Tierische Vorbilder

Simone Hübener
5. Dezember 2012
Bild: ICD und ITKE der Universität Stuttgart

Vier Millimeter dick und dabei acht Meter weit spannend: Mit diesen Zahlen beeindruckt der aktuelle Forschungspavillon des Instituts für Computerbasiertes Entwerfen (ICD) und des Instituts für Tragkonstruktionen und Konstruktives Entwerfen (ITKE) der Universität Stuttgart, der vergangene Woche eingeweiht worden ist. Nachdem im letzten Jahr der Seeigel als Vorbild gedient hatte, nahmen die Studenten und wissenschaftlichen Mitarbeiter im Studienjahr 2011/2012 das Außenskelett eines Hummers unter die Lupe und setzten dessen faserbasierte Struktur in ein kleines Bauwerk aus faserverstärkten Kunststoffen um.
Der Hummerpanzer besteht aus nur einem Material, ist allerdings – je nachdem, wie die Fasern verlaufen – mal weicher, mal härter. Sofern die Lasten gleichmäßig in alle Richtungen abgetragen werden sollen, liegen unidirektionale Einzelschichten spiralförmig übereinander. Dort, wo eine gerichtete Beanspruchung gegeben ist, sind auch die Schichten immer gleichgerichtet. Dieses "morphologische Grundprinzip der lokal angepassten Faserorientierung", wie es in der Pressemitteilung heißt, "wurde abstrahiert und bei dem Formgenerierungs-, Materialauslegungs- und Herstellungsprozess des Pavillons angewendet".
Der Weg zum fertigen Pavillon führte von der Analyse des Panzers über Finite-Elemente-Simulationen bis hin zum Aufbau des Montagezelts. Am Ende wickelte der Roboter kilometerweise transparente Glasfasern als raumbildende Hülle und schwarze Kohlenstofffasern als Tragwerk über ein einfaches Leergerüst. Da die Fasern zuvor in Epoxidharz getränkt worden waren, verbanden sich die einzelnen Schichten zu einem vier Millimeter dicken Laminat, wodurch sich die Tragfähigkeit erheblich steigerte.
Die wichtigste Neuheit für das Bauwesen besteht darin, dass – anders als bei der herkömmlichen Verarbeitung dieser Werkstoffe – keine Positivform gebaut werden musste. Ein solcher Herstellungsprozess würde sich für den Bereich der Architektur nicht eignen, benötigte man doch, um das Haus zu bauen, dieses erst einmal als Form für die Hülle aus den Fasern. Dass nun auch die Art der Fertigung mit Roboter und Leergerüst weiterentwickelt werden muss, versteht sich von selbst. Doch ein Anfang ist gemacht. Und der ist bekanntlich oft am schwersten.

Bild: Simone Hübener
Bild: Simone Hübener

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