Schluss mit "arm, aber sexy"

Christian Holl
31. August 2011
Könnte bald ein weiteres Opfer des Planwerks werden: das ehemalige Konsistorium der Evangelischen Kirche am Rande des Hansaviertels. (Bild: Christian Holl) 

Udo Lindenberg wolle nach Berlin, schrieb die B.Z. vergangene Woche. Weil die Sanierung der Hamburger Innenstadt deren Atmosphäre zerstöre. Das sei "immer mehr Schnöseldorfer Plastikallee." Na, das soll er sich doch noch mal überlegen, will er nicht riskieren, vom Regen in die Traufe zu kommen. Berlin hat es nämlich offensichtlich satt, sexy zu sein, wenn der Preis der ist, dafür arm zu wirken. Also werden Stadt und Geschichte munter zurechtsaniert und zurechtgebogen. Zwei Beispiele. An der Westseite der Friedrichswerderschen Kirche Schinkels soll nach Beschluss des Berliner Bauausschusses eine 9.500 Quadratmeter-Bebauung entstehen. In leckerem Hochpreishistorismus. Sie soll dicht an die Friedrichswerdersche Kirche rücken, so dicht, dass man nur noch wenig von der Kirche sehen wird. Zu wenig, meint der AIV, der die "werbewirksam als 'Kronprinzengärten' verharmloste Bebauung" ablehnt. "Insbesondere Fragen des Denkmalschutzes fanden nach Meinung des AIV in den bisherigen Planungen und Genehmigungen des Vorhabens nur unzureichend Berücksichtigung" heißt es in der Pressemitteilung. Der Baustadtrat von Berlin Mitte, Ephraim Gothe, kontert, die Bebauung sei "eine Rekonstruktion des historischen Stadtgefüges nach den Überlegungen von Schinkel." Aha. Nun werden also auch schon Überlegungen rekonstruiert. Vielleicht hätte Schinkel ja aber im Jahr 2011 neue Überlegungen angestellt, da sich die Bedingungen und der Kontext inzwischen etwas geändert haben. Ein guter Architekt tut so was. Und das soll Schinkel ja gewesen sein.

Zweites Beispiel. Unverdrossen wird weiter das Erbe der Nachkriegszeit zerstört. Nun geht es dem ehemaligen Kosistorium der evangelischen Kirche Berlin Brandenburg an den Kragen (Architekten: Hans Christian Müller und Georg Heinrichs). Das Haus an der Altonaer Straße ist aus den frühen 1970er Jahren. Seine Aluminiumfassade, die Fenster mit gerundeten Ecken und feine Profilen, sichtbare, die Einzelelemente betonende Neoprendichtungen machen den besonderen Charakter des Gebäudes aus. Der Bezug zum benachbarten Hansaviertel wäre die Chance, nach einem produktiven und fantasievollen Umgang zur Abwechslung auch mal mit dieser Epoche Berliner Baugeschichte zu streben.
Der Eigentümer, die Kirche, scheint daran kein Interesse zu haben. Sie hat den Bau herunterkommen lassen; einen Wettbewerb, der zumindest die Option prüft, das Konsistorialgebäude zu erhalten, gab es nicht. Den Bestand soll ein fantasieloser Block mit einer GFZ von 2,3 ersetzen, ein Block, wie es ihn dort so nie gegeben hatte. Es gehe, so stand in der Welt zu lesen, "ohne viel Federlesens, um eine möglichst dichte Packung nutzbarer Flächen." Der Entwurf kommt von Tobias Nöfer. Auf dessen Homepage steht: "Das Spiel mit den Formgewohnheiten, das Anthropomorphe in der Baukunst, die Arbeit mit dem Genius loci, der feine Unterschied zwischen Bestand und Ergänzung: nicht die radikale sondern allmähliche Transformation der Stadt – das sind Themen, die zu unserer Architektur führen." Diesen Satz sollte er, käme er hier zum Zuge, dann vielleicht doch lieber löschen. Noch aber steht der Bau von 1971 – hier geht es zur Petition, die dessen Erhalt fordert. ch

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