Technikfolgenabschätzung

Ursula Baus
16. März 2011
Blick auf Tokio im Dezember 2006 (Bild: Wilfried Dechau) 

Was den Menschen in Japan dieser Tage widerfährt, ist in der Dimension des menschlichen Leides kaum zu ermessen. Hilfe tut not – aber es darf auch keine Zeit verstreichen, in der nicht alles für das Ende der Atomenergiegewinnung getan wird, die die riskanteste Energietechnologie aller Zeiten weltweit ist. Wahlkämpfende Politiker weigern sich beharrlich, weisen allenfalls auf die institutionalisierten Runden der "Technikfolgenabschätzung". Rund 80 Prozent dieser Runden sind von Lobbyisten unterwandert. Eine grundsätzliche Diskussion über Sinn und Zweck der Technik wird hier so gut wie nicht geführt. Bis jetzt.
Aber darum geht es: Die Katastrophe in Japan zeigt, dass Wissen "nach menschlichem Ermessen"  in allen riskanten Technologien keine Sicherheit bieten kann. Sicherheit, die auf Erfahrungswissen beruht, ist eine naiv bis fahrlässig verbreitete Fiktion. Damit wankt das gesamte Fundament, auf dem unsere immer noch technikgläubige Gesellschaft handelt und entscheidet.
Hervorragend hat Ulrich Beck, der Theoretiker der "Risikogesellschaft", diese Zusammenhänge in der Süddeutschen Zeitung vom 14.3.2011 zusammengefasst. Eine Crux ist demnach, dass unsere Risikoeinschätzung auf der Grundlage vergangener Erfahrung basiert, aus der ein Erwartungshorizont skizziert wird. Kritik, so Beck, laufe nun nicht ins Leere, sondern führe zu alternativen Techniken und Märkten. Unsere Kanzlerin denkt aber bekanntlich lieber "alternativlos",  setzt und sitzt aus, nachgerade zynisch sagte sie noch am Sonntag, es mache keinen Sinn, in Deutschland auf Atomkraft zu verzichten, wenn es die Franzosen und andere nicht auch täten. Wenn Diebe in Frankreich nicht verfolgt werden, soll man sie also auch in Deutschland laufen lassen?
Zu befürchten ist, dass "aus Sicherheitsgründen" wieder immense Steuergelder in marode Atomkraftwerke statt in die erneuerbaren Energien gepumpt wird. Warum wohl? "Laufende Atomkraftwerke sind praktisch wie Gelddruckmaschinen" (FAS, 13.3.2011), weil Forschung und Endlagerprobleme sowie alle Folgen eines Unfalls vom Staat, also vom Steuerzahler übernommen werden; auch alles, was jetzt zur Nachsicherung der AKWs getan werden muss, wird der Steuerzahler bezahlen. Oder die Konzerne erhöhen einfach die Energiepreise und ziehen uns als Verbrauchern das Geld aus der Tasche. Wirtschaftsminister Brüderle (FDP) nannte dies gestern Abend im absurden Politikerjargon: "Preiseffekte".
Ein Ausstieg aus der Atomenergie ist in Deutschland laut Fachleuten bis 2015 machbar, wenn denn die angemessenen Konsequenzen aus der Katastrophe in Japan gezogen würden. Zu befürchten ist, dass in Japan 36 - 40 Millionen Menschen verstrahlt werden und weite Teile des Landes auf Jahrzehnte unbewohnbar bleiben. Ein unfassbares, aber nicht unvorstellbares Unglück.
Schritte die Bundesrepublik mit gutem Beispiel in erneuerbarer Energie voran, könnte sie andere, risikoarme Technologien auch exportieren und dabei obendrein einen Reibach machen. Schon vor 35 Jahren debattierten wir in der Schule über eine atomenergie- und atomwaffenfreie Welt. Alles andere als der schnellste Ausstieg aus dem unberechenbaren Atomkraftwerksbetrieb ist damals wie heute menschenverachtender Leichtsinn, Ausdruck technischer Hybris. Zu Szenerien einer atomenergiefreien Republik in Kürze mehr. ub

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