Kurswechsel: Nachhaltigkeit und Transparenz

Theresa Keilhacker
21. September 2011
Das Neubauschloss: bisher so gut wie ohne Beteiligung der Bürger. Es gilt, das Schloss zu knacken. (Bild: schlossdebatte.de) 
Das Neubauschloss

Begonnen hat dieses Großprojekt 1991 mit der Umbenennung des Marx-Engels-Platzes in "Schlossplatz" und der fragwürdigen Nostalgiebewegung, die eine preußisch-adelige Heimat in der Mitte Berlins wiederauferstehen lassen wollte. Die bislang schon merkwürdige Entwicklung findet ihren vorläufigen Höhepunkt nun in einer fast unbeachteten Aufforderung an die Berliner, den Bebauungsplanentwurf I-219 und die Begründung für das so genannte Humboldt-Forum einzusehen und sich zur Planung zu äußern. Zwei Tage vor der Wahl, am 16. September 2011, lief diese Frist ab. Für die Beteiligung an diesem zentralen Bebauungsplan warb im Wahlkampf jedoch keine einzige Partei.
Von Baukultur oder Transparenz kann auch sonst keine Rede sein. Es wurden keine alternativen Handlungsmöglichkeiten etwa in Moderationsverfahren ermittelt, stattdessen mit einem "beschleunigten Verfahren" ein starrer Entwicklungsrahmen "von oben" statt "von unten" über die Köpfe der Berliner hinweg durchgezogen. Mit den neu gewählten Akteuren könnte nun nachverhandelt werden, denn der Bund als Bauherr hat den Baubeginn von 2010 auf das Jahr 2014 verschoben. Im Interesse einer sachlich umfassenden Planung, und um Verzögerungen durch Klagen zu vermeiden, sollte das Bebauungsplan-Verfahren zum Humboldt-Forum neu aufgerollt und die unterlassene Umweltprüfung dringend nachgeholt werden – zum Beispiel zusammen mit den Piraten, die mit ihrer Partei und satten 8,9 Prozent ins Berliner Abgeordnetenhaus einziehen werden und für mehr Transparenz und Bürgerbeteiligung einstehen. Auf Bezirksebene erreichten die Piraten im Bezirk Mitte sogar sensationelle 10,6 Prozent und können damit den Takt für mehr "Liquid Democracy" bei allen B-Planverfahren im Herzen Berlins vorgeben. Vielleicht wäre es auch genau im Sinne dieser Transparenz sinnvoll, nochmals die Ausschreibung und Vergabe der Architekturleistungen für das Neubauschloss zu hinterfragen. Denn sie verstoßen massiv gegen das Wettbewerbsrecht bei freiberuflichen Leistungen. (Weitere Informationen unter diesem Link)

Auch ohne weitere Eingriffe ein Erfolg: das weite Feld des ehemaligen Flughafens Tempelhof. Attraktiv für alle Freizeit- und Sportaktivitäten. (Bild: Theresa Keilhacker) 
Die stillgelegten Flughäfen Tempelhof und Tegel

Auch andere Großprojekte sollten grundsätzlich neu angegangen werden. Während der neue Single-Airport Berlin-Brandenburg (BER) in Schönefeld im Juni 2012 eröffnet, ist die Nachnutzung der freiwerdenden Flächen am alten Terminal von Schönefeld (SXF) bislang ungeklärt. Seit 2009 entsteht unmittelbar vor dem neuen Terminalgebäude auf 16 Hektar eine Airport City. Der Business Park Berlin in unmittelbarer Nähe ist mit 109 Hektar der größte zusammenhängende Gewerbepark Berlins, der stupide den Allerwelts-Business-Park kopiert: "Business as usual" statt Baukultur.
Ähnliches könnte der Nachnutzung des Flughafens Tegel drohen, der im Juni 2012 geschlossen wird. Die Flughafenanlage aus den 1970er Jahren steht mit ihrem weit sichtbaren Tower und dem markanten sechseckigen Terminal als Marke "TXL" für Mobilität. Seit bekannt ist, dass der Flughafen still gelegt werden soll, gibt es viele nachhaltige Nutzungskonzepte; aber ob Solarpark, begrünte Landebahnen oder neue Wohnformate – wie das Areal Tegels einmal aussehen wird, steht noch nicht fest. Die Gefahr eines öden Gewerbeparks mangels qualifizierten Nachfragedrucks droht auch hier kreative Ansätze für einen neuartigen Mix aus modernen Industriearbeitsplätzen, energieeffizienten Gewerbeflächen, vielfältigen Aufenthaltsräumen und andersartigen Wohnformen an den Rand zu drängen.
Der Tempelhofer Flughafen (THF) wurde bereits vor drei Jahren geschlossen. Ein weites Feld von etwa 400 Hektar steht seitdem den Berlinern für Freizeit und Sport offen und wird begeistert angenommen. Das denkmalgeschützte Flughafengebäude mit seinen Hangars und einer Bruttogeschossfläche von 307.000 Quadratmetern sowie einer Gesamtlänge des bogenförmigen Teils von etwa 1,2 Kilometern dient temporär Messen und Events, den großen Wurf zur nachhaltigen Gebäudenutzung ist die Stadt seit Jahren schuldig. Die Tempelhof Projekt GmbH, eine 100-prozentige Landestochter Berlins zur Entwicklung des Geländes, agiert wenig transparent, es fehlt an klaren politischen Vorgaben und konkreten Ideen. Offenbar bleiben die potenten Investoren fern, die der neue Großflughafen "BER" sowie das benachbarte Europäische Energieforum "Euref" rund um den Schöneberger Gasometer wie ein Staubsauger abziehen. Hier müsste die Senatsverwaltung Geld in die Hand nehmen, um Start-Up-Firmen rund um die Themen "Mode, Freizeit, Sport und Event" eine kostengünstige Ansiedlung im denkmalgeschützten Gebäude zu ermöglichen. Denn die Betriebskosten sind dort bisher überdurchschnittlich hoch. Keinesfalls sollten weiter öffentliche Neubauten auf der grünen Wiese (etwa die geplante Zentral- und Landesbibliothek Berlin) errichtet werden, solange wertvoller Bestand verfällt.

Die Zeit für ein integriertes Gesamtenergiekonzept wird allerdings langsam knapp. (Bild: Christian Holl) 
Zeit für ein Klimaschutz- und Energiekonzept

In Berlin fehlt die Vision einer "Green City". Die Senatsverwaltung ignoriert, dass sich der Fahrradverkehr innerhalb von zehn Jahren verdoppelt hat, Konflikten mit Autofahrern und Fußgängern wird nicht begegnet, die Breite der Fahrspuren wurde den Veränderungen nicht angepasst. In der Hauptstadt gab es im ersten Halbjahr 2011 30 Prozent mehr Schwerverletzte – ein dramatischer Anstieg. Aber statt Geld in ein durchgängiges, sicheres Fahrradwegenetz und Fahrradleihstationen zu investieren, wollen SPD und CDU es lieber für die A 100 ausgeben, die noch mehr Autos schneller zum Flughafen bringen soll. Die anstehenden Sondierungsgespräche zwischen SPD und Bündnis 90/ Die Grünen könnten eine Trendwende hin zu Kohlendioxid-minimiertem Verkehr bringen.
Berlin wartet eh schon seit der Wende auf ein Gesamtenergiekonzept, das die Kriterien der Nachhaltigkeit erfüllt. Die bisherige Vorgehensweise des Senats, nämlich die Entwicklung von Energiekonzepten in wesentlichen Punkten den großen überregionalen Energiekonzernen federführend zu überlassen, darf nicht Grundlage weiterer Stadtpolitik sein. Ein Konzept, das mit Ressourcen schonender Weitsicht die gesamte Wertschöpfungskette der Stadt im Blick hat, sollte nicht nur Erzeugung, Bereitstellung und Verteilung der erforderlichen Energiemedien, sondern auch den öffentlichen Nahverkehr und private Mobilitätskriterien berücksichtigen. Bis zum Jahr 2050 sollte der Ausstoß von Kohlendioxid um 50 Prozent vermindert und etwa 80 Prozent der Energie aus erneuerbaren Quellen kommen. Das Zusammenspiel verschiedener regenerativer Energiequellen könnte am Standort "TXL" erforscht und verwirklicht werden. Hier könnte an die Berliner Tradition als Zentrum industriell-innovativer Entwicklung anknüpft werden.
Gefragt ist deshalb ein "Masterplan Mobilität und Klimaschutz für die Metropole von Morgen". Die Zeit drängt. Nur wenn sich alle Experten rund um Architektur und Energieeffizienz, Mobilität und Wissenschaft mit der Stadtverwaltung an einen Tisch setzen, wäre die Zukunft nachhaltig – für einzelne Standorte und für ganz Berlin.

Im IBA Workshopstudio wurden neue Perspektiven geöffnet. (Projektverfasser und Konzept: chezweitz & roseapple; Realisierung: kubix; Foto: Marion Lammersen) 
IBA 2020: Prototyp der anders durchmischten Stadt

Das Prae-IBA-Team der Senatsbaudirektorin Regula Lüscher hat im letzten halben Jahr exemplarische Experimentierräume in der Stadt ausfindig gemacht und den Dialog mit den Berlinerinnen und Berlinern weit geöffnet: vom Humboldt- und Rathausforum über den Alexander Platz, die Nördliche Luisenstadt und das Kulturforum, hin zu Großsiedlungen wie Gropiusstadt, den XXL-Gebäuden des 20. Jahrhunderts, wie das denkmalgeschützte Flughafengebäude Tempelhof, die Tempelhofer Freiheit und Neukölln sowie den verschiedenen Industriestandorten und ihren Nachbarn. Die inhaltliche Klammer dieser unterschiedlichen Experimentierräume ist die anders durchmischte Stadt. Sie soll durch neue Kommunikationsstrategien entwickelt und mit Hilfe von anspruchsvollen Prozess- und Verfahrensqualitäten optimiert werden. Neue Finanzierungsmodelle für eine Stadt ohne Geld und internationale Vorbildqualitäten müssen dabei den Ausnahmezustand IBA 2020 rechtfertigen.
Gute Stadtentwicklungspolitik ist eben auch eine Kombination von Kultur-, Bildungs-, Wissenschafts- und Wirtschaftspolitik sowie Bewahrung und Weiterentwicklung natürlicher Ressourcen einer Metropolenregion. Dazu gehört der Respekt vor den Kulturschaffenden genauso wie der Schutz vorhandener naturnaher Flächen, der Ausbau der Kita-Plätze, bezahlbare Mieten, die Investition in kreative und kluge Köpfe und deren Beteiligung am Wandel der Stadt. Als Hartz-IV-Hauptstadt mit der höchsten Arbeitslosigkeit Deutschlands und überdurchschnittlich schlechten Bildungsabschlüssen bei Jugendlichen heißt gute Stadtentwicklungspolitik jedoch auch, innovative Unternehmen mit Ausbildungspotenzial anzuwerben und gleichzeitig die landeseigene Liegenschaftspolitik neu auszurichten sowie bezahlbaren Wohnraum in allen 12 Bezirken Berlins zu sichern. Diese stadtentwicklungspolitischen Steuerungsmöglichkeiten werden seit Jahren in Berlin nur weit unter ihren Potenzialen ausgeschöpft. Die Zeichen stehen nach der Wahl auf Kurswechsel. Piraten entern das Schiff. Ahoi! Theresa Keilhacker

Theresa Keilhacker ist freischaffende Architektin und führt seit 1998 zusammen mit Boris Kazanski ein gleichnamiges Büro für Urban Design und Architektur mit Sitz in Berlin. Sie ist Vorsitzende des Fachausschusses Nachhaltiges Planen und Bauen an der Architektenkammer Berlin und Mitglied im Rat für Stadtentwicklung Berlin.

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