Schule und Schulen

Christian Holl
13. Juli 2011
Ausstellung 100 Jahre ifag (Bild: ifag, Stuttgart) 

Als in den 1920er Jahren das Lehrkonzept an der damaligen Technischen Hochschule als die "Stuttgarter Architektur-Schule" begrifflich gefasst und verbreitet wurde, war das Stuttgarter Institut für Architekturgeschichte bereits über zehn Jahre alt. Für ein Symposium zum 100-jährigen Jubiläum des ifag (heute unter der Leitung von Klaus Jan Philipp) das Thema der Architekturschule zu wählen, war dennoch plausibel. Denn die Anfänge der Stuttgarter Schule können früher datiert werden – die Basis legten Theodor Fischer und dessen Nachfolger Paul Bonatz bereits vor dem Ersten Weltkrieg. Und das Thema der Architektur-Schule ist gerade in historischer Perspektive aufschlussreich. Nicht nur die Stuttgarter Schule war in vielerlei Hinsicht Vorbild und vorbildlich, einerseits in der Verbindung von Praxis und Lehre, andererseits als Mittel, mit dem Begriff die Ausbildungsstätte gegenüber anderen sichtbar zu machen. Immerhin war das Stuttgarter Modell offensichtlich so erfolgreich, dass in den 1970er Jahren schon die Rede von einer zweiten und dritten Stuttgarter Schule war – wenngleich sich dahinter jeweils Anderes und nicht immer Präzises verbarg. Grund genug, in ausführlichen Reflexionen Belastbarkeit und Sinnhaftigkeit des Begriffs der Architekturschule zu befragen. Denn neben der Stuttgarter, einer schon im 19. Jahrhundert etablierten Berliner, einer Braunschweiger Schule gibt es ja auch die herausragenden Lehrer, so dass auch die Rede von einer Ungers-Schule und einer Weinbrenner-Schule ist. "Programm, Pragmatik, Propaganda" nannte sich das Symposium und fasste damit, was den Begriff der Schule auszeichnen kann – und was der bezweckt, der ihn prägen will. Da ist natürlich das gerade heute wieder wichtige Bedürfnis, sich als der besondere oder auch nur vermeintlich besondere Ausbildungsort von der Konkurrenz abzuheben und im Rennen um finanzielle Ausstattung die Nase vorn zu haben. Belastbar ist der Begriff aber, das machte das Symposium deutlich, nur dann, wenn sich zwischen der Haltung der Lehrer, dem Lehrkonzept und den Arbeiten der Schüler nachvollziehbare Verbindungen herstellen lassen. Und das Beispiel der Berliner Schulen der Architektur des 19. Jahrhunderts zeigt, dass sie vor allem dann ihre Wirkung entfalten, wenn sie in ein aufeinander bezogenes Konzept von Wirtschafts-, Bildungs- und Publikationspolitik eingebunden sind – was damals zum Bestreben gehörte, die Führungsrolle Preußens nicht nur rhetorisch zu belegen. Auch wenn man auf diese Form der Propaganda heute nicht mehr Wert legen mag – etwas mehr von einem wenigstens im Ansatz vergleichbar ambitionierten Bildungskonzept würde man sich doch wünschen. ch

Noch bis zum 19. Juli ist im Foyer des Kollegiengebäudes 1 (Keplerstraße 11) die Ausstellung "100 Jahre Institut für Architekturgeschichte" zu sehen. Am 14. Juli macht ab 16 Uhr ein Symposium auf das in Stuttgart gewagte Radikalexperiment einer Fakultät ohne Professoren aufmerksam – die "vergessene Stuttgarter Schule".

Der derzeitige Institutsleiter Klaus Jan Philipp (Bild: ifag, Stuttgart) 

Andere Artikel in dieser Kategorie