Stolz und Vorurteil

Ursula Baus
10. Oktober 2012
Bauingenieurwerke im Europapark Rust: Achterbahnen nostalgisch aus Holz und hightechmäßig in Stahl (Bild: Ursula Baus) 

Es war das zweite Mal, dass die Ingenieurekammer Baden-Württemberg zu einer Pressereise einlud, um einer breiteren Fach- und Laienöffentlichkeit den Ingenieurbau etwas näher zu bringen. Nun muss man im Lande der legendären Tüftler nicht lange suchen, um Zeigenswertes ausfindig zu machen. Wo, wenn nicht hier, soll der Ingenieurbau einen Weg in die Öffentlichkeit finden? Wo weltweit arbeitende, gut verdienende Ingenieurbüros seit Jahrzehnten ansässig sind? Und wo weltmarktführende "Zulieferer" des Bauwesens – wie der Tunnelbohrmaschinenbauer Herrenknecht – seine Heimat haben? Und wo Kreateure weltweit bekannter, populärer Achterbahnen-Konstruktukte zuhause sind?
Irgendetwas ist faul im Berufsstand der Ingenieure, wenn dessen unbestrittene Leistung nicht angemessen anerkannt zu werden scheint. These: Es sind Stolz und Vorurteile, mit denen der Berufsstand zu kämpfen hat. Genauer: Der eigene Stolz und auch eigene Vorurteile.
Die Reise führte unter anderem zu den Achterbahnen (Ingenieurbauwerke!) im Europapark Rust, zum Freiburger Münster und zur schönen Rheinbrücke in Weil am Rhein. In einer anfänglichen Diskussion wurde einmal mehr beklagt, man gebe den Bauingenieuren "nicht genug Raum" (Stephan Engelsmann). Mit den egozentrischen Architekten könnten die zurückhaltenderen, nicht so sprachgewandten Ingenieure nicht mithalten usw. Man kann derlei Gejammer kaum noch hören. Denn die Bauingenieure müssen sich selbst an die Nase fassen, wenn es darum geht, anerkannt zu werden. Als Gestaltern eilt ihnen kein guter Ruf voraus – und tatsächlich gibt es seltener schöne als scheußliche Brücken, Straßenführungen, Stützmauern, Lärmschutzwände und, und, und.
Das Problem fängt mit der Ausbildung an. Wer keine Baugeschichte lehrt, wer keine Gestaltung unterrichtet, wer den sprachlichen Ausdruck nicht auf den Lehrplan setzt, darf sich nicht darüber wundern, dass die Absolventen all dies nicht können. Im Ingenieurbau beispielsweise Gestaltungsfragen aller Art zu durchdenken und zu debattieren, das Gestalten im Zusammenhang mit und ohne Konstruktion auch zu üben – das ist nicht zu viel verlangt. Denn Architekten lernen auch Grundlagen der TWL, der Bauphysik und Baustofflehre, um mit den Fachleuten dieser Metiers gemeinsam arbeiten zu können.
Ausdruck in Worten lernen und üben muss man außerdem nicht etwa, um vor Mikrofonen zu glänzen, sondern um mit Bürgerbeteiligungen zurecht zu kommen. Bürger sind nicht zuletzt unzufrieden, weil sie kein Vertrauen mehr in die (Ingenieur-)Kompetenz der öffentlichen Bauverwaltungen haben, die sich bis ins 20. Jahrhundert bestens um die Infrastruktur, den öffentlichen Raum zu kümmern wussten. Wo dort aber Personal mehr und mehr weggespart und übrig gebliebene Stellen mit Juristen besetzt sind, kann es nicht gut gehen. Was man wiederum den Juristen nicht vorwerfen kann. Man sieht: Es liegt vieles im Argen, und die Ingenieure sind gut beraten, mehr gegen eigene Defizite zu tun als den Schwarzen Peter an andere zu schieben. Was sie leisten, ist für unsere Gesellschaft viel zu wichtig, als dass darüber nicht weit und breit debattiert werden müsste.
Den Weg in die Öffentlichkeit beschreitet man in NRW mit dem M:AI, das beständig und erfolgreich Architektur und Ingenieurbaukunst in der Bevölkerung bekannt und verständlich macht. In Berlin sieht es dagegen schlecht aus: Die vor einigen Jahren gegründete Ingenieurgaleriewurde sang- und klanglos geschlossen, weil es die Bauingenieure – die generell besser verdienen als Architekten – offenbar nicht für nötig hielten oder nicht einsahen, sich finanziell einzubringen. Nicht einmal im Mekka der Bauingenieure – also im Raum Stuttgart – gibt es eine bescheidene, kleine Ausstellungsstube für Ingenieurbaukunst. Es nützt den Bauingenieuren wenig, wenn sie auf die vermeintlich egozentrischen Architekten schimpfen, ihr eigenes, gewiss nicht berühmtes Image in der Gesellschaft indes auf Sachlichkeit und Bescheidenheit ihrer selbst zurückführen. Es ist außerdem falsch, an den alten Kategorien (rationaler) Tragwerksplanung versus (emotionaler) Gestaltung festzuhalten. So funktionieren Entwerfen und Bauen nicht mehr.
Eine sehr erfreuliche Nachricht erreicht uns aber in diesem Zusammenhang auch: Endlich wird der Balthasar Neumann Preis wieder ausgelobt, in dem Projekte aus guter Zusammenarbeit von Architekten und Ingenieuren gewürdigt werden. 1994 vom BDB (Bund deutscher Baumeister) und der db ins Leben gerufen, drohte der Preis nach Verlagswechseln zu verschwinden. Neue Auslober sind der BDB und die DBZ, 2013 ist es wieder so weit. Der Preis bietet durchaus die Chance, ein neues, der gesamten Gesellschaft verantwortliches Selbstbewusstsein von Bauingenieuren zu thematisieren. Diese Aufgabe steht für den Berufsstand dringend an.

Ein Meisterstück der Ingenieurbaukunst: Dachstuhl des Freiburger Münsters mit Lastaufzug per Laufrad (Bild: Ursula Baus) 
 
Bild: Ursula Baus

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