Schreiben, lesen, ordnen, denken

Ursula Baus
20. Juli 2011
Die Bibliothek Werner Oechslin in Einsiedeln (Bild: Stiftung Bibliothek Werner Oechslin, Foto: Robert Rosenberg) 

Just am letzten Sonntag (17.7.2011) hatte Frank Schirrmacher in der Frankurter Allgemeinen Zeitung (FAS) darüber sinniert, welche Konsequenzen es hat, dass der Mensch sein Gedächtnis aus dem Kopf ins Internet auslagere – und es damit den vielfältig beeinflussten Funktionsweisen von Suchmaschinen ausliefere. Zu überlegen ist außerdem, welche Konsequenzen es für unser Denken selbst hat, wenn Informationen nicht in unserm phantastisch vernetzten Gehirn einbezogen werden können, sondern erst aus dem Internet gefischt werden müssen. Am gestrigen Dienstag (19. Juli) sang daraufhin Peter Glaser im Spiegel online das Loblied des Internet und der "Cloud", denn das Netz könne "Rohstoff für eine neue Art von Gedächtnis" sein und sich in eine "Jetzt-Sofort-Alles-Maschine" verwandeln. Hier taucht die Analogie zur einstigen Universalbibliothek auf: Nach den Frühzeiten der Wissenspeicherung auf Steintafeln und Papyrus über die Revolution, die der Buchdruck auslöste, faszinierte die Idee, in einem Haus alle Bücher zu versammeln, mit denen sich das Wissen der Menschheit erschließen ließe. Um diese "Häuser", um die Faszination der Bauaufgabe "Bibliothek" geht es in der neuen Ausstellung des Architekturmuseums München. Seit der Antike begleitet der Bibliotheksbau – vergleichbar nur dem Bau von Wohnungen und Gotteshäusern – die Menschheitsgeschichte kontinuierlich. Den Facettenreichtum der Bibliotheksarchitekturgeschichte sortiert die Münchner Ausstellung in Typologien: beginnend mit der introvertierten Bibliothek von Alexandria, über die ehrwürdigen Bücherkabinette mittelalterlicher Klöster und beschwingter Barocklesesäle bis hin zu den Leselandschaften des 20. Jahrhunderts und zu den Mediatheken der Gegenwart. Was Rang und Namen hat, widmete sich der Aufgabe: Michelangelo, Leonardo, Boullée, Schinkel und, und, und.
Das Reizvolle an einer Bibliothek ist natürlich einerseits das Beieinander wichtiger und traumhaft schöner Bücher, wie man sie für die Architektur in atemberaubender Fülle in der Bibliothek Werner Oechslin in Einsiedeln findet. Wie dramatisch deswegen ein materieller Verlust von Büchern sein kann, mussten wir beim Brand der Anna Amalia Bibliothek in Weimar und dem Einsturz des Kölner Stadtarchivs erleben. Die eigentliche Herausforderung liegt jedoch darin, wie Ordnung in die Bücher und ihre Inhalte gebracht werden kann. Als Ordnungssystem begreifbares Kondensat der Bibliothek kann man die Enzyklopädie bezeichnen (Johan Schloemann, SZ 17.7.2011) und wird dadurch an eine These Gerd de Bruyns erinnert: Das Wissen werde nach den Prinzipien der Architektur gegliedert ("Die enzyklopädische Architektur, Bielefeld 2008, und - Gerd de Bruyn mit Wolf Reuter - "Das Wissen der Architektur", Bielefeld 2011).
Das Zusammenspiel all dieser Faktoren lässt sich an der Ausstellung glänzend ablesen. Frühe Entwicklungen sind maßgeblich an Beständen aus Werner Oechslins Bibliothek erläutert, durch die Zeitläufte wird der Besucher mit Fotografien, Modellen, Plänen und Filmen geführt – in einer Ausstellungsatmosphäre, die dem Thema sehr angemessen ist. ub

Bis zum 16. Oktober 2011 im Architekturmuseum München, Di-So 10-18h, Do bis 20h.
Vorträge von Max Dudler am 14.9. und von Werner Oechslin am 12.10. jeweils um 18h. Der Katalog kostet in der Ausstellung 35 Euro, im Buchhandel 49,95 Euro.

Étienne-Louis Boullée, Entwurf für eine königliche Bibliothek, in: Mémoire Sur Les Moyens de procurer à la Bibliothèque du Roi les avantages que ce Monument exige, Paris 1785 (Bild: Stiftung Bibliothek Werner Oechslin) 
Max Dudler, Jacob-und-Wilhelm-Grimm-Zentrum in Berlin, 2009 (Bild: Max Dudler, Foto: Stefan Müller) 
Herzog & de Meuron, Informations-, Kommunikations- und Medienzentrum der BTU Cottbus, 2005 (Foto: Ulrich Zimmermann, BTU Cottbus) 
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