Wenn Gesinnung Form wird

Ursula Baus
20. Februar 2013
Arne Schmitt, Campus der TU Braunschweig, 2010, aus der Serie Verflechungen, © Arne Schmitt/VG BILD-KUNST, Bonn 2012

Im Sprengel-Museum in Hannover wird bis zum 3. März die Architekturfotografie-Ausstellung "Wenn Gesinnung Form wird" gezeigt, zu der ein gleichnamiges Buch bei Spector Books erschienen ist. Sogleich stutzt man und muss vorweg einwenden: Ohne Gesinnung kann sowieso keine Form werden. Also was will dieser Titel sagen?
Arne Schmitt, Jahrgang 1984, fotografierte zum Abschluss seines Studiums an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig Beispiele der Nachkriegsarchitektur aus der Zeit von 1945-70 und stellt sie in Hannover nun in 14 Fotos "exemplarisch" für Westdeutschland aus. Er organisierte sie "argumentativ, zu Themen wie der Rekonstruktion alter Stadtstrukturen, Formen neuer Repräsentationsarchitektur oder dem deutschen Brutalismus". Bilder argumentativ jetzt in einem Thema zu verwenden, das beispielsweise von Werner Durth vor Jahrzehnten initiiert wurde, erweist sich hier als verschmutzter Schnee von gestern. Denn all jene Differenzierung, die Durth als Ergebnis präziser wissenschaftlicher Arbeit mit der Analyse persönlicher Verflechtungen veröffentlichte, wird wieder in Bildeinheiten verklumpt, was jeder irrationalen Feindbildkonstruktion Vorschub leistet. Wenn dann eine Bildstrecke mit "Reste des Authentischen" überschrieben wird, muss man sich deswegen fragen, was denn hier unter "Authentizität" verstanden werden soll. Der Abschnitt "Anzeige gegen unbekannt" manifestiert eine selbstgerechte Sicht und wenig Recherche.
Allerdings ist Schmitt ein professioneller Fotograf, so dass sich seine Fotoabsicht problemlos offenbart. Manche Fotos zeigen senkrechte Gebäudekanten bildrandparallel, andere wirken (bewusst?) wie aus der Hüfte geschossen geringschätzig gegenüber ihrem Motiv. Hier und da gewinnt das Projekt an Charme: Denn viele Fotos offenbaren – womöglich ungewollt – die Qualität der Nachkriegsarchitektur, die eben nicht nur von alten Speer-Schülern gebaut wurde. Die Willy-Brandt-Allee in Bonn, das Thyssen-Haus in Düsseldorf, das Mainzer Rathaus, der Tausendfüßler in Düsseldorf: Schmitt scheint nicht zu interessieren, dass sich in vielen Fällen auch die Bevölkerung gegen die Verteufelung der (authentischen) Nachkriegsarchitektur wendet. Die Differenzierung nahm Schmitt leider nicht zum Anlass seines Projektes, sondern erkennbar die Anklage gegen eine Epoche.

Arne Schmitt, Tausendfüßler, Düsseldorf 2010, aus der Serie Verflechungen, © Arne Schmitt/VG BILD-KUNST, Bonn 2012

Eine erstaunliche Sicht auf das Thema manifestiert sich in einem Beitrag von Till Briegleb in der Süddeutschen Zeitung vom 27.12.2012. Die sattsam bekannte Schelte der "Sünden der Moderne" werde subsumiert zu "mehr Tristesse als man vertragen kann". "In finsterem Schwarz-Weiß bei trüber Wetterlage aufgenommen", so Breglieb, verstärkten sich die Aufnahmen "zu einer Sammlung urbaner Todesanzeigen". Welche Architektur – bei solchem Wetter und dezidiert abwertend fotografiert – herzerfrischend wirkt, weiß ein anderer. Schade. Mit Bildern eine unvoreingenommene (Foto-)Sicht auf eine Epoche zu werfen, in der die junge Demokratie irrlichternd ihre Identität auch in der Architektur suchte, wäre verdienstvoll gewesen.

(Buch: Inka Schube (Hrsg.) mit einem Text von Kathrin Peters, 224 Seiten, Hardcover, Leinen gebunden, 18 x 24,6 cm, Gestaltung: Timo Grimberg. Leipzig 2012, ISBN 978-3-940064-56-1, 32 €)

Arne Schmitt, Oberkasseler Brücke, Düsseldorf 2010, aus der Serie Verflechungen, © Arne Schmitt/VG BILD-KUNST, Bonn 2012
Auch die Inszenierung der Fotoserie im Sprengel-Museum entstand offensichtlich in so trüber Absicht wie die Fotos, die in "trüber Wetterlage" aufgenommen wurden. (Bild: Pressebild Sprengelmuseum)

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