Jenseits von Facebook

Autor:
ch
Veröffentlicht am
Sept. 26, 2012

Der durch neue Medien leichter gewordene Protest hat Versprechen nach einer anderen Beteiligungskultur provoziert und hohe Erwartungen geweckt. Aber mit der Logik der Abstimmung, die durch das Internet so verführerisch leicht gemacht wird, ist die Beteiligung nicht einfacher geworden. Ob mit ihr eine fruchtbare Diskussion über Architektur gefördert werden kann?
 
In einem Kommentar der Süddeutschen Zeitung vom 2. Juni dieses Jahres machte Adrian Kreye darauf aufmerksam, dass Julian Assange nicht mehr der strahlende Revolutionär ist, als den man ihn noch vor kurzem gefeiert hat, sondern "nur noch eine Fußnote im Weltgeschehen". Überhaupt seien die großen Revolutionen bei uns schon zwei- bis dreihundert Jahre her. "Was sich in den Industrieländern durch digitale Technologien verändert hat, ist viel weniger glamourös – der Medienvertrieb, die Kulturvergütung, die Werbung und der Einzelhandel."

Ernüchterung kann heilsam sein
Die Euphorie ist verflogen, die sich von einer durch das Netz gestützten Transparenz und Partizipationskultur Impulse gegen Politikverdrossenheit sowie eine Belebung von verknöcherten Beteiligungspraktiken erhofft hatte. Die neuen Medien allein können auf das Kernproblem, wie sinnvoll Beteiligung praktiziert werden kann, wie in der Planung Bürgerbeteiligung verbessert und gefördert werden kann, nicht antworten.
Ernüchterung kann auch konstruktiv genutzt werden. Zwar steht nicht in Frage, dass das Internet gewisse Abläufe, den Zugang zur Verwaltung erleichtern kann oder dabei hilft, eine Diskussion vorzubereiten und Material zur Verfügung zu stellen. Das allein reicht aber nicht.
 
Das Internet verführt zur schnellen, kurzen, auch mal unbedachten Äußerung. Aber nicht immer tut dies Diskussionen und dem Verständnis eines Problems gut, insbesondere des Typs, um den es sich bei Planung und Architektur handelt. Horst Rittel hatte diesen Typ wicked, "bösartiges Problem", genannt. Zu den Kennzeichen eines solchen bösartigen Problems gehört, dass es auf zahlreiche Arten erklärt werden kann und die Wahl der Erklärung die Art der Problemlösung bestimmt. Das hieße, dass erst eine Auseinandersetzung darüber stattfinden muss, wie ein Problem gesehen werden soll, wie man entsprechend damit umgehen, wie man Aspekte gewichten will, bevor man über mögliche Alternativen redet und sie gegeneinander abwägt. Erst wenn absehbar ist, dass keine Einigkeit erzielt werden kann, muss abgestimmt werden.
Prozesse, die man im Internet beobachten kann, scheinen diese Logik umzudrehen. Erst einmal wird abgestimmt, dann (gegebenenfalls) diskutiert. Die ZDF-Sendung Aspekte hat mit einer Umfrage über die beliebteste Bausünde das Sommerloch gestopft. Mit sicher erheiternden Beispielen, aber auch mit dem offensichtlich populistischen Beigeschmack, dass man es den Fachleuten nun auch mal zeigen dürfe – die zweifelhafte Auszeichnung "gewonnen" hat mit großem Vorsprung keine der fast rührenden Planungspannen und hilflosen Problemlösungsversuche, die zur Abstimmung standen, sondern Gottfried Böhms Ulmer Zentralbibliothek von 2004. Das ist nicht mehr als durch vermeintliche Partizipation legitimierte Polemik auf niedrigem Niveau, für einen weiterführenden Diskurs über Baukultur herzlich ungeeignet. Auf die Vorstellung des wie es heißt, "durchaus ambivalenten Gebäudes" am 28. September darf man gespannt sein. Immerhin ist auch ein Bericht über Gestaltungsbeiräte als Instrument der Förderung von Architekturqualität in Vorbereitung.
 
Sensibler war man auf der Plattform Nexthamburg. Die hat im Auftrag der Behörde Stadtentwicklung und Umwelt (BSU) je eine Abstimmung über das beliebteste und unbeliebteste Gebäude Hamburgs initiiert, die BSU hat direkt an die Auswertung der Umfrage eine Diskussion angeschlossen, wie das Ergebnis zu deuten und zu bewerten sei. Auch hier finden wir Anzeichen von bekannten Ressentiments, im Unterschied zu Aspekte stehen hier Abstimmung und Lebensumwelt in direktem Zusammenhang: Hamburger reden über Häuser ihrer Stadt, nicht Deutsche über Bausünden. Die Abstimmung zeigte so auch ein deutliches Missfallen daran, dass in Hamburg (wie anderswo auch) zu leichtfertig abgerissen wird – und zeigt, wie notwendig eine Diskussion über den Umgang mit Bausubstanz ist, wie wichtig die Frage ist, nach welchen Werten der Bestand bemessen wird. Soweit so gut.

Wie kann man produktiv diskutieren?
Und doch bleibt ein Unbehagen. Der Erfolg der Facebook-Logik, die suggeriert, gut sei das, was möglichst vielen gefalle, spitzt dieses Dilemma zu. Protestieren ist einfach geworden – man muss nur online einen vorformulierten Aufruf unterschreiben. Entsprechend ist man verführt zu glauben, dass auch eine konsensfähige Entscheidung über die große Zahl, über die Fähigkeit zu mobilisieren herbeigeführt werden könne. Diese Logik ist eine des Bestätigens durch Abstimmung. Aber wenn man erst einmal soweit ist, dass zwischen Ja und Nein abgestimmt wird, ist die Komplexität bereits auf eine Weise reduziert, die dem Wesen architektonischer und planerischer Fragen nur bedingt gerecht wird. Wer Likes und Dislikes vergibt, anerkennt das System, das auf der Attraktivität der Abstimmung per Click aufbaut. Es verengt den Raum, in dem nach dem gefragt werden kann, was bislang noch nicht gedacht worden ist. Es wertet nach Bestätigungen, und auf Bestätigungen zu zielen heißt, auf der Basis des Bekannten und Erwarteten auf Zuspruch zu spekulieren. Eine differenzierte Betrachtung, die erst einmal darüber nachdenkt, welche Aporien, welche strukturellen Beziehungen, welche Gefüge einer Sache, einem Problem zugrunde liegen, welche Wahrnehmungsstrukturen und Selbstvergewisserungspraktiken eine Lösung erschweren, findet hier kein Ziel.
Ob man mit dieser Logik eine grundsätzliche Debatte initiieren oder unterfüttern kann? Mit gezielter Auswahl prominenter Autoren sorgt das Debattenjournal der Bundesstiftung Baukultur für hochwertige Beiträge. Aber auch hier wird das "Farbe bekennen" als Maßstab gesetzt. Auf eine alle zwei Wochen gestellte Frage, die mit Ja oder Nein beantwortet werden kann, kann man zwar auch mit "Ja/Nein" antworten, das Angebot, den Daumen heben oder senken zu dürfen, bleibt aber ein wesentliches, die Attraktivität bestimmendes Charakteristikum. Dieses Angebot wird rege genutzt. Der inhaltlichen Auseinandersetzung dient es freilich zumindest vorerst wenig, wenn man diese an der dürftigen Anzahl der Kommentare zu den erbetenen Gästestatements misst – allerdings ist diese Seite auch erst seit Juli 2012 online, für Bewertungen ist es daher noch zu früh.
 
Partizipation anwenden und vermeiden
Bemerkenswert ist zu diesem Thema ein kürzlich erschienenes Buch von Markus Miessen: "Albtraum Partizipation". Das Dilemma formuliert Miessen so: "Partizipation ist jedoch zur ultimativen Willensbekundung im Sinne einer Abwälzung der Verantwortung geworden, bei der sich ein aktiver Player, der wegen seiner Entscheidungsfindung kritisiert werden könnte, zum Vertreter der Vorlieben und Entscheidungen einer angeblichen Mehrheit macht." Miessen folgt nicht einer stringenten Argumentationslinie, er bearbeitet seine Themen beharrlich, wenn auch nicht immer leicht nachvollziehbar. Seine Auseinandersetzung dreht sich um Formen des Protests, des Misstrauens gegenüber etablierten Machtstrukturen und um die Frage, wie in konsensorientierten Entscheidungsstrukturen unorthodoxe Anregungen und Denkweisen Eingang finden können. Dabei stellt er weder demokratische Grundsätze in Frage, noch sucht er Lösungen in idealistischen Modellen. Er kritisiert vielmehr, dass die Übernahme von Verantwortung durch vermeintliche Sachzwänge, wirtschaftliche Verwertungslogiken und unübersichtliche Machtstrukturen desavouiert wurde. Und die Logik der Entweder-Oder-Entscheidungen lässt widersprüchliche Sichtweisen nicht zu, sie verhindert, dass Konflikte als produktives Kapital aufrecht erhalten werden. Gerade diese Logik aber macht Partizipation vermeintlich so verführerisch einfach. Die "Schwierigkeit des Problems der Partizipation" bestehe "gleichermaßen in ihrer Anwendung und ihrer Vermeidung", schreibt Miessen.
Es ist diese unbequeme Frage nach der Vermeidung von Partizipation, der man nicht ausweichen darf – verstanden als eine Frage, die nicht der Beteiligung widerspricht oder ihr gegenübersteht, sondern als eine, die parallel zu anderen gestellt werden muss. Es muss das kritische Projekt, die kritische Aktion, die Sicht von außen durch einen "ungeladenen Außenseiter" ebenso Teil der Entscheidungsfindung sein. Ohne eine Kultur, die die Übernahme von Verantwortung respektiert und fördert, wird sich Politikverdrossenheit nicht abbauen lassen. Miessen macht prinzipiell den Architekten als eine Person aus, die als solch ein "ungeladener Außenseiter" unbequeme Fragen stellen kann, anstatt sich lediglich als Dienstleister zu verstehen; "Architekten haben immer versucht, Vorschläge auf der Grundlage ihrer relativen Autonomie zu entwickeln", so Miessen. Autonomie heißt aber auch Autonomie von Beifall. Heißt Mut zur Entscheidung, zum Risiko, das zu tun, wofür einem die Zustimmung nicht umgehend gewährt wird. Mit anderen Worten: Wir brauchen die, denen es egal ist, ob das, was sie tun, vielen gefällt. Das zu fördern heißt auch, das "Gefällt mir"-System in Frage zu stellen. ch

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Umfrage über die beliebtesten und unbeliebtesten Häuser Hamburgs auf nexthamburg.de

Bericht über die Diskussion im Anschluss an die erste Abstimmungsrunde

Aspekte-Umfrage "Die schönste Bausünde"
"Gewonnen" hat diese zweifelhafte Auszeichnung die Ulmer Zentralbibliothek von Paul Böhm (2004) – mit einem verdächtig hohen Stimmenanteil von 38 Prozent bei 20 zur Wahl stehenden Häusern, die aus Einsendungen von der "Architekturexpertin Turit Fröbe" ausgewählt wurden. Aspekte stellt die Ulmer Zentralbibliothek in der Sendung am 28. September vor.

Debattenjournal der Bundesstiftung für Baukultur

Markus Miessen: Albtraum Partizipation (Merve-Verlag)

Ursula Baus: Wie wir über Architektur streiten, ga #9/12