Löchrige Argumentation

Autor:
ch
Veröffentlicht am
Okt. 5, 2011

Dichte ist ein zentraler Begriff der Städtebaudiskussion der letzten Jahrzehnte. Er scheint (immer noch) jene städtischen Qualitäten handhabbar zu machen, die sich des bezifferbaren Zugriffs entziehen. Dass Dichte allein Qualität garantiert, das zu glauben ist so naiv natürlich niemand. Kann der Begriff dann aber überhaupt in der Diskussion um zukünftige Aufgaben der Planung hilfreich sein?
 
40 Jahre ist die schweizerische Zeitschrift archithese geworden, das Jubiläum feiert sie mit einer Zeitschrift zur Architekturkritik. Die vorherige Ausgabe hätte es thematisch auch hergegeben, das Jubiläum zu feiern, galt sie doch einem Schwerpunkt, der im Städtebau (nicht nur) der letzten vierzig Jahre eine zentrale Rolle spielt: Dichte. Ein Heft, das in einer eindrucksvollen Bandbreite diesem Thema unterschiedliche Facetten abgewinnt, sei es in Bezug auf die Entwicklung europäischer Metropolen (Berlin und Zürich) und außereuropäischer Megastädte (Dhaka in Bangladesch und Lagos), sei es hinsichtlich raumplanerischer und architektonischer Aspekte (anhand des Wohnbaus) oder der geschichtlichen Dimension. "Kaum ein städtebauliches Thema stößt im zeitgenössischen Diskurs auf eine größere Akzeptanz als jenes der Dichte", heißt es im Editorial. In der Tat: Man muss nie lange warten, bis die Forderung nach Dichte respektive Verdichtung erneut erhoben wird, sei es im Zusammenhang mit städtischen Erneuerungsprojekten, sei es generell anhand der Frage, wie Planung auf drängende Fragen der Zukunft reagieren solle.

Dicht = gut?
Gründe gibt es meist mehrere: allen voran inzwischen ökologische. Dichte wird gefordert, um der flächenversiegelnden, verkehrsinduzierenden und infrastrukturell aufwändigen "Zersiedlung" Einhalt zu gebieten. Außerdem scheint ein gewisses Maß an Dichte auch eine notwendige Voraussetzung dafür zu sein, die Vielfalt an Angeboten und unterschiedlichen Lebensstilen, an funktionaler, kultureller und sozialer Mischung zu gewährleisten, die dann als urban empfunden wird. "Gesellschaft durch Dichte" ist ein Schlagwort, das seit den 1960er Jahren propagiert wird, auch wenn schon damals bekannt war, dass durch (bauliche) Dichte allein Stadt nicht entsteht. Da die Komplexität des Städtebaus zu hoch ist, als dass in einer Abarbeitung von Kennziffern Qualität garantiert werden kann, und es demnach auch kein Mindestmaß an Dichte gibt, das die Qualitäten sichert, wird die Forderung nach Dichte wahrscheinlich zur Sicherheit vorsorglich erhoben – je dichter, je urbaner; Kronzeugen sind dann Barcelona, München-Schwabing, Stuttgarts Westen ... . Wenn also schon Urbanität schwer durch einen Dichtewert fixiert werden kann, wie sieht es dann mit der ökologischen Argumentation aus? Die mag so recht nur auf den ersten Blick zufriedenstellen; wird berücksichtigt, wie intensiv die Flächen genutzt werden? Sind denn dabei auch die Fragen danach, wie die dichten Städte versorgt werden, welche Strukturen sie benötigen, um zu überleben, berücksichtigt? Woher kommt das Trinkwasser, woher der Strom, die Konsumgüter, die Nahrungsmittel, wohin wandert der Müll? Zwar wird stets gewarnt, Dichte nicht als Allzweckwaffe zu verstehen, nicht eindimensional zu denken, Dichte nicht ohne Mischung, nicht ohne adäquate Gestaltung zu denken. Trotzdem: Dichte ist erst einmal gut. Und hohe Dichte fordern ist so lange leicht, so lange die tatsächlich wirksame Gesetzgebung verhindert, dass städtische Strukturen so dicht werden, dass sie sozial oder gesundheitlich problematisch werden.
 
Auch aus anderer Perspektive scheint die Forderung nach Dichte merkwürdig. Denn Dichte ist vor allem erst einmal eine Sache immobilienökonomischer Rentabilität. Im Vorwort zum Band "Gesellschaft durch Dichte" stellt Gerhard Boeddinghaus 1995 fest, schon in den 1960er hätten erfahrene Stadtplaner prophezeit, "dass eifrige Spekulanten sich die Thesen von der anzustrebenden höheren Dichte der Bebauung so schnell wie rücksichtslos zunutze machen würden. So kam es dann auch."

Auch Dichte muss sich lohnen
Tatsächlich ist in den Zentren prosperierender Regionen bauliche Dichte nichts, was noch gefordert werden müsste. Ob Stuttgart, Frankfurt, Hamburg, München, Zürich, in Teilen inzwischen auch in Berlin, von Paris oder London ganz zu schweigen: Wenn hier abgerissen wird, dann in der Regel, um danach nur noch höher zu bauen. Die Mieten sind trotzdem hoch. Und als sei es eine andere Welt, wächst die Siedlungsfläche draußen Tag um Tag, werden Einfamilienhausgebiete ausgewiesen, Straßen gebaut. Die Wohnfläche pro Einwohner wächst stetig. Zwar mag die vergleichsweise kurze Phase der politisch gewollten Entmischung und Entdichtung vorbei sein. Dem Ende nähert sich vermutlich auch die Phase, in der sich in der Stadtplanung das Primat staatlicher Politik als in einem über Wohnungsbauförderung, Entfernungspauschalen und Verkehrswegebau wirksamen fordistisch-keynesianischen Akkumulationsregime (Michael Müller) niederschlägt. Die Prozesse von heute scheinen vorerst allein davon geprägt, dass noch die Vorteile von Dichte deren Nachteile individuell nicht aufwiegen: Dicht gerne, aber nur, wenn es mich nicht betrifft oder ich dadurch höhere Investitionskosten habe. Denn es soll ja nicht vergessen werden: Verdichtungspotenzial gibt es beileibe nicht nur im Wohnungs-, sondern auch im Industriebau; und es stellt sich die Frage, warum Verdichtung, wenn man sie umfassend ökologisch also auch sozial versteht, zuvorderst beim sozial sensiblen Thema des Wohnungsbaus ansetzt anstatt an denen der Industrieansiedlung und der Produktionsketten, der Mobilitäts- und Versorgungskonzepte. Es scheint, als arbeite sich der Diskurs um Dichte noch an den Fehlern der Stadtplanung der Nachkriegszeit ab, als ob die nicht schon lange bekannt wären und sich längst die Frage nach einem intelligenten Umgang mit den zwar dichten, aber sonst nicht einfachen Großwohnsiedlungen stellt. Als wüsste man nicht längst, dass man keinem hilft, wenn man sie als Feindbild verdammt.
 
Der Diskurs um Dichte ist vor allem deswegen noch virulent, weil sich Dichte als von knappen Ressourcen und hohen Mobilitätskosten erzeugte Notwendigkeit abseits der prosperierenden Zentren nicht von alleine einstellt. Das könnte sich bald ändern, und dann gilt es darauf vorbereitet zu sein. Nicht guter Städtebau durch Dichte, sondern guter Städtebau trotz Dichte wäre dann die Aufgabe – Verteilungsgerechtigkeit, faire Wohnungspreise und lebenswerte Stadtquartiere dann zu gewährleisten, wenn Energie knapp und teuer ist. Soweit ist es freilich noch nicht, aber als Forschungsfragen wären solche Szenarien nützlich und aufschlussreich.

Andere Qualitäten, andere Fragen sind wichtiger
Im aktuellen Diskurs hingegen wäre es interessant zu beobachten, wie sich Diskussionen gestalteten, wenn man einmal auf Dichteforderung gänzlich zu verzichten angehalten wäre, da sie allein ja doch kaum hilft, Qualitäten zu gewährleisten und doch nur Gefahr läuft, zu einem Fetisch zu degenerieren oder als konsensfähige, aber letztlich tatsächliche Intentionen tarnendes Mäntelchen zu dienen. Werden alle Qualitäten an nachhaltigen Energiestrukturen, umweltverträglicher Mobilität, einer Stadt der kurzen Wege durch funktionale Mischung, ansprechender und nutzungsfreundlicher Gestaltung eingelöst, brauchte man Dichte nicht mehr separat zu fordern. Man öffnete damit auch den Blick darauf, dass all diese Forderungen auch dort einzulösen sind, wo Bevölkerungsrückgang und gesellschaftliche Fragen gravierende Probleme stellen. München-Schwabing ist eben kein Modellfall für Kleinstädte, für Städte, deren Bevölkerung zurückgeht oder für ländliche Räume; wir sollten nicht vergessen, auch sie müssen bewohnt werden können. Soviel zur europäischen Perspektive. Was die großen Dichten in den Metropolen anderer Kontinente schon jetzt an Problemen verursachen, ist damit noch nicht berührt. Dort stellen sich große Fragen, dort, wo man unsere Probleme gerne hätte und über das, was wir als dicht empfinden, nur milde lächeln kann. So dicht, wie mancher es hier gerne hätte, ist es dort schon lange. ch
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Archithese
Ausgabe 3|2011 – Dichte

Nikolai Roskamm
Dichte. Eine transdisziplinäre Dekonstruktion.
Diskurse zu Stadt und Raum

Bielefeld 2011

Zitierte Quellen
Gesellschaft durch Dichte. Kritische Initiativen zu einem neuen Leitbild für Planung und Städtebau 1963/ 1964. In Erinnerung gebracht von Gerhard Boeddinghaus.
Braunschweig/ Wiesbaden 1995

Michael Müller: Drei Stadtmodelle
In: ders.: Kultur der Stadt. Essays für eine Politik der Architektur. Bielefeld 2010

Serie Diskursbegriffe – bisher erschienene Beiträge
Christian Holl: Spatial Turn
Ursula Baus: Neue Räume, neue Begriffe
Robert Kaltenbrunner: Nachhaltigkeit
Christian Holl: Pop
Ursula Baus: Kontinuität
Robert Kaltenbrunner: Massenkultur (Teil1)