegenüber dem populärkulturellen Treiben mitbringen, das sich da unter ihren Balkonen ausbreitet? Die Ordnungsbehörden könnten den Hochhausbau allerdings zum Anlass nehmen, schon im Vorfeld die Nutzung des öffentlichen Raums noch stärker zu regulieren und einzuschränken – inklusive Versammlungsrecht.
Kapitalanlage statt Lebensmittelpunkt
Womöglich wird ein Gutteil der Wohnungen die meiste Zeit leer stehen. Der globale Hype um Berlin lässt für Hines ein Projekt lukrativ erscheinen, das sich an eine internationale Klientel wendet. Die hat bisher eher in London oder Paris Quadratmeter eingekauft und wird weniger ein Berliner Appartement zum neuen Lebensmittelpunkt küren, als vielmehr eine Kapitalanlage in der Hauptstadt suchen, in der sie sich bestenfalls temporär aufhält.

In Deutschland sind innerstädtische Wohnhochhäuser im High-End-Segment ein noch unbekanntes Phänomen. Die Immobilienbranche ist sich aber sicher, dass dieser in asiatischen oder US-Metropolen schon lange etablierte Gebäudetypus auch hierzulande Zukunft hat. Entsprechende Vorhaben, wenn auch in weitaus bescheidenerem Ausmaß als das Projekt am Alex, werden etwa in Düsseldorf (Neue Luxus-Hochhäuser, RP online) und Frankfurt geplant. In Berlin selbst beherbergt derzeit nur das Beisheim-Center am Tiergartenrand ein paar Luxuswohnungen, die weit über der berühmten örtlichen Traufkante von 22 Metern liegen.  

Es sticht ins Auge, dass Luxuswohnhochhäuser oft am Park oder Fluß zu finden sind. Wasser und Grünräume in der Nachbarschaft sind die sicherste Garantie für den Absatz von Nobeldomizilen im Stadtkern. Insofern geht Hines durchaus ein Risiko ein, wenn die Firma einen Wohnturm vermarkten will, aus dessen Fenstern man zwar einen Blick über Berlin werfen kann, dessen Sockel aber nur an eine karge Granitpflasterfläche und stark befahrene Verkehrsadern stößt. Oder auch nicht: Denn die Wohnnutzung ist nicht vertraglich fixiert. Der Investor könnte auch wieder auf die Büroschiene umsteigen.

Eine dieser Adern, die am geplanten Standort des Gehry-Towers ihren Ausgang nimmt, ist die Karl-Marx-Allee. An ihr entlang reihen sich mit den stalinistischen Zuckerbäckerriegeln der 1950er-Jahre und modernistischen Bauten wie dem Kino International DDR-Architekturdenkmäler auf, deren Qualität längst außer Frage steht. 2012 hat der Senat die Karl-Marx-Allee auf die Vorschlagsliste zum Unesco-Welterbe gesetzt. Ein solcher Status ist aber ohne eine Pufferzone baulicher Einschränkungen nicht zu haben. Und in ihr befände sich auch das Hochhaus-Grundstück. Man darf gespannt sein, wie Berlins Regierung ein solchen, von ihr selbst erzeugten Widerspruch wieder aufzulösen gedenkt. Oliver Pohlisch

Oliver Pohlisch ist Journalist, Kulturwissenschaftler und Mitglied des Berliner Zentrums für städtische Angelegenheiten, metroZones. Er arbeitet als Chef vom Dienst bei taz.de. 

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