Architekturexport

Andreas Bittis
5. Februar 2014
Exportschlager Polis – griechisches Netzwerk rund ums Mittelmeer: Milet, Türkei (Quelle: Wikipedia Commons); Piräus, Griechenland (Quelle: Wikipedia Commons); Dura Europos, Syrien (Quelle: google maps); Sagunt, Spanien (Quelle: Wikipedia Commons); Alexandria, Ägypten (Quelle: Wikipedia Commons)

Vom Exportschlager der griechischen Stadt berichtet schon Aristoteles und gibt explizit deren (auch gesellschaftlichen) Bauplan an. So finden sich bis heute rund ums Mittelmeer Stadtgrundrisse wieder, die auf sein Ideal, Hippodamos Milet, verweisen. Die Römer haben dieses ingeniöse Planen bautypologisch wie flächendeckend bis in den letzten Winkel Westeuropas, Nordafrikas und Vorderasiens getragen – immer an die lokalen Notwendigkeiten und Gegebenheiten angepasst, aber auch immer an der großen, zentralistischen Idee «Rom» festhaltend.

Ähnlich ideell kann der Export der gotischen Kathedrale von Frankreich in die Welt betrachtet werden – nur, dass hier das den Raum erleuchtende Licht mit einem über den Dingen stehenden Gott gleichgesetzt wurde. Der Sonnenkönig Ludwig XIV. bezog das folgerichtig wieder auf sich – mit allen ideellen und gestalterischen Konsequenzen, die selbst im entlegensten Winkel Frankreichs von der Gottgleichen Größe des Potentaten erzählten. Noch einen Schritt weiter geht dann das säkularisierte Neue Bauen mit «Licht und Luft für Alle». Angelehnt an die Industrialisierung der Arbeits- und daraus resultierender Produktwelt sollte auch das traute Heim den ideellen wie auch handfesten Errungenschaften der Neuen Zeit nicht nachstehen.

Prämissen
Der Mechanismus des Weitertragens einer Idee entlang der Reise- und Wirtschaftsrouten unseres immerwährenden, nomadischen Daseins ist weltumspannend, kulturübergreifend und zeitlos. Das war und ist nie ein einfaches «copy-paste» inhaltloser Architekturen gewesen. Im Gegenteil, es gab und gibt immer handfeste, «funktionale» Gründe für das Übernehmen und Abändern des in einem anderen Zusammenhang schon Bekannten. Auch Le Corbusier übernimmt nach seiner Reise nach dem Orient Elemente der hier vorgefundenen Architektur und überträgt sie in seine Architektur und Theorie: die Stützen/Pilotis, den Dachgarten, die freie Grundrissgestaltung/Aufteilung in ebenerdige Wirtschafts- und darüber liegenden Lebensräumen, das horizontale Schiebefenster/Langfenster und die freie Fassadengestaltung. Da sage noch einer, dass Reisen nicht bilde!

Ottomanische Architektur, Teteven, Bulgarien (Quelle: Wikipedia Commons); Le Corbusier, Weißenhofsiedlung, Stuttgart 1927 (Quelle: Wikipedia Commons)

(Architektur-)Export setzt offensichtlich mindestens dreierlei voraus: zum einen das Reisen oder das Kennenlernen anderer Länder und Kulturen, also das Öffnen des eigenen Horizonts. Zugegebenermaßen fand und findet so etwas nicht immer mit friedlichen Mitteln statt. Das ändert jedoch nichts an der grundsätzlichen Aussage. Zum zweiten das eigene Positionieren à la: «Wer bin ich?», «Was kann ich?», «Was habe ich zu verkaufen?»  Auch das läuft weit weniger romantisch ab, als es hier klingen mag. Nicht nur Missionare und Diktatoren vergangener Jahrhunderte waren davon beseelt «die Welt am deutschen (oder auch an anderen nationalen) Wesen genesen» zu lassen. Und letztlich, das Vergleichen; die Neugier auf das Fremde oder auch das uns Ähnliche und die abwägenden Rückschlüsse auf das, was man importieren bzw. exportieren möchte. Kurz: das Export-/Importgeschäft funktioniert nur dort erfolgreich, wo man in beiden Welten zu Hause ist – gleichzeitig aber auch immer in der Wahrnehmung der Anderen ein Exot bleibt, der neue Ideen, Produkte oder Prozesse «von unterwegs» mitbringt, von denen am Ende beide Seiten profitieren können. Man kann das alles bei Marco Polo, Alexander von Humboldt, Claude Levi-Strauss und anderen Reisenden nachlesen.
Die hier skizzierten Aspekte für einen erfolgreichen Architekturexport sind im wahrsten Wortsinn stilistisch interessante Fragen. In einem finanzgetriebenen Weltwerteklima des «anything goes» scheint das Entwickeln eines Stils vergangener Jahrhunderte zu fehlen.

Mit Beharrlichkeit und Ausdauer zum Erfolg
«Hie wie drüben» wird es – wie schon erwähnt – nicht ohne eine permanente Präsenz, das Netzwerken vor Ort und den dazugehörigen langen Atem gehen. Das zeigen die Erfolge von Gunter Henn, von Gerkan, Marg und Partner Architekten und RhineScheme Architects in China, Schulitz + Partner Architekten in Brasilien, Eller + Eller Architekten und 4a Architekten in Russland oder Gerber Architekten in Saudi Arabien. Ein zweiter Punkt ist aber gleichbedeutend: die staatliche Unterstützung. Es ist schon bemerkenswert, dass, obwohl gut 71% des bundesdeutschen Bruttoinlandsproduktes durch Dienstleistungen erwirtschaftet werden, bei den meisten Reisen unserer Politiker mit Wirtschaftsdelegation zum Beispiel kein Architekt anwesend ist. Das wird in anderen Ländern anders gehandhabt. Das Thema wird hierzulande immer noch primär dem Goethe-Institut oder dem BDA mit seiner NAX-Initiative überlassen. Erst langsam kommt hier bei den Bundesministerien, Deutschen Botschaften, Außenhandelskammern und anderen Institutionen etwas in Bewegung – ein Umdenken, dass nicht nur «ein Produkt» sich international vermarkten lässt, sondern eben auch «eine Dienstleistung». Sicher funktioniert das Projektgeschäft und Wettbewerbswesen anders als die «schnöde» Warenwelt. Aber auch hier, in Planung und Ausführung, gelten Regeln und Qualitätsmaßstäbe, die so jedenfalls in Deutschland (noch) einzigartig sind.

HENN, Cenke Tower, Taiyuan, China (Bild: HENN); gmp • Architekten von Gerkan, Marg und Partner, Shanghai Oriental Sports Center, China (Bild: Marcus Bredt); RhineScheme Architects, Intellectual Property Publishing House, Beijing, China (Bild: RhineScheme); Schulitz + Partner Architekten, Arena Fonte Nova, Salvador, Brazilien (Bild: Schulitz + Partner); Eller + Eller Architekten, Siemens AG Headquarters, Moskau, Russland Bild: Eller + Eller / digitalarchitektur); 4a Architekten, Privathaus, Moskau, Russland (Bild: Dmitry Chebanenko); Gerber Architekten, King Fahad Nationalbibliothek, Riad, Saudi Arabien (Bild: Christian Richters)

«Made in Germany» wandelt sich zu «Planned in Germany»
Kernstück ist hierbei die immer noch breitgefächerte Ausbildung an unseren Hochschulen – wenn auch mit der Einführung des Bachelors in einer wieder sehr verschulten Art und Weise. Die hier formulierten und ausgetesteten Ansprüche und Erwartungen der jungen Leute an Innovation und Zukunft sind prägend. Das Pragmatische und Machbare kommt nachher im Büroalltag von ganz allein.
Neben der hoffentlich umfassenden, universitären Ausbildung ist das duale Ausbildungssystem im Handwerk hervorzuheben. Eine Qualität, um die uns viele beneiden. Die Fähigkeit, die vielleicht auch kruden Ideen mancher Planer tatsächlich auch umsetzen zu können und zu wollen, ist nicht nur eine Sache des Maschinenparks, der zur Verfügung steht. Die Strecke «vom Kopf in die Hand und wieder zurück» ist manchmal weiter als gedacht und endet häufig genug in den abenteuerlichsten Konstruktionen und überteuertem Murks. Hier kommt sicherlich den deutschen Industrienormen – einer der erfolgreichsten Exportschlager überhaupt – eine zentrale Bedeutung zu. Sie sind eine der Grundlagen, über die sich Planer und Ausführende miteinander verständigen können.

Das zweite Kernstück: der zu Recht vielbeschworene Deutsche Mittelstand, der willens und häufig genug auch in der Lage ist, schlicht «Sachen» auszuprobieren; der meist durch einen persönlich haftenden, geschäftsführenden Gesellschafter angetrieben beständig auf der Suche nach machbar Neuem ist und «Spaß am Tüfteln» hat. Das umfasst sowohl die (auf dem Bau) eingesetzten Materialien als auch den Prozess der Herstellung, der Verarbeitung und des Services. Das Produkt von der Stange bekommt man ja im Zweifel überall – aber ein für das Projekt maßgefertigte Qualitätsprodukt inklusive Montage und bei Bedarf auch späterer Wartung ist in anderen Ländern häufig schwierig zu erhalten. Auch hier ist die am Projekt geschulte Kommunikation zwischen dem, «der weiß, was er will», und dem, «der weiß, was er kann», der Schlüssel zum – auch monetären – Erfolg.

Und schließlich sucht auch das Warenangebot, das die Industrie in Deutschland Planern und Verarbeitern zur Verfügung stellt, seinesgleichen. Das ist der klassische Exportteil. Die Industrie hat mittlerweile den Architekten wieder als Speerspitze des Projektgeschäftes entdeckt – aus Marketinggründen, da sich realisierte Projekte einfach besser präsentieren und publizieren lassen, aber auch weil zufriedene Kunden (Bauherren, Projektenwickler, Planer, Ausführende, Verarbeiter, …) immer wieder kommen, und der Planer und sein Entwurf nun mal das Bindeglied zwischen allen ist. Die Möglichkeiten, die sich daraus für einen Architekturexport ergeben, sind vielfältig: zum einen kann eine materialtechnische Beratung von Seiten der Industrie hier in Deutschland auf Deutsch und im jeweiligen Ausland in der jeweiligen Landessprache stattfinden. Das erhöht die Planungssicherheit. Zudem kann die Verfügbarkeit vor Ort abgeklärt werden oder – wenn es eben nicht anders geht – auch der Materialex– beziehungsweise –import.

Das ist das deutsche Modell aus Planung – Ausführung – Produktion. Und das ist in der Tat weltweit einzigartig. DAS gilt es zu exportieren! Der Netzwerkansatz des NAX – Netzwerk Architekturexport – ist sicherlich richtig, greift aber, solange nur letztlich konkurrierende Architekten unter sich sind, zu kurz. Die Idee an sich, wie oben skizziert, ist nicht exportrelevant genug. Die Zusammenarbeit mit der GTAI – German Trade and Invest und der ihr angeschlossenen Unternehmen sollte deshalb unbedingt ausgebaut werden. Es muss selbstverständlich werden, dass Planen und Bauen zwei Seiten der gleichen Medaille sind. Daraus kann sich dann auch große Architektur, auch für den Export, entwickeln.

Andreas Bittis, Journalist und Architekt, bearbeitete zehn Jahre beim Verlag ARCH+ die Bereiche «Neue Materialien» und «Technologien». Nach der Mitarbeit in internationalen Architekturbüros, wo er unter anderem mit Communication & Research befasst war, ist er seit zwei Jahren in einem internationalen Unternehmen als Architectural Specification Manager tätig.

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