Parallelwelten

Christian Spranger
2. Mai 2012

Wenn "Stararchitekten", wie die sprachgewandte Avantgarde seit den 1980er Jahren gerne genannt wird, beauftragt werden, erhoffen sich Bauherren meistens einen Gewinn an Bedeutsamkeit und Exklusivität. Der Begriff ist trotz aller Kritik durchaus gerechtfertigt: Die so Betitelten wissen, wie man sich im Rampenlicht bewegt und vermarktet – was sie zu Figuren des öffentlichen Lebens, zu "Stars" macht. 1998 bis 2008 hat ZEIT-Redakteur Hanno Rauterberg zwanzig Vertreter dieser exklusiven Gruppe interviewt, darunter Oscar Niemeyer, Günter Behnisch, Peter Eisenman, Rem Koolhaas und Greg Lynn. Sein Sammelwerk Worauf wir bauen vereint die Mitschriften der Gespräche und rekapituliert damit auf gelungene Weise einige der einflussreichsten, bisweilen auch der am lautesten proklamierten architekturtheoretischen Positionen der vergangenen hundert Jahre. Wer hier vertreten ist, versteht sein Handwerk, dessen Gebäude sprechen für sich selbst. In den Interviews geht es daher hauptsächlich um die Ideen hinter der Architektur. Natürlich ist ein Großteil des Gesagten nicht neu, gewinnt aber in dieser verdichteten Form an Kraft und Eindringlichkeit. Geschickt zeichnet Rauterberg mit seinen Fragen ein Bild der Menschen hinter den Bauten, zerlegt komplexe Sachverhalte sprachlich präzise, verknüpft sie im Gespräch zu klaren Standpunkten. Man meint zu verstehen, wie ein Rem Koolhaas tickt; ein Günter Behnisch wird in Gedanken eins mit seinen Jahrhundert-Bauwerken. Rauterbergs kürzlich in einer broschierten und aktualisierten Fassung erschienenes Buch ist damit auch vier Jahre nach der Erstveröffentlichung noch lesenswert.
Zu selten, sagen viele Stararchitekten, hatten sie in ihrem Leben die Gelegenheit, ein Einfamilienhaus zu bauen. Und das, obwohl sie ihre Laufbahn typischerweise mit dem Bau eines solchen begonnen haben. Oft sind es die kleinen, unter schwierigen Bedingungen und mit geringem Budget entstandenen Häuser, die Maßstäbe setzen, weil die Aufgabe Einfallsreichtum voraussetzt. Dabei lässt sich eine Familie als Bauherr nicht häufiger auf Luftschlösser ein als der erfahrene Investor, sie erwartet Durchdachtes und auch, ernst genommen zu werden. Architekten, die diese Gratwanderung schaffen, sind zwar in der Regel (noch) keine Stars, mit Sicherheit aber Meister ihres Faches. Kostengünstige Einfamilienhäuser unter 1.500 €/m², das Buch zum kürzlich verliehenen Häuser-Award 2012 (wir berichteten), bietet diesen Planern eine Bühne. Autorin Sandra Hofmeister zeigt angenehm konkret geschrieben und gut fotografiert, wie man Bauherren glücklich macht. Auch wenn man sich für die eine oder andere Ecke durchdachtere Details gewünscht hätte und so manche Fußleiste oder auch die Sichtbetonqualität dem Spardiktat zum Opfer gefallen sind – gelitten hat die Ästhetik unter den minimalistischen, preisgünstigen Lösungen nur selten. Bei einigen Häusern scheint die haptische Qualität dadurch sogar gestiegen zu sein.
Dort, wo die Kompetenzen des Häuser-Buches liegen, nämlich bei gut ausgewählten Bildern und hilfreichen Beschreibungen, knüpft Das ultimative Planungsbuch von Baumeister-Herausgeber Wolfgang Bachmann und Architekt Arno Lederer an. Der Band beinhaltet nicht nur großformatige Fotos, umfassendes Planmaterial und Tabellen der wichtigsten Eckdaten zu jedem Haus. Zusätzlich zu der Einteilung in Kapitel wurden die Häuser mit Kategorie-Piktogrammen codiert, was den sehr vielfältigen Fundus an Beispielen schnell erfassbar und das Buch für Planer und Bauherren interessant machen soll. Da den meisten Häusern allerdings mehrere der kleinen Symbole zugeordnet sind, was nebenbei die gewählte Kapitelstruktur in Frage stellt, wäre eine Übersichtstabelle, wie man sie aus anderen Planungshilfen kennt, von Vorteil gewesen. Ohne dieses Hilfsmittel liest man das Buch von vorne bis hinten, anstatt – wie der Titel in Aussicht stellt – frei durch die Projekte zu navigieren. Bachmanns gelungene Erläuterungen lassen dies jedoch verschmerzen und bieten in aller Kürze einen wesentlichen Überblick. Arno Lederer bespricht in seinem einleitenden Essay über die Vielfalt des Bauens mit bemerkenswerter Leichtigkeit kontroverse Themen rund um den Einfamilienhausbau und versöhnt dabei prophylaktisch Häuslebauer und Architekt. Als einer der einflussreichsten Architekten Deutschlands beschäftigt er sich sprachlich unvoreingenommen mit dem Thema, ohne in ideologische Abwehrhaltung oder unverbindliches Schwelgen zu geraten, wie seine globalisierten Stararchitekten-Kollegen. Verbunden mit der Vielzahl an guten Beispielen adelt seine Einführung das Buch zur Referenz, auch wenn es nicht ganz das veranschlagte "ultimative Planungsbuch" geworden ist.

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