14. Dezember 2011
Ein Straßenzug am Rande Stuttgarts: ohne Hingucker, keine Homogenität, aber hier geht man gern her. Ärgerlich sind allerdings die Autos und die dreiste Matratzenwerbung (Bild: Wilfried Dechau)
Der Charme des Unauffälligen

Erst hatte Hanno Rauterberg die neue Hamburger Architektur in der "Zeit" gegeißelt, ganzseitig und unzweideutig, da legte Niklas Maak – ebenfalls, aber nicht nur im Zorn gegen Hamburg – in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (27.11.2011) noch mal nach: Die Stadte verödeten, die Vororte seien ein Horror, und das alles, weil die ökonomischen Interessen Vorrang vor allem anderen haben. Zudem trügen die Lobbyisten des "Schlüsselfertigen" ihr Scherflein zum Elend des Gebauten bei. Die Vorstadtbewohner seien der Alternativen zu ihren 0815-Fertighäusern beraubt und Opfer der Baulobbys. Beklagt wird die Ökonomisierung des Bauens, wo doch der Baudiskurs politisiert werden müsse. Schließlich scheucht Niklas Maak die Architekten aus ihren Mauselöchern und schickt sie auf die Barrikaden für den öffentlichen Raum. Die Schimpferei hat ihre Gründe und stimmt sicher, zumindest teilweise. Aber eben nur teilweise, denn im deutschen Stadt- und Landalltag gibt es durchaus ganz normale Situationen, in denen sich trefflich wohnen, arbeiten, leben lässt. Mit der Lupe suchen muss man diese Situationen keineswegs, und zu Begeisterungsstürmen sollen sie niemanden hinreißen. Sie schreien nicht nach der Aufmerksamkeit des Passanten, sondern flüstern hier und da und lassen ihn ansonsten in Ruhe.
Dass hinter dem Hinweis auf solche passablen Alltagssituationen keine hohlen Versprechungen stecken, müssen wir natürlich beweisen. Im kommenden Jahr beginnt hier deswegen eine Reihe kurzer Beiträge, in der wir uns auf die Suche nach dem Charme des Unauffälligen, des Bescheidenen, des Harmlosen, des Liebens- und Erhaltenswerten machen. Keine Angst: Als Kritiker muss man auf dieser Suche nicht immer mal ein Auge zudrücken – im Gegenteil: man schaut noch genauer hin. ub

Gut gedämmt? Vielleicht. Trotzdem stimmt irgendetwas nicht. (Bild: Christian Holl) 
Nur warm einpacken?

Inzwischen weiß es wahrscheinlich jeder: Etwa 40 Prozent des Energieverbrauchs machen in Ländern wie Deutschland Warmwasserbereitung und Raumheizung aus. Architekten sind gefordert, ihren Anteil an der so oft beschworenen Energiewende beizutragen. Wenn die Probleme drängend, aber komplex sind, scheinen die Menschen anfällig für einfache Lösungen zu sein: 40 Prozent Anteil am Gesamtenergieverbrauch? Dann sollen die Architekten doch einfach ordentlich dämmen. Dass man damit nur viele neue Probleme schafft, ist in einer Sendung im Norddeutschen Rundfunk gezeigt worden: sie dokumentiert eindrücklich den "Wahnsinn Wärmedämmung". So einfach geht es eben doch nicht. Und so langsam haben nun auch immer mehr Architekten gemerkt, dass in demutsvoller Bescheidenheit Qualität meinen für sich sprechen zu lassen, auch zu wenig ist. Es mag sein, dass gute Architektur nur spricht, wenn sie gefragt ist, wie es Hermann Czech formuliert hatte, nun aber ist Architektur gefragt. Politiker, Investoren, Geldgeber verstehen zwar meist trotzdem nicht, was sie sagt, aber immerhin sprechen die Architekten selbst. Auf dem Dresdner Architektentag veröffentlichte die Bundeskammerversammlung, das höchste Beschlussorgan der deutschen Architektenschaft, wie es von der Bundesarchitektenkammer heißt, die Dresdner Erklärung. Darin heißt es unter anderem: "Der Deutsche Architektentag 2011 fordert von Bund, Ländern und Kommunen, eine kompetente und leistungsstarke Bauverwaltung sicher zu stellen." Der BDA veröffentlichte bereits 2009 ein Klima-Manifest und legte im November nach: Mit der expliziten Forderung, mit Gestalt und Verstand zu sanieren. Manifeste, Chartas und Erklärungen allein reichen natürlich auch nicht. Trotzdem ist es ein gutes Zeichen, dass der Ton bestimmter wird. Es ist ein gutes Zeichen, dass nicht Architekten sich nicht nur selbst zu etwas verpflichten, sondern auch die Partner beim Bauen fordern, ihrer Verantwortung gerecht zu werden, um nicht am Ende allein die Sündenböcke für etwas hergeben zu müssen, was andere zumindest mitverschuldet haben. Und dass sie sich damit selbst fordern – umso besser. Die Folgen von falscher Förderpolitik, Lobbyisten-Klüngelei, hektischem Aktionismus und Surrogaten einer heilen Welt ertragen wir schon viel zu lange. ch

So soll die Sustainable Smart Town einmal aussehen. (Bild: Panasonic Deutschland) 
Sind Überwachungskameras die einzige Möglichkeit, um in einer Stadt Sicherheit zu gewährleisten? Meines Erachtens kann dies nicht der richtige Weg sein. (Bild: Panasonic Deutschland) 
"Wenn viele kleine Menschen an vielen kleinen Orten..."

Der Winter ist – zumindest bislang – so warm wie schon seit Jahren nicht mehr. Auch Mitte Dezember zwitscherten hier in Stuttgart die Vögel zeitweise wie im Frühling, die Winterjacke konnte an sonnigen Tagen getrost im Schrank bleiben. Dass sich das Klima verändert, die Atmosphäre erwärmt, bekommen wir immer deutlicher auch am eigenen Leib zu spüren. Schaut man sich angesichts all dieser Zeichen an, wie bei der Weltklimakonferenz in Durban um einen Kompromiss gerungen wurde, verstehe ich die Welt nicht mehr. Der pure Egoismus siegt bei einigen nach wie vor, die Regierungschefs mancher Staaten scheinen immer noch nicht begriffen zu haben, dass wir alle in einem Boot sitzen. Bei diesen Voraussetzungen bleiben nun zwei Möglichkeiten. Entweder wir resignieren und verharren in den alten Mustern oder wir versuchen durch Veränderungen in kleinerem Maßstab das Ruder herumzureißen.
Als eines dieser Projekte darf man die Sustainable Smart Town, kurz SST, von Panasonic betrachten, die bis Ende März 2014 fertig sein soll. Bis dahin wird der Konzern auf einem alten Fabrikgelände im japanischen Fujisawa eine im Betrieb nahezu CO2-neutrale Stadt mit 1.000 Häusern für 3.000 Menschen, mehreren Einkaufszentren, öffentlichen Gebäuden sowie Elektroautos und -fahrrädern errichten. Das Projekt gründet auf den "eco ideas"-Häusern von Panasonic, die über Solar- und Brennstoffzellen Energie erzeugen, in Lithium-Ionen-Akkus speichern, die Energie selbst verwalten und dank modernster Hausgeräte und eines Home Energy Management Systems sparsam damit umgehen.
Den Grund für dieses Pilotprojekts findet man im hundertsten Geburtstag Panasonics im Jahr 2018. Bis dahin will Panasonic "weltweit führend für grüne Innovationen in der Elektronikindustrie sein."
Mit dem Gedanken an eine smarte, vernetzte Stadt ist Panasonic allerdings nicht allein. Auch Siemens wirbt beispielsweise für "mehr Lebensqualität für die Bewohner!" dank intelligenter Städte, die IBM Smarter City wird als "Das Konzept für moderne Städte" angepriesen. Insgesamt spuckte die google-Suche am 10. Dezember 8,22 Mio. Treffer zu diesem Begriff aus. Auch mich fasziniert diese Idee, doch andererseits schreckt mich der Gedanke daran, immer mehr von der Technik anhängig zu werden, ab. Und wenn ich mir die Architektur der Fertighäuser von Fujisawa anschaue, dann ist da noch viel Luft nach oben. sh

Wie Hund und Katz oder Ochs und Esel

Unter schöner oder ansprechender Architektur verstehen wir Bauten, die in klaren Formen und Farben überzeugen. Sie sollen Sachlichkeit vermitteln, die Funktionalität von außen erkennen lassen und doch auch Identität stiften. Viel Anspruch für ein Haus.
Da haben es die Bretterbuden auf den Weihnachtsmärkten leichter. Ihr Aussehen hat sich über Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte nicht verändert. Überall, von Nord bis Süd, ist es das gleiche Bild. Und doch, wer will es anders? Weihnachten ist nun mal Tradition, ist gemütlich und warm. Und dieses Gefühl wird von alten Holzhütten nach wie vor am schnellsten vermittelt. Das kann man akzeptieren. Oder können Sie sich einen Weihnachtsmarkt vorstellen mit "temporären Bauten", die von Architekten entworfen und gestaltet werden? Wäre das eine interessante Aufgabe und würden sich die Städte oder auch die Weihnachtsmarktbeschicker darauf einlassen? Oder kämen dann bei einem entsprechenden Wettbewerb lauter bunte Hütten in Kugelform heraus oder eine Hütte in Tannenbaumform? Was wollen Architekten, wollen wir traditionelle Weihnachtsmärkte mit Architektur verbinden?

Ein Vorschlag für die Beleuchtung der Zeil in Frankfurt (Bild: screenshot) 

Was allerdings wirklich schmerzt, ist die immer wilder werdende Festbeleuchtung. Die hat nun weder was mit Tradition noch mit Architektur zu tun. Da wird wild gehängt und kreuz und quer werden Strippen gezogen, Sterne, Bäume, Ketten, alles durcheinander. Die Stadtverwaltungen und Gemeinderäte beschäftigen sich in Sonderausschüssen schon im Sommer damit, ob und wie und warum die Straßen festlich beleuchtet werden sollen. Und am Ende wird dann beklagt, dass es kein einheitliches Bild mehr gibt, dass es zu hell ist oder keine richtige Stimmung aufkommen lässt. Seit das LED-Fieber begonnen hat, ist kein Halten mehr. Nun werden die Städte in Superlativen beleuchtet und belichtet: wer kann mehr Lichtlein hängen, wessen Lichterketten sind länger und wo strahlt der "Glanz" am weitesten. Unter all dem Geleuchte wird alles andere begraben.

Ansichten aus Berlin, links am Hauptbahnhof, rechts die Weihnachtsbaumskulptur (Bild: screenshot, youtube) 

Es gibt auch Gegenbeispiele, da wird versucht, etwas Neues zu bringen, Tradition mit Zeitgemäßem zu verknüpfen. Am Berliner Hauptbahnhof sieht man neonweiße Lichtlinien, die Hauskanten beleuchten, das hat mit Weihnachten wenig zu tun. Und der Weihnachtsbaum auf dem City-Weihnachtsmarkt, ebenfalls in Berlin, naja! Eine Skulptur, die in ihrer groben Struktur an einen Weihnachtsbaum erinnern soll und mit flammenspuckenden Rohren bestückt ist. Behängt ist das Ganze mit Fundsachen, wie alten Schildern, aus dem Straßenverkehr. Ob das eine gelungene Neuinterpretation von weihnachtlich-moderner Stimmung ist, muss jeder für sich entscheiden, ich finde nicht. pb

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