Netzwerke, Urheber, Genies

Autor:
ub
Veröffentlicht am
Aug. 22, 2012

Im Streit um das geistige Urheberrecht im Internet – just im Musikbereich gestärkt vom Bundesgerichtshof – findet man ohne weiteres Analogien zu den Entstehungsprozessen von Architektur und Stadt. Das Stuttgarter Büro Transsolar lud beispielsweise zum Symposium "Connect Ideas – Maximize Impact", wo man auch über Open Source sprach. Open Source ist ein Marketingbegriff aus der Computerbranche, der rasch in anderen Sparten mit teilweise diffusem Inhalt übernommen worden ist.
 
Open Source  Freie Software für jeden – wer würde sich als Nutzer nicht darüber freuen? Quelltexte freizugeben, stand in den 1990er Jahren als Forderung am Anfang einer computertechnisch-wirtschaftlichen Bewegung, der Begriff "Open Source" weist aber inzwischen weit über die digitale Welt hinaus auch sozialethische Konnotationen auf. Man spricht, wenn es um Wissen und Information geht, gern davon, dass sie zum Nutzen und Frommen der ganzen Menschheit geteilt werden können und sollten. Dank sei dem weltweit immer besser verfügbaren Internet – so weit, so gut. Doch um welches Wissen, um welche Informationen geht es dabei? Tatsächlich wird immer erbitterter darüber gestritten, wie es mit den Urheberrechten weiter gehen soll. Nicht zuletzt, weil man, wenn man über einen Wissensvorsprung verfügt, auch gern davon leben möchte, sprich: dafür bezahlt werden muss. In Literatur und Wissenschaft werden deswegen Schlammschlachten geschlagen: Wer hat bei wem geklaut? Für Guttenbergs und Schavans Dissertationen eher peinlich, im Fall Helene Hegemanns Roman Axolotl Roadkill kippte der Klau zum literarischen Kunstgriff. Open Source spielt auch in Architektur und Stadtplanung eine wachsende Rolle. Doch was ist dran an vermeintlich neuen Arbeitsweisen und neuer Arbeitsethik im Zusammenhang mit Open Source?
 
Starkult, anonymer Wettbewerb und Originalität  Grob vereinfacht: Die Urheberschaft spielt im Kanon der Architekturgeschichte seit der Antike eine tragende Rolle (Phidias), bleibt im Mittelalter relevant (Erwin von Steinbach) und erlebt mit Michelangelo, Leonardo und Palladio einen populären Höhepunkt. Und was seit dem 17. Jahrhundert das "Genie" genannt wurde, heißt heute markttauglich "Stararchitekt", dessen Zenith auch schon überschritten sein mag. Obendrein wird die Anonymität von Wettbewerben inzwischen in zahlreichen, ausgetüftelten Verfahren unterlaufen – eine kuriose Gegenstrategie dazu, wie Anonymität im Internet oft als Kreativitätsschlüssel gehandelt wird. Und nebenbei: Wie viele Millionen Arbeitsstunden von Architekten beim Wettbewerbschrubben unbezahlt und erfolglos verstrichen sind – das weiß der Kuckuck.
Wie nun das "Neue" in die Entwurfs- und Arbeitsweise von Architekten kommt und welchen Wert es überhaupt hat: Das beschäftigt Kritik und Theorie seit langem und immer wieder. "Originalität" klingt sanfter als "das Neue" und führt nicht schnurstracks zur urheberrechtlich geschützten "Künstlerpersönlichkeit", die oft nicht weniger eitel sein mag als ihre Bauherrschaft. Kreativität und Einfallskraft kollektiv zu nutzen, wie es Gruppen wie raumlabor mit sozialkritischen Installationen und Workshops, Futur City Lab mit stadtstrukturellen Ideen oder Storefront Art & Architecture mit Ideensuche für London nach Olympia tun, gelingt mit dem Internet und mit digitalen Kommunikations- und Arbeitsmöglichkeiten selbstverständlich einfacher und hier und da auch anders als, sagen wir: zu Zeiten der Gläserenen Kette, von archigram, Haus Rucker oder Pichler und Hollein. Sie schleuderten ihre Ideen in alle Welt, mussten irgendwann aber bauen oder an Hochschulen wirken, um ihr täglich' Brot zu verdienen. Dass sich Architekten und Vertreter anderer Disziplinen zusammentun, um gemeinsame Architektur- und Stadtsache zu machen, ist in diesem Originalitätssinne nichts Neues und eine inzwischen professionalisierte Arbeitsweise. Auch in der architektonisch-stadtplanerischen Praxis mit flachen Bürohierarchien und gleicher Aughöhe von Architekt, Tragwerksplaner, Energieingenieur und anderen wird vernetzt und mit gleichen, allerdings teuren Programmen gearbeitet.
 
 
Wissen und Infos für alle – und dann?  Erkennt man in Open Source die pragmatischen Vorteile, dass digitale Werkzeuge, Programme, Apps, aber auch Strategien und Grundlagenwissen usw. kostenfrei benutzt werden können, ist das nichts anderes als die aktualisierte Forderung nach kostenlosen Bildungschancen für alle. Kostenlos Bibliotheken mit Bibliographien und Zugang zu allen Quellen zu benutzen, bleibt eine grandiose Errungenschaft der freien Welt, um eine Basis für Wissensaustausch und gemeinsames Arbeiten zu schaffen. Sie ist gegen wirtschaftliche Exklusivität genauso zu verteidigen wie neuerdings weite Teile der Computerhard- und -software. Nur: Wer zahlt das alles? Ab wann kann man von Computerindustriespionage sprechen?
Mit Open source wird in typischen Schlagworten aus der Digitalisierung wieder einmal einige heiße Luft in die Debattenatmosphäre geblasen, siehe auch eMagazin # 16. Aber solange die systemkritischen Aspekte von Open Source nicht systemrelevant wirken, bleiben die Erfolge homöopathisch dosiert. Der Journalist Jakob Augstein erinnerte dieser Tage (der Freitag, 16.8.2012) an den amerikanischen Sprach- und Computerexperten Ray Kurzweil, der prophezeihte, dass Computer noch zu unseren Lebzeiten den menschlichen Verstand übersteigen werden. FAZ-Feuilleton-Chef Frank Schirrmacher beklagt dazu, dass man in Deutschland "nicht nur die Software von Ich-Krisen und Ich-Verlusten, von Verzweiflung und abendländischer Melancholie liefern" solle. Es gehe um die Revolution der "Dritten Kultur", um den "Dialog zwischen Gedanken und Gewerken, in dem die technologische Avantgarde mit dem Rest der Gesellschaft über Ziele und Risiken, Verantwortung und Ohnmacht, Herrschaft und Glauben, Menschenbilder und Identitäten streitet." Nichts gegen die technologische Avantgarde – aber Technologie ist menschengemacht, und Menschen machen nun mal nichts ohne ganz bestimmte, individuelle Interessen. Und wer, bitte, ist der "Rest der Gesellschaft"? Diese Frage stellt sich bei den Open Sources für Architektur und Stadtplanung genauso. Entpersonalisierte Debatten, Prozesse und Entwicklungen wird es kaum geben. ub

Eric Raymond: Die Kathedrale und der Basar. 1997

www.opensource.org (Open Source Initiative)

www.bpb.de/opensource (Studie der Bundeszentrale für politische Bildung)


Ray Kurzweil: Singularity is near. 2006

www.storefrontnews.org

www.raumlabor.net

www.anotherarchitect.net
www.ftrctlb.com (future city lab)
www.opensimsim.net: vorübergehend gesperrt

Der Mensch ist kein Seeigel
Finger weg!?