Ungewöhnlich, nachhaltig, innovativ

Ursula Baus
26. September 2012
 

Uns flattern Tag für Tag Meldungen zum Thema "Wohnen" auf den Schreibtisch. Und kaum mehr zählbare Mails zu neuen Büchern, Architekturpreisen, Kongressen und sensationellen Beispielen zum Thema Wohnungsbau füllen das Eingangs-Postfach. Tatsächlich verändert sich die Gesellschaft in ihrer sozialen Struktur derzeit heftig, worauf mit Wohnungszuschnitten Rücksicht genommen werden müsste. Auch beim nie endenden Stadtumbau sollte man aus guten Gründen an die vielen Alleinerziehenden mit ihren lieben Kinderchen, an die Alten, Armen und Reichen denken. Das Verhältnis zwischen Nachfrage und Angebot gerät jedoch immer mehr in Schieflage, weil es zu den Gesetzen der freien Markt- und Immobillienwirtschaft nicht passt. Teure Appartements sind bisweilen kaum bewohnt, weil sie Zweitwohnsitze sind; finanziell schwächere Menschen finden daneben nicht einmal Wohnungen, die sie überhaupt bezahlen können. Das Angebot schert sich nicht darum, welche Nachfrage im Sinne des Gemeinwohls gerechtfertigt ist, und die ausgleichende Kraft des Staates wird immer schwächer.
Doch zurück zu den vielfältigen Initiativen im Bereich Wohnungsbau. Der "Deutsche Architekturpreis Zukunft Wohnen 2012" ist entschieden und wird am 24. Oktober 2012 in Berlin im BMVBS in einer öffentlichen Veranstaltung verliehen – mit einer Debatte, in der die angesprochene Thematik vermutlich kontrovers debattiert wird.
Bremen widmet sich in diesem Herbst ebenfalls dem Wohnungsbau: Bis 28. Oktober sind Preisträger und vorbildliche Projekte im Bremer Wilhelm-Wagenfeld-Haus zu sehen (siehe auch die Buchdokumentation "Ungewöhnlich Wohnen"). Vornehmlich mit dem Wohnen befasste sich auch die Architektin Hilde Weström, die am 31. Oktober 100 Jahre alt wird. Sie gehörte in der Nachkriegszeit zur Berliner Architektenszene um Werner Düttmann, Klaus Müller-Rehm und Hans Scharoun und war 1948 als eine der ersten Frauen in den BDA aufgenommen worden. 1949 gründete sie ihr eigenes Büro und befasste sich im Wohnungsbau vor allem mit den Bedürfnissen berufstätiger Frauen und ihrer Familien. 1957 wurden ihre Musterentwürfe für "variables Wohnen" im Rahmen der Interbau präsentiert. "Die zerstörte Stadt war meine Chance" lautet der Titel einer Ausstellung in der Berlinischen Galerie (bis 25. Februar 2013), in der Projekte von Hilde Weström mit Beständen aus der Sammlung der Galerie gezeigt werden.

So wichtig die konzeptionelle und gestalterische Beschäftigung mit dem Wohnungsbau auch ist: Preiswertes Wohnen fängt leider bei den Grundstückspreisen an, auf die Architekten kaum Einfluss haben. Ein weiteres Dilemma des Wohnens sind alle Übel, die aus der Mobilität folgen: Pendelzeiten, Lärm, Dreck, Gefahr für Kinder und ältere Menschen auf den Straßen – mit Fug und Recht wird das Thema Wohnen deswegen auch im Zusammenhang mit der Mobilität gesehen. Derzeit läuft wieder der Audi Urban Future Award , dieses Mal mit dem Schwerpunkt "Übergänge". Gemeint sind Grenzbereiche in rasch wachsenden Städten, und inzwischen kann man schon online erfahren, wie die ausgewählten Architekten die Analyse ihrer Projektorte sehen. Istanbul, Mumbai, Boston-Washington, Tokio, das chinesische Pearl-River-Delta und São Paulo – hier erfährt man mehr.

Hilde Weström (Portrait: Pressebild, Günter Machus)
Wohnblock Planufer, Berlin-Kreuzberg, 1951-52 (Pressebild, Friedhelm Hoffmann)

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