Respektlos

Simone Hübener
26. September 2012
 

Über Abrisse oder geplante Abrisse mussten wir in diesem eMagazin leider schon viel zu oft berichten und der Ärger über die Verantwortungslosigkeit, das Renditedenken und die Kurzsichtigkeit vieler Politiker und Behörden nimmt leider kein Ende. Der jüngste Akt dieses traurigen Spektakels findet im sächsischen Zittau statt. Dort plant die AVW Immobilien AG den Bau eines Fachmarktzentrums mit 24 Geschäften auf etwa 10.000 Quadratmetern Verkaufsfläche und zusätzlich 310 Pkw-Stellplätze. Dafür müssten zum einen wertvolle historische Gebäude abgerissen werden (einige wurden erst vor wenigen Jahren denkmalgerecht mit Fördermitteln saniert), zum anderen scheint es auch hier nicht zu gelingen, den Neubau dem Maßstab der umgebenden Bebauung anzupassen. Dieser Eindruck entsteht zumindest dann, wenn man die Fassadenentwürfe des Planungsbüros nhp partnership begutachtet (siehe Bilder links bzw. als pdf-Dateien hierund hier auf zittau.de), die am 4. Juli präsentiert wurden. Die bestehenden Gebäude werden mehr schlecht als recht – einmal sogar nur die Fassade – integriert, die Albertstraße soll überdacht werden, mitten in der dann verkehrsberuhigten Straße findet sich eine Rolltreppe, für die Kunden des neuen Fachmarktzentrums und ihre lieben Autos soll es in den Obergeschossen sogar Übergänge und Überfahrten geben. Man glaubt es kaum.
Anlässlich all dieser Fehlplanungen fand Rosemarie Wilcken, die Vorstandsvorsitzende der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, klare Worte. In einem offenen Brief an den Oberbürgermeister der Stadt Zittau, Arnd Voigt, schrieb sie am 27. August 2012: "Eine Überbauung der Albertstrasse mit Verbindungsbrücken zwischen Parkdecks einschließlich Rolltreppen und Treppen im Strassenbereich ist indiskutabel und stört den städtebaulichen Maßstab des Quartiers nachhaltig." Und weiter: "Die vorgestellten Fassadenvorschläge können wegen ihrer Phantasielosigkeit nur als grobe Gedankenskizzen verstanden werden."
Das sächsische Landesamt für Denkmalpflege sprach in seiner Stellungnahme vom 4. Mai dieses Jahres eine ähnlich deutliche Sprache: "Das geplante Fachmarktzentrum stellt den größten Eingriff in die Substanz und Struktur des historischen Zittauer Altstadt der letzten zwanzig Jahre dar." Und weiter: "Insbesondere wird betont, dass Abrisse und entstellende Veränderungen von Baudenkmalen zugunsten neuer Handelsbauten ein Tabu sei sollten."
Abgesehen davon stellt sich die Frage, ob Zittau überhaupt neue Handelsflächen in dieser Größenordnung benötigt. Ein Blick auf die Kaufkraft der dort lebenden Menschen lehrt anderes. Es wäre hier wie auch andernorts viel sinnvoller, durch geschickte Umbauten die vorhandene Substanz zu nutzen, leerstehende Geschäfte wiederzubeleben und dadurch die Innenstadt zu stärken. Noch sehen das die Stadt und ihr Oberbürgermeister, der den Brief der Deutschen Stiftung Denkmalschutz "enttäuscht" zur Kenntnis genommen hat, anders. Wir hoffen auf starke Bürger, die sich bereits seit längerem gegen das Fachmarktzentrum wehren, und darauf, dass Zittau aus den Fehlern zahlreicher anderer Städte lernt bevor es zu spät ist.

Am 10. September erschien ein Sonderstadtanzeiger, in dem es fast nur um das Fachmarktzentrum geht und der hier heruntergeladen werden kann.

Einen ausführlichen Artikel zur "perverse[n] Tyrannei der Einkaufstempel" von Dankwart Guratzsch ist in Die Weltvom 19. August 2012 erschienen.

Konzepte für die Fassaden des geplanten Fachmarktzentrums in Zittau (Pläne: www.zittau.de) 
Konzepte für die Fassaden des geplanten Fachmarktzentrums in Zittau (Pläne: www.zittau.de) 

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