Wie gut ist Gold?

Autor:
ch
Veröffentlicht am
Dez. 7, 2011

Sollte architektonische Qualität Teil der Zertifizierung sein, wie sie etwa das Deutsche Gütesiegel Nachhaltiges Bauen DGNB anbietet? Architektonische Kriterien sollten eine Rolle spielen – Zertifikate können aber keine Auszeichnung für architektonische Qualität sein. Ein Kommentar zur aktuellen Diskussion.
 
Wenn ein Gebäude von der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen DGNB mit einem Siegel in Gold ausgezeichnet wird, müsse es auch architektonisch gut sein. Diese Meinung vertrat Amandus Sattler am 15. November auf einer Fachtagung "Nachhaltig gestalten" der Architektenkammer. Man kann das nachvollziehen: Da wird mit "Gold" ein Haus wie die Pasing-Arkaden ausgezeichnet. Hier waren Allmann Sattler Wappner Architekten nicht nur dafür verantwortlich, dass es entsprechend zertifiziert werden kann, sondern haben auch erfolgreich um architektonische Qualität gerungen. Andere Gebäude erhalten das gleiche Siegel ohne hohe architektonische Ansprüche einzulösen – dass da etwas nicht stimmen könne, ist also zunächst eine verständliche Reaktion. Sie ist es auch deswegen, weil es berechtigt ist, darauf zu verweisen, dass hohe architektonische Qualität ein ökologischer Wert sei – wird doch damit das Risiko minimiert, dass ein Gebäude nach wenigen Jahrzehnten wieder abgerissen und durch einen Neubau ersetzt wird. Trotzdem bin ich der Meinung, dass sich Architekten keinen Gefallen tun, wenn das DGNB-Siegel auch als eine Auszeichnung für gute Architektur verstanden wird.
 
Wie viel Prozent gute Architektur sollen es sein?
Das erste Problem stellt sich mit der Frage, wie Qualität gemessen werden sollte. Schon Gottfried Semper misstraute den Kunstverständigen, die "keinen eigenen inneren Maßstab" für den Wert eines Werkes haben und "das Geheimnis des Schönen in einem Dutzend Vorschriften erfasst zu haben glauben, während sich doch die unendlichen Variationen der Formenwelt gerade erst in dem Verleugnen des Schemas zu charakteristischer Bedeutung und individueller Schönheit gestalten." Die Auseinandersetzung über architektonische Qualität ist keine, die abschließende Ergebnisse zeitigt – gerade deswegen sollte sie einschließlich der Frage nach den Kriterien von Qualität als ständiger Diskurs geführt werden. Und sich von dem bereichern lassen, was zunächst nicht Teil dieses Diskurses zu sein scheint.
Ein Zertifizierungstool könne nie ganzheitlich sein; das der DGNB habe Mängel, sei aber wahrscheinlich das beste, das es gebe, so Thomas Auer von der Transsolar in Stuttgart. Das ist kein Widerspruch. Die Zertifizierung macht Aussagen über das, was sie bewertet. Für alles andere ist sie blind. Für die Nutzungsintensität ebenso wie für Verkehrsinduktion; von sozialen Aspekten mal zu schweigen. Sie bewegt sich in den Grenzen einer fixierten Art, Dinge zu betrachten und zu analysieren. Dass dabei auch Aspekte eine Rolle spielen sollten, die zum Diskurs über Architektur gehören, ist unbestritten und soll auch nicht ausgeschlossen werden. Doch Architektur erschöpft sich nicht in abfragbaren Kriterien. Die wissenschaftliche Methode setzt voraus, dass die Vorstellung von der Art der Erkenntnis besteht – es ist aber nicht die einzig mögliche Art der Erkenntnis. Es schauen nämlich, so Paul Feyerabend, "die Errungenschaften des modernen wissenschaftlichen Denkens nur dann wichtig aus und eine Beschädigung dieser Errungenschaften erscheint nur dann gefährlich, wenn man bereits eine bestimmte Ansicht von der Natur und vom Zweck der Erkenntnis hat. Es gibt aber viele solche Ansichten." Um die Offenheit für eine andere Art von Erkenntnis über Architekturqualität zu bewahren, sollten Architekten darauf bestehen, dass ihre Arbeit sich auch auf solche Kriterien bezieht, die der Zertifizierung nicht zugänglich sind. Mit anderen Worten: Die Logik der Zertifizierung und die des Qualitätsdiskurses sind nicht kompatibel. Wenn das eine in das andere gepresst werden soll, dann nur um den Preis, dass Möglichkeiten ausgeschlossen werden, sich über Qualität zu verständigen. Auch eine TÜV-Plakette macht keine Aussage darüber, welche ästhetische Qualität das Auto hat, das sie trägt – sie ist deswegen nicht falsch.
 
Man sollte nüchtern betrachten, was das Siegel leistet und wo seine Grenzen liegen. Das DGNB-Siegel, das war in Stuttgart nichts Neues, ist eines, das auf Bedürfnisse des Immobilienmarktes reagiert. Es stellt aufgrund von festgelegten Kriterien, messbaren Parametern ein Ergebnis in Prozent fest, je mehr Prozent, desto besser. Die ökologische Qualität von Gebäuden wird vergleichbar, die besondere Anstrengung von Investoren kann verlässlich und glaubhaft mitgeteilt werden. Und belohnt über die gemachten Anstrengungen, nicht zuletzt die finanziellen Investitionen, als Vermarktungshilfe. Dagegen ist nichts zu sagen. Aber der Immobilienmarkt, der hier bedient wird, ist ein Segment, der nur einen Teil aller Bauten einschließt. Seine Gesetze müssen nicht auf das Bauen in toto übertragbar sein und sollten nicht abwerten, was sich der Zertifizierung verschließt. Der über Siegel erfasste Gebäudebestand ist verschwindend gering. Und wird es vorerst bleiben, weil eben bei weitem nicht nur Gebäude errichtet werden, die vermarktet werden sollen. So wäre es auch nicht im Sinne der Architektenschaft, wenn es sich durchsetzt, dass in VOF-Verfahren  abgefragt wird, wie viele zertifizierte Gebäude das sich bewerbende Architekturbüro bereits entworfen habe. Das, so war in Stuttgart zu hören, sei bereits vorgekommen. Damit würde eine sich selbst verstärkende Wechselbeziehung installiert, die die Frage nach Architekturqualität gefährlich reduziert – mal ganz abgesehen davon, dass darüber, ob überhaupt zertifiziert werden soll, der Bauherr und nicht der Architekt entscheidet.
So wichtig es ist, intensiv nach Wegen zu suchen, angesichts der ökologischen Bedrohung verantwortlich zu handeln – zu diesem intensiven Suchen muss die Bereitschaft gehören, offen für andere Denk- und Sichtweisen zu bleiben, sich stets nach den Kriterien und ihrer Relevanz zu fragen, anstatt ein Siegel aufzublähen und Argumente zu inkorporieren, die dadurch eben auch unsichtbar würden – wer außer den Fachleuten weiß denn schon, was die Zertifizierung tatsächlich bewertet? Wer wüsste denn letztlich, wie die architektonische Qualität im DGNB-Siegel bestimmt wird?
 
Für den Diskurs jenseits von Plaketten und Siegeln
Zum Abschluss noch einmal zurück zu den Pasing-Arkaden. Im Rahmen dessen, was die Aufgabe erfordert, haben die Architekten gute Arbeit geleistet. Sie haben Einkaufen und Wohnen miteinander kombiniert, eine dem Standort angemessene Form gefunden. Und doch stehen dort eben auch die Schilder, die anzeigen, dass im Platz- und Promenadenbereich unter anderem das Durchsuchen von Abfallbehältern, das Ballspielen, und der übermäßige Alkoholgenuss verboten sind. Es ist offensichtlich, was diese Richtlinien sollen: Sie sollen bestimmte Personen von der Nutzung des Freiraums ausgrenzen. Für das DGNB-Siegel muss das keine Rolle spielen. Auch die Architekten können nicht für diese Rechtskonstruktion verantwortlich gemacht werden. Aber in der Diskussion über die Architektur und ihrer Lebenswelt prägenden Qualität darf sie nicht ignoriert werden. Je umfassender aber der Anspruch einer Auszeichnung ist, desto schwieriger wird es, einen Diskurs jenseits der ihr zugrunde liegenden Kriterien zu führen. Die Auseinandersetzung über Architektur sollte in der Gesellschaft jenseits architektonischer Plaketten und ökologischer Zertifikate geführt werden. ch
Zum Thema
Internetseite der DGNB

tec 21, Ausgabe 47/2011: Holger Wallbaum und Regina Hardziewski: Minergie und die anderen. Ein Vergleich dreier internationaler Labels mit Minergie


Werden wir die Erde retten?
Veranstaltungsreihe der Kulturstiftung des Bundes und des Suhrkamp Verlags

Zitate
Gottfried Semper: Wissenschaft, Industrie und Kunst, in: Klaus Thomas Edelmann und Gerrit Terstiege (Hg.): Gestaltung denken. Grundlagentexte zu Design und Architektur. Basel 2010

Paul Feyerabend: Wissenschaft als Kunst. Frankfurt am Main 1984