Und jedem Anfang ...

Wilfried Dechau
19. September 2012
Die "Mona Lisa" der Fotografie in Mannheim: Blick aus dem Fenster in Le Gras, Joseph Nicéphore Niépce, 1826

… wohnt ein Zauber inne. Gleich vorweg: Die Mannheimer Ausstellung ist ein unbedingtes Muss. Bis zum 6. Januar 2013 kann dort das allererste mit Hilfe von Lichtstrahlen hervorgerufene und fixierte Bild der Welt im Original angesehen werden. Der 1826 von Nicéphore Niépce auf einer Zinkplatte festgehaltene "Blick aus dem Fenster in Le Gras" wird in einem hermetisch versiegelten Schaukasten präsentiert. Der Faszination kann sich nur ein nörgelnder Krittler entziehen – mit Bemerkungen wie: "Man sieht ja nix. Das soll ein Foto sein? Das krieg ich mit'm iPhone besser hin!" Recht hat er – und liegt trotzdem voll daneben. Man muss sich schon eine Weile auf die Zinkplatte konzentrieren, muss den besten Blickwinkel herausfinden, um das in zarten Spuren fixierte Bild lesen zu können. Was man dann "entziffert", hat Ähnlichkeit mit jener fast grobschlächtig wirkenden Reproduktion, die man aus Fotobüchern kennt (siehe Bild links). Doch hier besticht nicht irgendeine Technik, sondern die Aura eines Originals, mit dem eine Mediengeschichte sui generis beginnt.
Das Niépce-Original wird übrigens nur in Mannheim gezeigt und geht anschließend zurück ans Harry Ransom Center in Austin. Es ist das, aber nicht das einzige Highlight dieser Ausstellung. Helmut und Alison Gernsheim haben schon in den vierziger Jahren begonnen, sich der Fotografie, einem damals noch nicht anerkannten künstlerischen Medium zu widmen. Den Anstoß gab Beaumont Newhall, Autor des hervorragenden Buches "Geschichte der Photographie". Etwa 250 Exponate der umfangreichen Sammlung Gernsheim werden gezeigt. Die Namen lesen sich wie ein who is who der Fotografiegeschichte – von Ansel Adams über Henri Cartier-Bresson bis Walde Huth, der Ehefrau von Karl Hugo Schmölz.
Schmölz ist in der Gernsheim-Sammlung nicht vertreten. Schade. Aber dafür kann man eine eigens ihm gewidmete Ausstellung im LVR-Landesmuseum in Bonn besuchen. Sie bietet zweierlei: Zum einen schwarzweiße Architekturfotografie vom Feinsten, zum anderen ein detailgenaues und atmosphärisch stimmiges Bild jener Zeit, als "sich Deutschland neu erfand". Elegante Architektur, schöne Details. Wer es nicht schafft, bis zum 28. Oktober nach Bonn zu kommen, sollte sich unbedingt das mit der Ausstellung erschienene, hervorragend gedruckte Buch zulegen.

"Die Geburtsstunde der Fotografie", bis 6. Januar 2013 im Reiss Engelhorn Museum in Mannheim; Katalog im Kehrer Verlag, 29,90 Euro

"Wie sich Deutschland neu erfand - Fotografien von Karl Hugo Schmölz aus dem Archiv Wim Cox", bis 28. Oktober 2012 im LVR-Landesmuseum Bonn; Katalog im Verlag Schirmer/ Mosel, 48,80 Euro

Joseph Nicéphore Niépce, 1826 (Reproduktion links, Original rechts)
Karl Hugo Schmölz, Ford-Pavillon auf dem Messegelände, 1950
Karl Hugo Schmölz, Treppe im Siemenshaus Bielefeld, 1956

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