Common Ground – die Architekturbiennale 2012

Autor:
ub, ch
Veröffentlicht am
Sept. 5, 2012

Der gesellschaftspolitische Aspekt des Themas, das David Chipperfield als Kommissar der diesjährigen Architekturbiennale wählte, liegt nicht allen eingeladenen Architekten – manche erliegen doch wieder der Versuchung, sich selbst zu inszenieren. Christian Holl berichtet von der Hauptausstellung im Arsenale und in den Giardini, Ursula Baus von einigen Pavillons, ausgiebig vom deutschen.
 
Common Ground Geschichte
Sowohl im zentralen Pavillon der Giardini als auch im Arsenale wird zu Beginn erläutert, warum David Chipperfield "Common Ground" als Thema gewählt hat. Er, Chipperfield, habe seine Kollegen eingeladen "auszuführen, was wir teilen und was uns voneinander unterscheidet." Common Ground: Das ist die Frage, durch welche gemeinsame Vorlieben, Bezüge, Übereinstimmungen Architektur Wert und Bedeutung erhält. Chipperfield ließ den Architekten große Freiheiten darin, wie sie sich äußern, wen sie ihrerseits einladen, ihre Überlegungen zu teilen. Diese Biennale ist also kein Manifest, das Forderungen nach einer anderen, neuen Architektur formuliert, sie will sich des Gemeinsamen vergewissern. Und so ist es naheliegend, dass diese Vergewisserung dem reflektierenden Rückblick breiten Raum gibt. Emblematisch steht am Eingang des Arsenale ein Denkmal der Architektur des 20. Jahrhunderts von Robert Burghardt: Man müsste es ihr nicht errichten, hätte sie nicht ihre Zeit gehabt. Vor allem im zentralen Pavillon der Giardini überwiegt die retrospektive Perspektive; die viel Bekanntes liefert. Man trifft die bekannten Soane und Piranesi, die den Mythos der Geschichtsvergessenheit der Moderne widerlegen sollen – dass erneut diese beiden bemüht werden, bestätigt den Mythos leider gerade. Die Sicht der jungen Szenen in Osteuropa wäre eine fällige Bereicherung gewesen.
 
Und doch nimmt die überwiegend angenehm uneitle und ernsthafte Suche nach dem Common Ground hier für sich ein. Diener und Diener haben Kritiker befragt, was die Pavillons der Giardini heute noch bedeuten. OMA verweist auf die großen und oft nicht mehr gewürdigten Leistungen der kommunalen Verwaltungen für die Architektur der Nachkriegszeit und fragt damit, ob die öffentliche Hand als Bauherr heute dem standhält. Piranesis Romplan wird reflektiert, Caruso St. John zeigen, wie Architekten intelligent Geschichte adaptieren. Die Eingangsinstallation von Kühn Malvezzi, mit Fotos von Candida Höfers und Armin Linke, legt nahe, den Umweg als Methode zu verstehen, neue Einsichten zu gewinnen, das Team der "Crimson Historical Architects" stellt mit bitterem Verweis auf Hannah Arendts "Banalität des Bösen" in der "Banalität des Guten" dar, wie New Towns von der öffentlichen Trägerschaft in die private übergingen, dass die Adressaten von einst, die unteren Einkommensschichten, einer Kundschaft aus mittleren und höheren gewichen ist.

Im Arsenale: Größe wird zur Belastung
Mehr als in den Giardini öffnet sich das Arsenale der politischen Dimension und der Frage danach, wie es denn nun weiter gehen könne. Hier sind die vertikalen Favelas von Carracas vom mit dem Goldenen Löwen ausgezeichneten Team um den Urban Think Tank mit Justin McGuirk und Iwan Baan zu sehen; es wird auf das Schicksal der arbeitslosen spanischen Architekten verwiesen, "13178 Moran Street" setzt mit leerstehenden Häusern in Detroit produktive Experimente mit Raum und Material in Gang. Thomas Struths Bilder zeigen, gerade weil sie sich der anekdotischen Erzählung verweigern, wie konkret Architektur und Stadtraum Potenzial für kollektive und private Biografien bieten. FAT thematisieren den produktiven Umgang mit der Kopie. In Arbeiten von SANAA und Toyo Ito ist die Katastrophe von 2011 präsent. 
 
Doch die Größe des Arsenales wird zur Belastung. Die Beiträge kommen nicht zueinander, müssen regelrecht aufgeblasen werden. Aus Größe wird häufig Überwältigung, die wiederum, vielleicht sogar wider Willen, zur Behauptung gerät; anders als in den Giardini, kommt es so zu jenen aufdringlichen Selbstdarstellungen, die Chipperfield zu vermeiden suchte. Die Freiheit, die er den Architekten ließ, haben diese mitunter gegen ihn gewendet – und ihn damit als Kurator beschädigt. Zahah Hadid und Patrick Schumacher breiten ihre Formexperimente aus, Hans Kohlhoff nutzt das Podium zur Eigendarstellung, Vittorio Magnano Lampugnani darf ein weiteres Mal den privaten Novartis-Campus als Zukunftsmodell anpreisen. Geschwächt werden die Beiträge, denen es gelingt, auch hier nachdenklich zu bleiben und darin an jene der Giardini anknüpfen: Etwa der Peter Märklis, der nirgendwo passender den Zusammenhang zwischen menschlicher Figur, Skulptur und Säule darstellen könnte. In der Summe aber geht verloren, dass Chipperfield auf große Gesten und laute Behauptungen verzichten wollte. Und so kann man leicht überhören, dass danach gefragt wird, wie soziales Engagement und Architektur als Bedeutungsträger, Stadtraum als gesellschaftlicher Selbstvergewisserungsraum und geschichtliches Erbe aufeinander bezogen werden könnten. Undeutlich wird, wie wichtig es ist, rücksichtsvoll mit dem architektonischen Erbe, etwa dem der Nachkriegsarchitektur umzugehen. Der Kahlschlag sei die Charaktermaske des Bestehenden, hatte Adorno einmal gesagt; mit ihm ändert sich nichts. Um etwas zu ändern, gilt es neue und offene Bedeutungszuweisungen geschichtlicher Formen zu finden, neue Ebenen der Verständigung zu erschließen. Ein solch anspruchsvolles Fazit geht leider unter, nicht, weil Chipperfield Fragen stellt anstatt vorzugeben, die Antworten zu kennen. Es geht unter, weil zu viele den Anschein erwecken, die Antworten bereits gegeben zu haben.
 

RRR
Ein Jammer wär's gewesen, wenn der deutsche Pavillon in den venezianischen Giardini abgerissen worden wäre, wie es 2010 vom damaligen Präsidenten der Architektenkammer vorgeschlagen wurde. Was den Kuratoren Muck Petzet und Konstantin Grcic mit der Fotografin Erica Overmeer gelungen ist, um ihr Thema des "so wenig wie möglich" zum ästhetischen Genuss aufzubereiten, sucht seinesgleichen vergeblich und wäre ohne die Sprödigkeit der Pavillonarchitektur vielleicht gar nicht so leicht gewesen. Ihre simple, keineswegs neue und moralisch unanfechtbare Botschaft, die unwillkürlich an neue Inhalte des alten Slogans "less is more" denken lässt, transportieren sie mit einfachen und kongenialen Mitteln: Sie führen die Besucher seitlich in den Pavillon hinein – und schon ist der seiner Monumentalität beraubt. Sie tapezieren die Wände über die Stoßleisten hinweg bis zum Boden mit großen, exzellent aufgenommenen Fotografien – und schon ist der (Bau-) Alltag ästhetisch elegant oder sympathisch überhöht. Jedes hässliche Entchen, würde es so hinreißend fotografiert, würde vielleicht nicht zum stolzen Schwan, aber doch zur Nachtigall, deren schönen Gesang man zu hören glaubt. Erica Overmeers Architekturfotografien sind zwar – wie üblich – ohne stürzende Linien und weitgehend menschenfrei aufgenommen, aber erfassen Atmosphären in herausragender Stimmigkeit. Das Auge eines Liebenden erkennt alles Schöne. "Möbliert" ist der Pavillon lediglich mit Hochwasserstegen (selbstverständliches Stadtmobiliar in Venedig), auf denen man auch sitzen kann und die wie der Boden Träger sparsamer Informationsschriften sind. Intellektuell überfordert diese Pavilloninszenierung gewiss nicht, aber wie schön das vermeintlich Schäbige, Belanglose – schlichtweg jedes Vorhandene sein kann, könnte kein Marketingprofi besser inszenieren.

 
Und nun?
In der Ausstellung präsentieren die Kuratoren 16 Projekte, die auf eine Vielfalt von Strategien im Umgang mit Vorhandenem hinweisen. Im Katalog sind elf solcher Strategien mit weiteren Projekten präzisiert – eine scharfsinnige Auseinandersetzung mit allen dazu gehörenden historischen (vormodernen), bautechnischen, politischen, kulturellen Aspekten dieser Strategien oder gar eine hermeneutische Interpretation fehlt leider. Ohnehin ist das Begleitbuch leseunfreundlich gestaltet, außerdem hinterließ die grassierende, Inhalte selten vertiefende Interview-Manie auch hier ihre Spuren. Das gilt auch für die zur Biennale erscheinende feature-Ausgabe 14 von arch+. Medienkritiker nennen diese Flut gedruckter Interviews analog zu den Talkshows auch mal "Affirmationstheater".
Die Auseinandersetzung mit der Nachkriegsarchitektur wurde vor über zwanzig Jahren von der Denkmalpflege (Kongresse, Schriftenreihen), von Stiftungen (Wüstenrot) und Fachzeitschriften (z. B. db, "…in die Jahre gekommen", der architekt ) begonnen. Sie zur populären Regel werden zu lassen, bedarf einer konsequenten Baupolitik und Baugesetzgebung. Und das bleibt ein Problem, das im deutschen Pavillon dezent ausgeklammert und im Nachklang anzupacken ist.
 
Ensemble
In dieser Hinsicht ist der Schweizer Pavillon durchaus ergiebiger. Dessen Kurator Miroslav Šik widmete sich wie Petzet und Grcic dem Bestand, aber in einem komplexeren Ansatz mit Lesestoff, Gesammeltem und wandhohen Architekturcollagen. Ein solcher Blick lenkt die Aufmerksamkeit auf das Gesamte des Gebauten, auf Konzepte und Strategien, die über das Einzelbauwerk weit hinausgehen. So wichtig die ästhetische Rehabilitierung vor allem der Nachkriegsarchitektur ist, so wichtig ist die Überlegung, wie das Leben im Gesamtgefüge bessere Rahmenbedingungen erhält. Die Schweizer liefern hier mit der Veranstaltungsreihe "Salon Suisse" vielleicht Anhaltspunkte.

Fazit
Israels Pavillon fällt durch eine deutliche, unmissverständliche Aussage auf, die den "Common Ground" in einen dezidiert politischen Zusammenhang stellt. Die schlichte Behauptung, dass sich das Land als "Flugzeugträger der USA" verstehen muss, wird plakativ mit Fundstücken illustriert – ohne Poesie, ohne Gestaltungsanspruch, sondern in bitterer Drastik. Als politisch, genauer gesagt: politisch korrekt darf man auch die Juryentscheidung werten, Goldene Löwen an Urban Think Tank und an den japanischen Pavillon zu geben. Es bleibt erstens festzuhalten, dass Stars wie Herzog & de Meuron oder Kollhoff oder Eisenman oder Hadid und so weiter sich in ihren Arbeiten recht eitel gezeigt haben und dass sich bestätigt: Die Starkonjunktur flaut seit geraumer Zeit ab. Die Architekturfotografie erlebt – zweitens – eine Blütezeit, bei der man an den 1995 ins Leben gerufenen Europäischen Architekturfotografie-Preis erinnern darf: Die Architekturfotografie kann viel mehr sein als eine Dienstleistung für Architekten, was hier alle zwei Jahre bewiesen wurde. In diesem Zusammenhang darf man sich auch darüber freuen, dass viele Fotoschüler von Bernd und Hilla Becher inzwischen eigene Wege gegangen sind. Und zum Schluss: Die Chancen für eine Rehabilitierung der Nachkriegsarchitektur steigen rasant. ub, ch

Website der Biennale
Website des deutschen Beitrags

Muck Petzet, Florian Heilmeyer (Hrsg): Reduce Reuse Recycle. Ressource Architektur, Deutscher Pavillon. 272 Seiten, 308 Abb., 16,8 x 24,1 cm, Hatje Cantz, Ostfildern 2012, ISBN 978-3-7757-3424-0, 35 Euro.

arch+ feature 14, in: Ausgabe 208 (August 2012)

der architekt, Ausgabe 4/12

Ursula Baus: Revolte, Rebellion, Revolution – zur BauNetz-Kolumne vor der Biennale

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Teil 1
Teil 2

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