Netzausbau – wie kommt die Energie von hier nach da?

Autor:
ub
Veröffentlicht am
Juli 11, 2012

Erst kürzlich überlegte Wolfgang Kil, welche Auswirkungen der Energiewende für unsere Natur- und Kulturlandschaften zu erwarten sind (eMagazin #08|12). Windparks und Solarplantagen sind auf der Energieproduktionsseite zu bedenken, der Energietransport stellt die Gesellschaft vor ein weiteres Planungs- und Realisierungsproblem. Das Land und sein Stromnetz griff Ursula Baus schon 2011 auf – was hat sich derweil getan?
 
Transport Es war ein aufwändig organisierter, zweistufiger Wettbewerb, den das Royal Institute of British Architects mit dem Departement of Energy & Climate Change, National Grid ausgelobt hatte. Es ging um die Strommasten, die für den Energietransport dringend nötig sind und die in England in ihrer landschaftsverändernden Dimension längst erkannt sind. Der T-Pylon von Bystrup erhielt den ersten Preis, das Gestaltungsniveau der letzten Runde war jedoch durchweg hoch – die Bilder zeigen es. Und in Deutschland? Es wird über Windräder und Solarplantagen gestritten, aber die Konsequenzen des Netzausbaus scheinen noch nicht annähernd so im Bewusstsein verankert zu sein wie in England – obwohl es mal wieder so etwas typisch deutsch Kurioses gibt wie das "Netzausbaubeschleunigungsgesetz". Es geht jedoch nicht allein um Strommasten, sondern auch um Stromtankstellen und vieles mehr, was als Folge einer neuen Energieversorgung zu bedenken ist. Zur Erinnerung: Unter dem Druck der Fukushima-Katastrophe war im August 2011 der schnelle Ausstieg aus der Atomenergie von Bundestag und Bundesrat beschlossen worden. Bis 2022 soll der komplette Ausstieg erledigt sein, und bis 2050 sollen 80 Prozent des nationalen Energiebedarfs aus Erneuerbaren Energien kommen.
 
Schneisen Wie sich die Landschaft verändern wird, hängt von zahlreichen Faktoren ab: Wie wird sich beispielsweise die Energiespeicherung entwickeln? Werden dezentrale Erzeugungsszenarien an Bedeutung gewinnen? Wie agieren die Netzbetreiber? Welche Strategien verfolgt die Politik unter dem Einfluss welcher Lobbyisten?
Die derzeitigen vier großen Übertragungsnetzbetreiber sind bekannt: 50Hertz, Amprion, TenneT und TransnetBW, ihre Interessenslage ist klar. Aber es lohnt sich durchaus, erst einmal zu schauen, welche Netze und Trassen es darüberhinaus gibt, auf denen Strom transportiert werden könnte. Über rund 28.000 km elektrifizierte Strecken verfügt zum Beispiel die Deutsche Bahn. Aber die Stromtrassen der Bahn sind nicht kompatibel mit den Leitungen, die für das Verbraucherstromnetz nötig sind: Wie eine Studie der Bundesnetzagentur gezeigt hat, verstärken sich durch das Nebeneinander von Bahn- und Normalstrom die elektromagnetischen Felder – je länger die Leitungen parallel verlaufen, umso stärker. Mit Gleitstrom ließe sich das Problem technisch schon lösen, nur kostet dies viel Geld – genau so wie der Einbau von Erdkabeln.
Was sich die Netzbetreiber in den nächsten zehn Jahren vorgenommen haben – 3.800 km neue Trassen und 4.000 km Trassenausbau –, veranschlagen sie mit 20 Mrd. Euro. Neue Korridore sind zwischen 500 und 1.000 Meter breit, die Strommastenhöhe liegt bei 80 Metern und mehr. Neben den Schneisen, die unsere Mobilitätsansprüche in Städte und Landschaften schlagen, kommen die Schneisen der Energieansprüche dazu. Allerdings muss es bei den Energieschneisen viel schneller gehen, was nur mit neuen Konzepten der Verfahrenskultur gelingen kann. Der Netzausbau ist ein "Großprojekt", und dass aus den schauderhaften Erfahrungen mit Großprojekten der letzten Jahre noch wenig gelernt zu sein scheint, zeigen beim Netzausbau zum Beispiel die Scharmützel in Thüringen, genauer gesagt: in Großbreitenbach, wo sich Bürger und Netzausbauer feindselig gegenüberstehen.
 
Dezentrale Versorgung So ist noch einmal auf die Energieerzeugung zurückzukommen. Energie dezentral zu gewinnen, am besten dort, wo sie gebraucht wird, sollte unbedingt vorangetrieben werden. Einzelne Kommunen engagieren sich gerade in diesem Sektor außerordentlich, und das grün regierte Baden-Württemberg führt mit einem "Potenzialatlas", der EEG-Strom-Karte vor, wie ein Land sich bei der regenerativen, verbrauchernahen Energieerzeugung engagieren kann. Darüber hinaus kann sich jeder Hausbesitzer in verschiedenen Größenordnungen an der Energieerzeugung beteiligen: ohne Sonnen- und Windnutzung beispielsweise mit den Miniblockheizkraftwerken im eigenen Keller, die in den nächsten Monaten und Jahren noch preiswerter werden dürften.
Denn schließlich geht es auch um Kosten, die immer öfter auf die Privatnutzer abgewälzt werden: Derzeit zahlen die Industrie 14 ct pro Kwh, Privatverbraucher 25 ct. Wieso eigentlich? Wenn wieder das haltlose Argument "Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland" ins Feld geführt werden sollte, muss daran erinnert werden, dass auch jedes private Individuum im Wettbewerb zu seinen Mitmenschen steht.
 
Bleibt eine Verschandelung zu erwähnen, die sich scheinbar unbemerkt in unsere öffentlichen Räume einschleicht. Mehr und mehr Elektroautos sollen gerade in den Innenstädten unterwegs sein. Sie brauchen Stromsteckdosen, die von verschiedenen Herstellern angeboten werden. Gebuhlt wird um prominente Standorte im öffentlichen Raum, und dass die Stromtanksäulen als Werbeträger herhalten sollen, scheint ausgemachte Sache zu sein. So kommt zum penetranten Verschandeler öffentlicher Räume par excellence – Ströer – ein weiterer hinzu, wenn nicht Einhalt geboten wird. Danach sieht es derzeit nicht aus, denn wieder einmal droht: Das private (Reklame-)Interesse stellt sich über die Gestaltungskultur des öffentlichen Raums. ub