Selbstbewusster Akzent

Autor:
Peter Petz | Podest
Veröffentlicht am
Okt. 3, 2012

Anderhalten Architekten gewinnen den Wettbewerb um den Erweiterungsbau des Umweltbundesamtes Dessau-Roßlau. F. Wolfgang B. Schöning und Claus Anderhalten stellen sich unseren Fragen zum Wettbewerb.
Lageplan 
Wie haben Sie auf den Kontext reagiert?
Der städtebaulich dominante Baukörper des bestehenden Umweltbundesamtes wird durch ein freistehendes 3-geschossiges Gebäude auf dem südöstlichen Terrain ergänzt. Der neue solitäre Baukörper entwickelt sich aus dem vorhandenen städtebaulichen Kontext und bildet so einen integrativen Bestandteil der gesamten Liegenschaft.
Der Entwurf stellt eine formale „Verbundenheit“ zum Hauptgebäude her, ist jedoch ein gestalterisch eigenständiges Gebäude. Der selbstbewusste Akzent wird vor allem durch die Fassadenkonstruktion deutlich sichtbar. Alternierend abwechselnde Flächen von transparent, transluzent bis hin zu opaken Flächen prägen das Fassadenbild. Hinzu kommt eine sich ändernde, an den Himmelsrichtungen orientierte Neigung der opaken Flächen (PV-Module). Es entsteht so eine „skulpturale“ Fassadenstruktur, die sich je nach Blickwinkel leicht verändert. Zudem wird durch die Neigung der Module der Energieeintrag optimiert.
Ansichten 
Wie strukturieren Sie das Erdgeschoss und die Freiräume?
Der prägnante Haupteingang des Gebäudes erfolgt über den südlich angelegten Weg von der Hans-Heinen-Straße sowie gleichrangig vom Durchgang des bestehenden Umweltamtes. Zwei weitere Eingänge ins Gebäude, der eine nördlich zur Fahrradbox, der andere weiter östlich zum Bestandsgebäude hin orientiert bedingen kurze Erschließungswege.  Im Inneren des Gebäudes öffnet das alle Geschosse verbindende Atrium einen einnehmenden und umfassenden Blick in die Gebäudestruktur.
Die Gestaltung der Außenanlagen sucht einen Ansatz zum gestalterischen Gesamtkonzept der gesamten Liegenschaft des Umweltbundesamtes. Die grünen Schollen gliedern den Außenbereich in formal differenzierte begrünte, belaubte und versiegelte Flächen. Mögliche bauliche Erweiterungen können auf Basis des Freiraumkonzeptes in das Gesamtkonzept integriert werden.
Erdgeschoss 
Welche Standards sehen Sie für die Arbeitsplätze vor?
Sämtliche Büros entsprechen den Anforderungen an zeitgemäße, flexibel nutzbare Arbeitsplätze. Das gewählte Ausbauraster lässt die Anpassung an wechselnde Raumgrößen zu und reagiert somit auf zukünftige Veränderungen des Bundesamtes. Sämtliche Büroräume werden natürlich belichtet und belüftet.
Die Raumkonditionen sind den individuellen Nutzerwünschen entsprechend regulierbar. Raumakustische Maßnahmen im Bereich der Wände und Decken sorgen für ein Arbeitsklima ohne akustische Beeinträchtigungen. Die Beleuchtung folgt den Grundsätzen einer energiesparenden, am Tageslicht orientierten Arbeitsplatzbeleuchtung mit direkten und indirekten Komponenten. Die vorgesehene Materialwahl von Lehmbauplatten, Flachsdämmung, Echtholzfurnieren, Linoleum- und Textilbelägen ist an einem weitgehenden Einsatz nachwachsender Rohstoffe orientiert. Die Büromöbel werden hinsichtlich ergonomischer Gesichtspunkte ausgewählt.
Regelgeschosse, Untergeschoss 
Schnitte 
Welches innenräumliche Thema war Ihnen besonders wichtig?
Die Idee der geschossübergreifenden, lichtdurchfluteten Atrien war ein Leitgedanke unseres Wettbewerbsbeitrages. Die gute Orientierbarkeit und der immer wiederkehrende Bezug zum Tageslicht sind entscheidende Entwurfskomponenten. Nicht lange Flure sondern kurze Wege und Kommunikation innerhalb der Atrien waren für uns wichtige Parameter bei der Komposition der Innenräume. Neben dieser Offenheit des Raumflusses steht selbstverständlich die individuelle Rückzugsmöglichkeit in die jeweilige Büroeinheit.
Detail 
Was schlagen Sie zu den Themen Energieerzeugung, Heizung und Lüftung vor?
Für den Erweiterungsbau werden konzeptionell vier Grundsätze verfolgt: Die Minimierung des Energiebedarfs (Passivhausstandard)  |  Die regenerative Energieerzeugung über den Eigenbedarf hinaus vornehmlich aus Sonnenenergie  |  Die Versorgung des Gebäudes allein aus der Gebäudekubatur heraus  |  Die weitgehende Nutzung regenerativer Baustoffe.

Für die Beheizung wurden zwei Szenarien untersucht – Geothermie und Saisonalspeicher. Beide bieten die Möglichkeit, die Wärmeversorgung des Wettbewerbsobjekts als Nullenergiehaus zu realisieren. Der Saisonalspeichervariante wurde jedoch der Vorzug gegeben, da mit ihr über gewisse Zeiten direkt mit dem vorgefundenen Temperaturniveau durch Umwälzung geheizt werden kann und dadurch der bauliche Aufwand für die Heizwärmegewinnung reduziert werden kann.

Eine weitere Heizwärmegewinnung erfolgt über Solarthermie. Sie wird aus kombinierten Photovoltaik-Solarthermie-Modulen (PVT-Module) gewonnen. Die Symbiose der beiden Systeme ergibt durch die Wasserkühlung der Solarthermie eine gesteigerte Stromgewinnung der PV um ca. 30%. Zugleich wird die Kollektorfläche doppelt genutzt. Die Wärme wird mit optimal ausgerichteten Modulen auf dem Flachdach zwischen Frühjahr und Herbst gesammelt.
Energieerzeugung, Heizung, Lüftung 
Welche Materialstrategie schlagen Sie vor?
Der Entwurf sieht eine Stahlbetonkonstruktion mit tragenden Wandscheiben und Kernen vor. In den Obergeschossen sind die Flurwände, die Kerne sowie die opaken Wandscheiben der Fassade als tragendes Stahlbetonsystem vorgesehen.  Die geschlossenen Fassadenbereiche werden mit Zellulosedämmung gedämmt. Auf der Innenseite ist die Fassade mit einer perforierten Holzwerkstoffplatte verkleidet, welche zur besseren Raumakustik beiträgt. Die Böden erhalten einen schwimmenden Estrich auf Trittschalldämmung sowie in den Büronutzungen einen textilen Belag. Die thermoaktiven Stahlbetondecken bleiben grundsätzlich materialsichtig. Die Trennwände werden als Holzständerwerk mit Flachsdämmung und Lehmbauplatten ausgeführt. Innentüren sind als Vollholztüren in Blockzargen mit Lärchenfurnier vorgesehen.

Zur besseren jährlichen Feuchteregulierung werden sämtliche Wandflächen mit einem zweilagigen Lehmputz versehen und in Teilbereichen mineralisch weiß gestrichen.
Die Böden der Erschließungsflächen erhalten einen farbigen Linoleumbelag, im Erdgeschoß werden Betonwerksteinbeläge verlegt.  Das Gesamtobjekt erhält ein Farbkonzept, das von partiellen monochromen Farbflächen sowie von materialsichtigen Oberflächen bestimmt wird.
Detail 
Gibt es schon einen geplanten Fertigstellungstermin?
Ein Fertigstellungstermin ist nicht bekannt. 
Modell 

Die komplette Wettbewerbsdokumentation finden Sie in
wa 10/2012
Erweiterungsbau des Umweltbundesamtes Dessau-Roßlau
Nicht offener, einphasiger, interdisziplinärer anonymer Wettbewerb nach RPW 2008

Jury
Prof. Eckhard Gerber, Vors.
Prof. Dr. Uta Pottgieser
Gisela Nobis-Fritzen
Prof. Dr. Marina Schulz
Dorit Sauer

1. Preis
Arch.:  Anderhalten Architekten
Berlin
TGA:  Winter Ber. Ing. F. Gebäudetechnik
Bauphysik: Müller-BBM GmbH

2. Preis
Arch.:  Alten Architekten
Berlin
TGA :  VIKA Ingenieur GmbH
Bauphysik : VIKA Ingenieur GmbH

3. Preis
Arch.:  knerer und lang Architekten
Dresden
TGA :  GESA-Ing.-Ges. für Technische Gesamtplanung mbH
Bauphysik : Krebs und Kiefer Ber. Ing. für das Bauwesen GmbH